Moin,
warum hat es denn den palästinensischen Staat 1947 nicht
gegeben?
Willst du die kurze Antwort oder hast du zwei Tage Zeit?
Nun ja, ich versuche mal, mich möglichst kurz zu fassen, auch auf die Gefahr hin, dass einiges vielleicht missverständlich oder unverständlich bleibt.
Anfangen muss man vielleicht bei der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, als die Araber hofften, wie versprochen nach dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches einen einheitlichen arabischen Staat zu bilden, der mindestens Syrien, Palästina und den Libanon umfassen sollte (was Jordanien angeht, bin ich mir gerade nicht sicher, müsste ich nachschlagen). Ein separater pläastinensischer Staat war von arabischer Seite gar nicht vorgesehen und einen eigenen jüdischen Staat in der Gegend hatte bis zum zweiten Weltkrieg sowieso niemand auf dem Schirm.
Dieses Szenario änderte sich zumindest außerhalb Palästinas durch die Judenverfolgung in Europa mit Machtergreifung der Nationalsozialisten. Plötzlich waren zahllose Juden nach außerhalb Europas auf der Flucht und wie wir mittlerweile wissen, gab es kaum Länder, die willig waren, diese Flüchtlinge aufzunehmen (Antisemitismus gab es schließlich nicht nur in Europa). Noch dramatischer wurde die Situation nach Kriegsende, als die Juden, die irgendwie den Holocaust überlebt hatten, dazu kamen. Nach Europa in ihre Heimatländer zurückzukehren, bzw. dort zu bleiben, kam für viele Juden verständlicherweise nicht in Frage.
Ein jüdischer Staat in Palästina schien hierfür die optimale Lösung, zumal man damals auch noch wenig anti-imperialistische Vorbehalte hatte. Die Denke, dass es völlig ok ist, Land zu annektieren, um dort Staaten zu gründen oder zu siedeln, auf Kosten der bislang dort lebenden Bevölkerung, dürfte zu der Zeit in noch vielen Köpfen vorhanden gewesen sein, die teilweise die Hochzeiten des europäischen Imperialismus ja noch miterlebt hatten.
Die Palästinenser sahen darin natürlich vor allem eins: Eine schreiende Ungerechtigkeit. Im Buch „Die Geburt Israels“ von Simcha Flapan wird Walid Khalidi folgendermaßen zitiert:
Die Palästinenser sahen nicht ein, weshalb sie für den Holocaust bezahlen sollten (das schlimmste Verbrechen gegen die Menschheit, begangen in Europa von Europäern).[…] Sie sahen nicht ein, weshalb es für die Juden nicht zumutbar sein sollte, als Minderheit in einem geeinten Palästinenserstaat zu leben, während es für knapp die Hälfte des palästinensischen Volkes - der eingeborenen Mehrheit auf dem Boden ihres Vaterlandes - zumutbar sein sollte, über Nachht zu einer fremdbeherrschten Minderheit zu werden, wie der Teilungsplan es für den neuen jüdischen Staat vorsah.
Hinzu kam, dass es weder auf jüdisch/zionistischer Seite, noch auf arabisch/palästinensischer Seite eine Einigkeit bezüglich der Teilung gab. Viele Zionisten wie Ben Gurion sahen in der Teilung nur einen ersten Schritt, dem nach Möglichkeit eine weitere territoreale Ausdehnung folgen sollte, während die meisten der einwandernden Juden vermutlich einfach nur froh waren, endlich einen Ort für sich gefunden zu haben, in der Hoffnung, dort nun in Frieden leben zu können.
Auf arabischer Seite war das für diejenigen Araber (Arabische Liga), die sich letztendlich im AHC durchsetzten (Stimmen, die sich für eine Zwei-Staaten-Regelung aussprachen, wurden aus dem AHC damals einfach ausgeschlossen), einen arabischen Großstaat wie oben erwähnt anstrebten, natürlich völlig inakzeptabel. Allerdings hatte sich in den letzten Jahrzehnten in Palästina auch erstmal eine intellektuelle palästinensische Schicht gebildet, die politisch eher „links“ ausgerichtet war (Liga zur nationalen Befreiung), und die bereit war, die Teilung zu akzeptieren und bereits eng mit „linken“ jüdischen Organisationen zusammenarbeitete. (Diese Kraft sollte man nicht unterschätzen. Als die Liga sich nach Gründung des Staates Israels mit den jüdischen Kommunisten zur Israelischen Kommunistischen Partei zusammenschloss, war sie die zahlenmäßig stärkste organisierte politische Kraft der arabischen Palästinenser in Israel). Dies rief aber wiederum andere anti-kommunistische Gegner sowohl auf arabischer, als auch auf jüdischer Seite auf den Plan. So wird Moshe Scharett, einer der Mitgründer Israels, als er dafür kritisiert wurde, dass er sich nicht ausreichend für die Bildung eines Palästinenserstaats in der West Bank eingesetzt hat, mit den Worten zitiert: „Wissen Sie auch, was für eine Regierung wir in diesem Staat hätten? Eine Kommunistenregierung“ (Mapam, politischer Ausschuss, 13. Jan. 1948, MGH)
Somit spitzte sich die Lage immer weiter zu und wurde immer militanter. Ein Großteil der jüdischen und palästinensischen Einwohner, die einfach nur in Frieden gerne auch zusammen in Palästina leben wollten, bekam diese unheilvolle Großwetterlage natürlich auch mit, war aber relativ machtlos. Sie versuchten sich nur dadurch zu helfen, dass zahllose (man geht von mehreren Hunderten) Vereinbarungen zwischen kleinen benachbarten jüdischen und arabischen Siedlungen geschlossen wurden, dass sie keine Angriffe, Provokationen und andere feindseligen Handlungen unternehmen sollten. Ähnliche Vereinbarungen wurden auch zwischen jüdischen und arabischen Belegschaften an gemeinsamen Arbeitsstätten wie Seehäfen, der Eisenbahn, jüdischen und arabischen Geschäftsleuten und Händlern etc. geschlossen.
Genutzt hat es wie man weiß letztendlich nichts. Auf beiden Seiten haben damals die Kriegstreiber gewonnen (die zumindest auf arabischer Seite teilweise nicht mal in Palästina ansässig waren), aber die Bevölkerung Israel/Palästinas leidet darunter bis heute.
Gruß
Marion