Dialekt vs. Hochdeutsch, der Kampf im KiGa

Hallo,

folgende Situation: Kind, ca. vier Jahre alt. Vater Deutscher (das bin ich ;~), sowohl oberallgäuer Dialekt als auch Hochdeutsch sprechend. Mutter Tschechin, spricht neben Tschechisch auch akzentfrei hochdeutsch.

Kind wird zweisprachig erzogen, zu Hause ist Tschechisch üblich, da das Umfeld außerhalb größtenteils deutsch spricht.

Im Kindergarten lernt das Kind vorrangig hochdeutsch, da die Erzieherinnen teils nicht aus unserer Gegend stammen. Außerdem ist es dort so üblich. Selbst die Dialekt sprechenden Kinder finden das „in“, und neigen zum Hochdeutschen.

Nun mache ich mir ernsthaft Sorgen, dass meine Tochter nicht ausreichend Dialekt lernt. Man sieht immer wieder ältere Kinder bei uns, die lediglich hochdeutsch sprechen, und der Verlust des Dialektes scheint immer mehr um sich zu greifen.
Ich kann und will nicht akzeptieren, dass meine Tochter unseren Dialekt nicht als Selbstverständlichkeit aufnimmt.

Ich selbst spreche mit ihr ausschließlich Dialekt, etwas gemäßigt allerdings, da ich ggf. meiner Frau das Verstehen auch ermöglichen will. Im Umgang mit Verwandtschaft (meine Eltern etc.) wird auch konsequent Dialekt gesprochen. Trotzdem spricht das Kind absolut hochdeutsch.

Wird das zum Problem, lernt meine Tochter den Dialekt gar nicht? Ist sie mit ihren zwei Sprachen schon ausgelastet? Kann sie den Dialekt als dritte Sprache nicht mehr „verwalten“?
Was kann ich tun?

Ach ja, wir leben im Allgäu, in einer 4000-Einwohner-Gemeinde, also wirklich ländlich.

Grüße
formica

Hallo formica,

ich schreibe hier absichtlich ohne Zitat, weil ich glaube, dass ich auf die von Dir angesprochene Problematik nicht einzeln eingehen muss.

Mach Dir keinen Kopf. Was kommt, das kommt.
Lass locker. Erzwingen kann man nichts.
Ihr bietet Eurem Kind ein derart breites Spektrum „Sprache“, dass es sich in alle in seinem Umfeld vorhandenen einhören kann, ABER auch muss.
Daraus folgt in Deinem Fall, dass Du im Augenblick nur Antworten in der allgemeinste Variante Deutsch zu hören bekommst.
Wie und ob sich das in den nächsten schätzungsweise 80 Jahren Lebenszeit Deines Kindes ändert, kannst Du nicht wissen. Niemand weiß das.
Wir wissen auch nicht, ob es nicht in 25 Jahren bei der Berufswahl ein gewaltiges Hindernis sein würde, Dialektgefärbt zu sprechen. Auch da ändern sich die Moden.
Lass also lieber alle Optionen offen.

viele grüße
Geli

Ich würde mir da auch nicht so viele Gedanken machen, sondern es sogar als Vorteil ansehen, dass das Kind zunächst vor allem Hochdeutsch spricht.
In meinem Elternhaus gab es eine - wenn auch nicht allzu streng gehandhabte - Regel: erst wenn man Hochdeutsch kann, darf Dialekt gesprochen werden.
Das kam uns Kindern sehr zugute, denn vom Hochdeutschen in den Dialekt überzugehen, empfinde ich als leichter, als anders herum sich vom Dialekt ans Hochdeutsche gewöhnen zu müssen.
Spätestens in der Schule wird sich das ohnehin ändern, das habe ich bei unseren Kindern gesehen. Die haben dann plötzlich ein Vokabular, das einem als Eltern des öfteren die Haare zu Berge stehenlässt. Aber auch das geht vorbei.

Hi,

Probleme haben die Leute…

Ich bin zu Hause im Dialekt erzogen worden, in der Schule und im Kindergarten Hochdeutsch, die Eltern haben mich angehalten, „vor den Leuten“ Hochdeutsch zu sprechen.

Schreckliches Ergebnis: Ich kann zwischen Dialekt und Hochsprache hin- und herwechseln, allerdings kann ich nur mit anderen Sprechern meines Dialekts auch Dialekt sprechen, mit meinen Eltern aber beides.

