Servus,
Wird das von Generation zu Generation weitervererbt?
das spielt nach meiner persönlichen Erfahrung wohl keine besonders wichtige Rolle. In meiner Familie haben sich innerhalb von wenigen Generationen Dialekte aus der Abrlausitz, aus dem württembergischen Schwarzwald, vom Stromberg und aus Hohenlohe getroffen. Der einzige Dialekt, den ich einigermaßen fehlerfrei beherrsche, ist aber der, der in der Kindheit meine Umgebung prägte: Oberländer Schwäbisch - obwohl ich alle anderen genannten recht gut verstehe. Meine ebenfalls ganz ordentlichen Kenntnisse im Seealemannischen habe ich nach 18 Jahren in der Nähe der Sprachgrenze innerhalb von nur zwei Jahren hinter Tettnang erworben. Seither von fast jeder Station ein bissel was mitgenommen, und nach sechs Jahren Monnem komm ich so langsam hinter die feinen Differenzierungen zwischen den Idiomen der Riedochsen, der Aniliner, der Monnemer und der Woinemer; derzeit übe ich den Mutterstädter Prüflaut, eine bestimmte Weise, das o in „koni“ für „keine“ zu nasalieren. Die eigene Sprache mehr oder weniger oberflächlich an den Dialekt der Umgebung anzugewöhnen, erfordert keine besondere Anstrengung; im Gegenteil, es käme mir seltsam vor, wenn das nicht passierte.
Wieauchimmer: Man lernt an der Umgebung, so wie man immer die eigene Sprache am Maßstab des Gehörten unwillkürlich korrigiert.
Interessant in diesem Zusammenhang fand ich, dass im Biberacher Wohngebiet Talfeld in den 1970er Jahren, zu denen ich viele seiner Bewohner kannte, in einem relativ kleinen lokalen Zusammenhang (vielleicht zweihundert Einwohner im Wohngebiet) fast kein Wort Schwäbisch gesprochen und auch kaum verstanden wurde: Das Talfeld war fast gänzlich von Wissenschaftlern aus der F&E von Thomae bevölkert, die in ihrer großen Mehrzahl aus Nordwest-, Nordost- und Mitteldeutschland kamen. Die Kinder und Jugendlichen hatten in ihrer Umgebung keine Möglichkeit und keinen Anlass, Schwäbisch zu lernen, und haben es so auch nicht gesprochen, auch wenn sie in Biberach geboren waren.
In der Grundschule haben wir abgesehen vom Deutschunterricht zumindest bei Lehrern, die aus der Gegend stammten, einen gemäßigten Dialekt gesprochen (einschließlich der Kinder der ortsansässigen Italiener, Batschka-, Siebenbürgen- und Sudetenrückwanderer etc.), und ich denke, das ist im oberdeutschen Raum unverändert so. Erst in der Oberschule wurde dann mehr auf (mehr oder weniger gefärbtes) Deutsch als Unterrichtssprache geachtet; mit Deutsch Lesen und Schreiben und gleichzeitig Schwäbisch Sprechen hatte in der Grundschule keiner Schwierigkeiten.
Die Ergebnisse vom Lernen von Sprache in und an der Umgebung habe ich Ende der 1970er Jahre in der Umgebung von Joannina ganz eindrucksvoll gehört: Fast jeder junge Mann versuchte, wenigstens ein paar Jahre in Deutschland zu arbeiten, und wo die ersten hingegangen waren, kamen die anderen nach. So dass in einem Dorf Deutsch wie in Kirchberg an der Iller und im unmittelbar benachbarten wie in Köln-Deutz gesprochen wurde…
Einen Dialekt systematisch zu unterrichten, halte ich für ein ziemlich artifizielles und auch nicht zweckdienliches Unterfangen. Dialekte sind viel zu kleinräumig, um sie überhaupt so systematisch erfassen zu können, dass man sie systematisch unterrichten kann. In unserem Grundschullesebuch gab es ein paar einzelne Gedichte, die auf Rottenburger Schwäbisch verfasst waren (gedruckter Dialekt: meistens ein Graus!), und der Lehrer, der diesen Dialekt aus dem Reutlinger Seminar kannte und sich nicht bewusst war, wie groß der Unterschied zum Schussenrieder Schwäbisch ist, hat sich ziemlich geärgert, dass niemand von uns das Zeugs ordentlich lesen konnte.
Schöne Grüße
MM