Die "Biographie" des mutmaßlichen Attentäters

Hallo,

mich würde ja einmal interessieren, warum es dem Verbund dt. Behörden nicht gelang, den mutmaßlichen Attentäter bereits wg. der Verwendung mehrerer Decknamen und weiterer Delikte in U-Haft zu nehmen bis ihm der Prozess hätte gemacht werden können.

Bzw. wieso der Typ überhaupt einen Asylantrag stellen konnte, da er ja wohl schon in Italien registriert war. Liegt es u.U. daran, dass er nicht im EURODAC auftauchte? Oder etwa daran, dass die Polizei, die ihn in D routinemäßig überprüfen musste als er sich als Asylbewerber meldete, keinen Zugriff auf die Daten des EURODAC hat?

Welche Gesetzeslücken müssen geschlossen werden und warum wurden sie nicht schon längst geschlossen?

Gruß
vdmaster

Kleine Ergänzung: http://www.faz.net/aktuell/politik/anschlag-in-berlin/anschlag-berlin-parteien-suchen-nach-den-schuldigen-14587718.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

Einen Asylantrag kann jederzeit von Jedem gestellt werden!
Erst auf Basis des Antrags darf dann überprüft werden, ob ein Recht auf Asyl besteht.

Allerdings sind nicht alle Anträge aus Italien und Griechenland im EURODAC auch eingetragen, da kommen die Länder nicht immer ihren Verpflichtungen nach!

Anträge werden gerne auch ohne, mit gefälschten oder „gefundenen“ Ausweisen gestellt. Nicht alle ausländischen Dokumente sind auch mit einem Foto versehen.
z.B. sind auch unsere Geburtsurkunden ohne ein Foto.

Deshalb erfolgt die Identifizierung auf mehrfach gestellte Anträge auch über die Fingerabdrücke.

MfG Peter(TOO)

Okay, dass ist formal richtig. Ich hätte die Frage besser formulieren müssen.

Wieso derjenige nicht umgehend nach Italien verbracht wurde, nachdem bekannt war, dass er dort bereits als Flüchtliing registriert war. Hier spielt natürlich auch die Frage rein, warum nicht direkt an der Grenze zurückgewiesen wird, falls die Person erkennbar aus den Staaten kommt, die in 16a (2) definiert werden. Dort steht u.a. zu lesen

„In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.“

Mir geht es darum, dass die Gesetze selbst so konstruiert sind, dass sie sich in der Auswirkung gegenseitig behindern. Daher muss an der Gesetzeslage bzw. den EU-Regeln etwas geändert werden.

https://www.bundestag.de/blob/411932/5336e4e0d5966580d17959180a4725b0/wd-3-259-15-pdf-data.pdf (Kapitel 3)

Er kam illegal nach D, stellte über Monate keinen formalen Antrag oder meldete sich bei den zuständigen Behörden. Daher rutschte er IMHO durch die EU-Regelung in die dt. Zuständigkeit, die besagt dass ein fünfmonatiger Aufenthalt ausreicht, um die Zuständigkeit des Erststattes (der Ankunft) zu beenden.

Auch sehe ich ein Versäumnis darin, den illegalen Aufenthalt nicht zu sanktionieren, obwohl er weit über jede angemessene Zeitspanne hinaus, sich nicht bei den Behörden meldete.

Hier liegt ein eklatantes, systemisches Versagen vor. Nicht ein bestimmter Politiker, Sicherheitsbeamter oder Richter ist die Ursache, sondern das Sand im Getriebe der unterschiedlichen Rechtsvorschriften, die sich bei geschickter Nutzung von Lücken in ihrer Wirkung gegenseitig aushebeln.

Diese Lücken gilt es zu schliessen.

Nach meinem Kenntnisstand ist es bspw. der dt. Polizei (wg. nationaler Regeln) nicht einmal gestattet, auf die EURODAC-Daten routinemäßig zuzugreifen, wenn ein illegal Aufhältiger aufgegriffen wird. So kommt es dann, dass erst einer über Monate im Land ist, bevor der Antrag formal (beim BAMF) gestellt werden kann. Zzgl. der Bearbeitungszeit, die das BAMF benötigt.

