Was bedeutet sie (lang)
Hallo FraLang,
ich habe letzte Woche die von mir heiß ersehnte 2. Auflage von Bergers „Theologiegeschichte des Urchristentums“ per Post erhalten. Ich bin gerade dabei diese durchzuarbeiten und notiere mir Punkte die ich für Wesentlich halte. Da deine Frage „Was bedeutet sie [Die Endzeitstimmung im Urchristentum]“ noch nicht beantwortet wurde, zitiere ich hier zum größten Teil aus diesem Buch. Und los geht es…
Eschatologie
Das frühe Christentum ist - wie du schreibst - eschatologisch ausgerichtet, d. h. man erwartet das Ende der bisherigen Zeit und Weltordnung. An diesem Ende steht Gott. Mit Ausnahme von Kol und Eph ist dieses Große, auf das die Christen warten Gericht und „Katastrophe“. In Kol und Eph dagegen das Wachstum des Christusleibes.
In Metaphern sprechen die Theologien außerhalb von Kol und Eph vom Kommen Gottes, seinem Reich oder Gericht, auch vom kommenden Äon, der Wiedergeburt, von der neuen Schöpfung.
Dieses Ende ist nicht Aufhören oder Verlöschen sondern es bedeutet Aufdeckung und Offenbarwerdung, nämlich der jetzt schon präsenten jedoch wie unter einem Schleier verborgenen Wirklichkeit der Welt. Gott und die Geschichte der Menschen bewegen sich aufeinander zu, am Ende wird offenbar was immer schon geschah. Der Sinn der Rede vom Offenbarwerden zielt auf jene, die um diesen Tatbestand wissen, denn nur sie wissen um die Bedingungen, unter denen die Zukunft (das Gericht) überstanden wird.
Gericht
Für das Judentum galt das Gericht als Strafe und Vernichtung von Gottes Feinden, gleichbedeutend mit den Feinden Israels. Nur diese (die Feinde) trifft das Gericht.
Dagegen versteht das Christentum unter dem Gericht ein Gerichtsverfahren, das alle Menschen gleichmäßig betrifft. Jeder einzelne Mensch muss und kann sich vor diesem Gericht schützen (auch Heidenvölker, demnach Infragestellung der kollektiven Abrahamskindschaft). Es erfolgt eine Ablöse der Trennung Israel/Heiden durch Sünder/Gerechte.
Diese Individualisierung des Gerichtsvorganges ist in der Henoch-Litertur vorbereitet und wird durch Dan 7 beeinflusst. Gleichzeitig wird von ebenda die in der Henochliteratur weiter ausgebaute Menschensohnvorstellung übernommen.
D. h. Im Christentum erfolgt eine Relativierung der Zugehörigkeit zu Israel (Voraussetzung zur Völkermission), eine Individualisierung des Heilserwerbs (entspricht der Individualisierung der Taufe als persönlichen Heilszugang) und die Bedeutung des Menschensohnes bekommt eine zusätzliche Dimension. Manche sehen als Weg zum Heil auch das Sich-Trennen von allem was vor dem Gericht Gottes keinen Bestand hat, auch z. B. von der Familie (vgl. familienzerstörende Radikalität der Nachfolgeforderungen Jesu bei den Synoptikern).
Zur Naherwartung
Das kommende Gericht bedeutet erstmal Scheidung (der Gerechten von den Sündern, es werden nicht alle gleichermaßen gerettet), aber durch die Offenbarung durch Jesus Christus kommt es nun darauf, diese Scheidung selbst vorzubereiten.
Das Gericht selbst wird als plötzlich kommend (wie ein Unfall oder der Tod) geschildert, den genauen Zeitpunkt weiß man nicht. Die Mahnungen zur Wachsamkeit haben hier ihren Ursprung. An einigen Stellen des NT wird in Mahnreden auf das nahe Ende hingewiesen, Stellen wie Mk 13,30 sprechen sogar von „dieser Generation“, auch Mk 9,1 und Kor 15,51. Diese Rede von der „messianischen Generation“ findet sich in Texten die nach 70. n. Chr. entstanden sind nicht mehr.
Dass die urchristliche Naherwartung durch die Parusieverzögerung abgelöst worden sei und zunehmenden Argumentationsnotstand bei den Vertretern des christlichgen Glaubens ausgelöst habe, ist ein verbreiteter Ansatz, dem ich übrigens auch noch bis vor kurzem anhing.
Berger dagegen sieht in der Naherwartung eher ein politisches, emotionales und moralisches Phänomen und ein zu allen Zeiten der Kirchengeschichte bekanntes Syndrom. Der Unterschied zum frühen Christentum dürfe lediglich sein, dass die nur für die Naherwartung konstitutiven Bedingungen aufhörten und damit der Prozentsatz derer, die sich der Naherwartung verpflichtet sahen, geringer wurde.
Schwerpunkte
In den apokalyptischen Passagen des NT kann man verschiedene Schwerpunkte ermitteln:
Das Szenarium des Weltgerichtes
Das Kommen des Menschensohnes
Ein (kriegsähnliches) Unterwerfungsgeschehen
Eine kosmische Katastrophe
Auferstehung und Verwandlung
Rettung Israels
Diese sehr verschiedenen Themen lassen sich nicht einheitlich herleiten. Man kann nur sagen, dass sie zu einer breiten „Denktradition“ gehören, eben der apokalyptischen. Eine Gesamtentwicklung ist nicht feststellbar, auch nicht in Richtung Parusieverzögerung (s. o.)
Mystik
Das frühe Christentum ist ein Zweig frühjüdischer Mystik. Relevant sind die kultisch orientierten Hymnen von Qumran, vor allem die sog. Sabbatliturgie.
Berger versteht unter Mystik eine gegenwärtige bewusste und ganzheitliche Erfahrung des Nicht-Sichtbaren, insbesondere als Gemeinschaft mit (in Bezug auf unser Thema) Vater, Sohn, Geist, Engeln, Mose, Elia usw. „Bewusst“ in dem Sinne, weil es nicht um Träume oder autoritative Vollmacht, sondern um eine ganzheitliche Erfahrung geht. Das Wahrgenommene ist allerdings der alltäglichen Erfahrung verschlossen, für einen Unbeteiligten nicht sichtbar noch anwesend (Transzendenz).
Das Austreiben der Dämonen in der synoptischen Tradition, oder das Überwinden von Geistermächten bei der Erhöhung (JohEv, 1 Petr, Eph), oder die Eröffnung des Zugangs zu Gottes Thron durch den Tod Jesu (Paulus, Hebr) zählen dazu.
Berger nimmt eine Verschränkung der Eschatologie mit der Mystik (nach seiner Definition) an. Bei Mystik geht es um nicht um die zeitliche, sondern die räumliche und personale Nähe Gottes. Die Mystik teilt die dualistische Struktur der Naherwartung (Himmel oder Hölle, Gott und Engel vs Teufel und Dämonen). Die Mystik bildet ein Korretiv zur einseitig futuristischen Eschatologie. Beides ist miteinander verschränkt und die Mystik ist nicht - entgegen früherer Annahmen - als Antwort auf die gescheiterte radikale Naherwartung (s. o.) zu sehen.
Das Ende der Ewigkeit
ääh des Beitrages
Wenn du bis hierher gelesen hast, hast du das Ende des Beitrages erreicht. Ich hoffe es war interessant für dich und danke für deine Aufmerksamkeit
Grüße
fliegerbaer