Weitere katastrophale Folge: ich werde fast nicht als Sächsin erkannt, auch andere Sachsen haben Schwierigkeiten. Aber mit Hochdeutsch verstehen mich alle anderen 'Dialekte prima :smile:

die Franzi

Hallo,

der Dialekt kommt von ganz alleine, -eigene Erfahrung- dahingehend kann ich Dich beruhigen. Ob das Kind den Dialekt dann später auch (Originalgetreu) nutzen will, steht auf einem anderen Blatt.
Ich finde es sehr sinnvoll in diesem Alter hochdeutsch zu sprechen, denn damit hat man durchaus einen Vorteil wenns ans Schreibenlernen geht gegenüber im Dialekt erzogenenen Kids.

Gruß
M.

Hallo,

und lieben dank an alle.

Ich glaube, ich habe mich - vielleicht auch der späten Stunde wegen - zu „verkrampft“ dargestellt.
Keine Sorge, ich wünsche mir natürlich, dass meine Tochter hochdeutsch spricht, und da will ich ihr keinesfalls im Wege stehen.
Mir geht es nur darum, dass die Möglichkeiten zum Dialekt sprechen nicht verbaut werden. Und natürlich will ich die Nutzung unseres Dialektes auch fördern, da ich ihn zu erhalten versuche, soweit ich das kann.
Immer wieder hört man davon, wie bedauerlich es ist, dass der Dialekt auch im dörflichen Leben untergeht, und ich sitze nun, sozusagen, an der Quelle, und unternehme nichts. Das ist meine einzige Sorge.

Da aber die einheitliche Meinung meine Sorgen zerstreut, lasse ich es damit wohl bewenden.

Grüße
formica

P.S.: Auch ich „schalte“ meinen Dialekt ab, wenn ich mit nicht-Dialekt-Sprechern in Kontakt bin. Das empfinde ich jedoch nicht als schrecklich, sondern als Höflichkeit gegenüber meinem Gesprächspartner, da er mich schließlich auch gut verstehen soll.

Hi,

das ist halt bei den Bayern so - jeder Satz, der Hochdeutsch gesprochen wird, bedeutet den Untergang des Abendlandes, das Ende der Welt, den Verfall von Moral und Sitte, einen Angriff auf die Persönlichkeitsrechte, Eingriff des Staates in das Familienleben, usw. usf - alles Schreckliche, was Du Dir vorstellen kannst. Das Bairische ist (für die Bayern) eine eigene Sprache, und kein Dialekt. Und wer ins Land kommt, soll sich halt Mühe geben, die Leute zu verstehen, oder wegbleiben. Bairisch sei ja schließlich leicht zu verstehen. Man muss nur wollen. Im Gegensatz zu anderen Dialekten.

Hier im Thread hast Du nun einen Querschnitt der Ansichten aus Deutschland bekommen und darfst Dich entspannen - immerhin gibt es auch in Bayern genug Leute, die das Ganze entpspannter sehen :smile:

die Franzi

Hi,

das ist halt bei den Bayern so

nur der Form halber: jemand der im Oberallgäu Dialekt spricht, spricht KEINEN baierischen Dialekt, sondern wenn ich mich nicht täusche einen schwäbisch-allemannischen. Das ist eine echte Minderheit, bezogen auf den Rest Bayerns.

„Wir“ teilen uns nämlich ein Bundesland.
In Bayern gibt es Franken, Schwaben, Allemannen und nun ja die alles dominierenden Baierisch-Stämmigen, die „uns“ in München regieren.

Und da gilt halt das baierische Sprichwort: Wer zahlt, schafft an!

viele grüße … und nicht über die Hartschädel im Süden ärgern
Geli

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Hallo Geli!

… und nun ja
die alles dominierenden Baierisch-Stämmigen, die „uns“
in München regieren.

Schön wär’s. Aber nach meiner Beobachtung könnte man meinen, uns regieren die in den Ministerien sitzenden Franken :smile:
Gruß!
H.

Hi,

wo du recht hast… Gilt „Es war morgens“ als Entschuldigung? Immerhin steht da unter Umständen meine bayrische Statsbürgerschaft auf dem Spiel :wink:

die Franzi

Hallo

P.S.: Auch ich „schalte“ meinen Dialekt ab, wenn ich mit
nicht-Dialekt-Sprechern in Kontakt bin. Das empfinde ich
jedoch nicht als schrecklich, sondern als Höflichkeit
gegenüber meinem Gesprächspartner, da er mich schließlich auch
gut verstehen soll.

Wenn die Person aber bereits eine Weile in der Region lebt, sollte sie Dialekt verstehen lernen und deshalb würde ich bei Personen, die länger als ein paar Monate dort leben nicht umschalten, sondern Dialekt sprechen. Wer bereit ist, sich als Neuzugezogener dort zu integrieren, wird die Sprache bald problemlos verstehen (als erwachsener meist aber nicht mehr sprechen lernen). Falls die Person es nicht versteht, wird sie es sagen.