In der Zwischenzeit kann derjenige offenbar unbehelligt wieder mit weiteren Identitäten jonglieren.

Angeblich sollen die Daten von Amri A. im EURODAC stehen, incl. seiner Fingerabdrücke. Zumindest muss ich das aus einigen Äusserungen von P-Gewerkschaftlern schliessen.

Gruß
vdmaster

Das ist das grundsätzliche Problem bei einem Rechtsstaat.
Da muss zuerst eine Schuld nachgewiesen werden!

Erdogan hat es da in der Türkei einfacher. Der weiss gleich nach einem Attentat wer dahintersteckt und lässt dann mal ein paar 1’000 Leute verhaften! Rein statistisch wird da dann schon mindestens ein Ladendieb darunter sein!

MfG Peter(TOO)

Du hast mich wohl missverstanden.

Es geht hier nicht um die Schuld oder Unschuld im Zusammenhang mit dem Anschlag. Es geht darum, dass es für einen angeblich Schutzsuchenden (wir wissen, dass er keinen Anspruch haben konnte) viel zu einfach ist, sich unerkannt im Land aufzuhalten und selbst wenn dieser Zustand offensichtlicht wird, weiterhin auf freiem Fuss zu bleiben.

Im Prinzip könnte sich jeder in D mit unbegrenzt vielen Identitäten bewegen und könnte sich bei Bedarf immer wieder als Schutzsuchender ausgeben. Er dürfte nur nicht in der Fahndungsdatenbank der Polizei auftauchen und müsste zwischen Aufgriff und formalem Antrag wieder aus der Erstaufnahemeinrichtunng verschwinden.

Das ist wie ein schon ausgepacktes und auf dem Silbertablett serviertes Weihnachtsgeschenk für jeden Kriminellen oder Möchtegernattentäter.

Und das ist das systemische Versagen. Ich fordere ja nicht extralegale Lösungen, sondern die Reform der legalen. Alles schön auf dem Boden des Rechtsstaates.

Gruß
vdmaster

Ich habe da nichts falsch verstanden.

Das sich jemand illegal in einem Land aufhält, muss erst nachgewiesen werden, das ist eben die Last eines Rechtssystems. Bei einem Drittland mit Visumspflicht, steht die Einreise im Pass. Bei anderen Ländern muss man die Person erst einmal als Tourist behandeln, bis man nachgewiesen hat, dass er schon länger hier ist. Wobei es auch da Gesetze gibt, welche regeln wie lange eine Ausreise dauern muss, damit die Einreise wieder als neue gilt.

Im diesem Konkreten Fall gab es schon, noch nicht vollstreckte, Urteile mit Gefängnis in seinem Heimatland und in Italien.
Wieso er nicht an die zuständigen Vollzugsbehörden Überstellt wurde ist die grundsätzliche Frage.
Die Ausweisung in sein Heimatland ist angeblich an fehlenden Papieren gescheitert. Vermutlich auch diejenige an Italien. Der Hohn dabei ist, dass die Papiere jetzt, zwei Tage nach dem Anschlag, eingetroffen sind. Es wird aber auch angetönt, dass die Papiere von D zu spät angefordert wurden.

Die Frage ist, wo hat der Amtsschimmel da gewiehert und wo seinen Mist fallen gelassen. Scheinbar nicht im Rosenbeet, da hätte er als Dünger wenigstens etwas verbessert.
Das Aufdecken der Fehler ist das eine, aber wichtiger ist, wie man solches Fehlverhalten in Zukunft verhindern kann und das auch entsprechend gehandelt wird. Ein Problem dabei ist aber auch, wie man solche Leute dann sicher Zwischenlagert?

