Hallo MitleserInnen,
der folgende Artikel ist zwar schon zwei Jahre alt, aber ich stolperte über ihn, als ich nach etwas anderem suchte. Es ist ja hin und wieder ganz nett, auch die Gegenseite zu der veröffentlichen Meinung zu hören, wie etwa bei Weltwirtschaftsgipfeln, wenn nur „bösen Demonstranten“ in den Focus der Kameras geraten.
Schon am Samstagmittag hatte Schröder zwei Vertretern der Kampagne eine Audienz gewährt.
Auf dem Platz vor dem Museum Ludwig übergaben ihm der Bischof von Honduras, Oscar
Rodriguez, und der U2-Musiker Bono einen Plastiksack mit Millionen Unterschriften für eine
Entschuldung der ärmsten Länder. "Vielen Dank für die Mühe, die Sie sich gemacht haben",
hatte der Kanzler bei der Übergabe gesagt.
Als Schröder sein Weizenbier trinkt, hat er schon seine Schuldigkeit in Sachen Gutmenschen
getan. Die Christen an den Gittern scheinen das zu wissen. Mit der gerade ablaufenden
Demonstration von etwa 10.000 Leuten in der Kölner Innenstadt, die sich gegen die bestehende
Weltwirtschaftsordnung wenden, haben sie ohnehin nichts zu tun. Die Sicherheitskräfte sind
großzügig. Sie schreiten nicht ein, als die Aktivisten mit ihren 'Erlaßjahr 2000'-Schals zu winken
beginnen und ein Transparent "Drop the dept" entrollen. Der Kanzler winkt kurz hinüber und
spricht weiter mit Wickert.
Eine solche Reaktion hätten sich die Teilnehmer des alternativen Weltwirtschaftgipfels auch von
Doris Schröder-Köpf gewünscht. Parallel zum G7/G8-Treffen findet in der Kölner
Volkshochschule die internationale Gegenveranstaltung statt, die unter anderem von den Jusos
und der grünnahen Heinrich-Böll-Stiftung getragen wird. Als rund 100 Tagungsteilnehmer am
Freitagabend im Vorhof des Gebäudes eine kleine Pause einlegen, sehen sie sich plötzlich einem
Großaufgebot der Polizei gegenüber. Dabei ist der 'Alternativ Economic Summit' kein Ort der
Subversion. Während sich 1988 beim Gegenkongreß zum Weltwirtschaftsgipfel in Berlin IWF
noch prächtig auf Mördertreff reimte, diskutiert man zehn Jahre später in Köln über
"Perspektiven neokeynsianischer Ansätze". Nichts also, was die Hüter der Sicherheit
herausfordern könnte.
Die waren auch nicht erschienen, weil ihnen die Themen des Gegenkongresses nicht gefielen. Sie
hatten ein ganz anderes Problem: Das Damenprogramm des Gipfels. Denn Doris Schröder-Köpf
hatte ihre Kolleginnen zum Abendbrot ausgerechnet in die Josef-Haubrich-Kunsthalle
eingeladen, die unmittelbar an die Volkshochschule angrenzt. Die verdutzten Tagungsteilnehmer
im Hof zwischen Kunsthalle und Volkshochschule werden ein einziges Mal aufgefordert, das
Terrain freiwillig zu räumen, und schon zücken Sicherheitskräfte ohne Vorankündigung die
Gummiknüppel. Währenddessen kommt die Waffe eines Beamten abhanden. Gestohlen?
Vielleicht. Vielleicht auch einfach verloren, denn nach der Polizeiaktion wird die Pistole den
Sicherheitskräften von Besuchern der Tagung überreicht.
"Teilnehmer des alternativen Gipfels wollten in die Räume der Kunsthalle eindringen", rechtfertigt
Polizeisprecher Wolfgang Beus den Einsatz. Das wollen die Veranstalter des Gegengipfels nicht
gelten lassen. Sie hatten die Absprache mit der Polizei getroffen, den Josef-Haubrich-Hof ab 20
Uhr freizuhalten. Doch die Räumung begann um 19.45 Uhr. "Die proklamierte Absicht, einen
bürgernahen Gipfel durchführen zu wollen, hat die Polizei damit diskreditiert", erklären die
Veranstalter.
Gerhard Schröder ist Welten von solchen Polizeieinsätzen entfernt. Wer ihm begegnen könnte,
ist in den Zelten auf der Rheinpromenade oder an Absperrungen auf gefährliche Gegenstände
untersucht worden. Die Anhänger der Kampagne 'Erlaßjahr 2000' haben ihr Transparent schon
längst wieder eingerollt.
(Quelle: Taz Ruhr, http://www.taz-ruhr.de/24.6.99/17.html)
Marco