Sprich auch mit den hochdeutsch sprechenden Kindern, die bei euch zu Besuch kommen Mundart, so kannst du auch eine Kleinigkeit zum Erhalt der Sprache beisteuern.

Ich lebe in der Schweiz und hier spricht man Dialekt und ich mag es gar nicht, wenn jemand auf Hochdeutsch umschaltet - das kann auch als Distanzierung und nicht als Höflichkeit empfunden werden.

Zu Deiner Tochter: Sprich konsequent Mundart, durchaus die breiteste Form mit ihr und die urtümlichsten Ausdrücke, denn Hochdeutsch lernt sie offenbar ausserhalb genug. Sie sollte lernen, dass Dialekte gleichwertige Sprachen sind und falls sie es schafft, den Dialekt nicht nur als Familiensprache, sondern auch als Alltagssprache mit Freunden, deren Eltern udn bei der Kioskfrau zu verwenden, wäre ein kleiner Schritt für den Spracherhalt gemacht.

Überfordert ist Deine Tochter mit Tschechisch, Schriftdeutsch und Dialekt ganz sicher nicht.

Gruss, Sama

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Grüß Gott, formica, und ihr alle,
mich stört es immer etwas, wenn der Ausdruck „Hochdeutsch“ für die heute übliche deutsche Schriftsprache gebraucht wird. „Hochdeutsch“ ist eigentlich Bairisch, Alemannisch und noch manches andere, eben das Gegenteil zu „Niederdeutsch“. Mit „Lutherisch“ träfe man, wenn schon nicht ins Schwarze, dann doch wenigstens die Scheibe.
Gruß Sepp

Hallo, Sepp,

„Hochdeutsch“ ist eigentlich Bairisch, Alemannisch und noch
manches andere, eben das Gegenteil zu „Niederdeutsch“.

der Begriff „hochdeutsch“ wird allerdings schon seit Mitte des 19. Jh. auch verwendet in der Bedeutung „deutsch, wie es nicht den Mundarten oder der Umgangssprache, sondern der allgemein verbindlichen deutschen Sprache entspricht (besonders in Bezug auf die dialektfreie Aussprache)“ (http://www.duden.de/rechtschreibung/hochdeutsch),
siehe Grimm:

  1. neben diesem allgemeinern sinne (no. 2) aber scheint hochdeutsch auch auf die gemeine kanzleisprache gewendet worden zu sein, wie sie namentlich seit den letzten decennien des 15. jahrh. durch Nürnberger und Augsburger drucke zu allgemeinerer verwendung und ansehen gekommen war

und Pierer:

2) überhaupt die allgemeine deutsche Schriftsprache im Gegensatz zu den Volksmundarten.

Gruß
Kreszenz

Hallo Formica,

mach dir keine Sorgen! Mein Bruder war während seiner gesamten Kindheit komplett in niederbairischen Dialekt gehüllt und hat trotzdem nur nach der Schrift gredt :smile: Woher auch immer…
Dies hielt sich hartnäckig bis zur Einschulung, denn dort war hochdeutsch Pflicht (wenngleich auch dies niemand richtig sprach, allerdings aufgrund des zu starkem Dialekts). Seitdem spricht er kein Wort hochdeutsch mehr - selbst wenn er es versucht, man hört seine niederbayrische Abstammung sofort. Kaum zu glauben, dass man ihn bis zu seinem 6. Lebensjahr locker in Hannover aussetzen hätte können und keiner hätte etwas gemerkt :smile:

Ois werd guat!

Servus,

Woher auch immer…

man hätte ihn halt besser von den Lutherischen fernhalten sollen, deucht mir.

Schöne Grüße

Dä Blumepeder

Servus Blumepeder,

der Kloa hot grad an 2 Stellen Kontakt mit dem Lutherischen ghabt:

  1. bei ALF (er durfte wählen zwischen Sandmännchen und ALF und hat sich für letzteres entschieden, weils nach dem Sandmännchen kam…)
  2. beim Märchenvorlesen (aber san ma mal ehrlich: Welcher Niederbayer kann schon so gut vorlesen, dass man seine sprachliche Herkunft verleugnen könnt?)

Alles in allem war er zu mehr als 95% des Wachseins vom richtig niederbairischen Dialekt umgeben. 3-4% würd ich als deurisch (halb deutsch halb bairisch) bezeichnen.

Gruaß aus dem tiefsten Osten
Philey