Hier in CH kommen auch jede Menge Asylbewerber während dem Warten auf einen Entscheid „abhanden“. Ein Teil taucht hier irgendwie unter, die anderen werden dann an der Grenze zu Deutschland aufgegriffen und einige werden es auch unbehelligt über die Grenze schaffen.
Wer in einem Grenzgebiet lebt, kennt jede Menge an Schleichwegen, die Grüne Grenze. Wer auch noch Leute vom Zoll im Bekanntenkreis hat, weiss aber auch, wie dort überwacht wird.
Auf meinen Wanderungen hier um Basel, bin ich auch oft einfach gerade ins nächste Dorf in eine Beiz gelaufen, egal ob das in D oder F lag :slight_smile: Kontrolliert wurde ich dabei nie. OK, wer hier in der Region lebt hat seinen Ausweis immer dabei, man weiss nie wann man mal schnell über die Grenze kommt.

MfG Peter(TOO)

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Tunesien wollte ihn ja zuerst nicht zurücknehmen und die Haftstrafe in Italien hatte er abgesessen, soweit ich weiss. Bereits die Abschiebung durch Italien nach Tunesien scheiterte an Tunesien.

Vielen ist wohl ein weiteres Detail entgangen. Die Abschiebung aus D nach Tunesien scheiterte ebenfalls an Tunesien. Just nach dem Attentat und der nachfolgenden Fahndung wurden dann urplötzlich die nötigen Papiere an D (bzw, zuständige Stelle) übergeben. Da ist auch kein Versand mit der Post nötig, weil die Papiere von der tun. Botschaft ausgestellt werden. IMHO der jämmerliche Versuch seitens Tunesiens, sich als völlig unschuldiges Lamm darzustellen. Das wird noch Konsequenzen haben.

Das war aber bereits bekannt, womit die Erweislichkeit auch feststehen sollte, und führte eben zu keinerlei Sanktion.

in den ausländerrechtlichen Datenbanken [Anm. vdmaster: Deutschlands] findet sich der 30. Juli 2015 als Einreisedatum (…) Im April 2016 stellt Amri einen Asylantrag.
(…)
Bei einer Routinekontrolle in einem Reisebus bei Friedrichshafen greifen Polizisten Amri mit gefälschten italienischen Papieren auf.

Da fühle ich mich als Bürger eines Rechtsstaates massiv verarscht, weil der Typ nicht dauerhaft in U-Haft saß

  • bis zu einem Strafprozess
    oder
  • bis zur erfolgreichen Abschiebung

Vermutlich wird wieder rauskommen, dass man bei dem „Flüchtling“ keine Fluchtgefahr sah und er deswegen nicht in U-Haft saß.

Das war immerhin kein pillepalle https://dejure.org/gesetze/StGB/267.html

Sollt es sich erweisen, dass Italien - wie angegeben - die Daten zeitnah in EURODAC und SIS eingespeist hatte, dann dampft bei uns aber die Kacke (Sicherheitsstruktur) aber zum Himmel.

Wahrscheinlich werden wir in Kürze auch einen, zwei oder drei parlamentarische Untersuchungsausschüsse haben. Allein schon wg. der Zuschiebung von Einzelverantwortlichkeiten, zusätzlich weil die Wahlen im Bundestag anstehen (Initiatoren Grüne/Linkspartei) und auch die Wahlen in NRW (Initiatoren CDU/FDP). Der dritte parl. UA wird dann im „Bundesland“ Berlin gestartet, um die Sache komplett zu machen.

Vermutlich geht die eigentlich dringend nötige Debatte um die systemischen Lücken dann wieder völlig unter oder wird mit hohlen Ankündigungen/Absichtserklärungen (=Sedativa) erledigt.

Gruß
vdmaster

Leider …

Zitat Merkel von heute lt. FAZ.

Dort wo Bedarf für politische oder gesetzliche Veränderungen gesehen wird, werden wir notwendige Maßnahmen in der Bundesregierung zügig verabreden und umsetzen

[hier bitte gedanklich ein vor Wut erbrechendes Emoji einfügen]