Die 'Kopernikanische Revolution' als Metapher

Hallo!

Mich würde interessieren, weshalb die „Kopernikanische Revolution“, als ursprünglich bloßer Paradigmenwechesel (wenn überhaupt, den Heliozentrismus gab es ja bereits) in der Astronomie zur zentralen Metapher für erkenntnistheoretische Vorgänge wurde.

War denn tatsächlich Kant der erste, der (in der zweiten Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft) die „Kopernikanische Revolution“ für erkenntnistheoretische Vorgänge benutzte, oder gab es Vorläufer, die schon vor Kant aus Kopernikus’ Schrift über die Revolution (der Himmelskreise; De Revolutionibus Orbium Coelestium) eine Revolutionsschrift machten?

Dann die Zuspitzung bei z.B. Freud (die Kopernikanische Revolution als eine der drei Kränkungen des Menschen) oder Kuhn (die Kopernikanische Revolution als allgemeines Muster einer jeden wissenschaftlichen Revolution) oder beim Husserl der 30er Jahre, von dem es ein Fragment gibt, das den Titel trägt: Umsturz der kopernikanischen Lehre: die Erde als Ur-Arche bewegt sich nicht, womit er auf maximal zugespitzte Weise verdeutlicht, dass der Begriff „Kopernikus“ in der Philosophie längst nicht mehr für Astronomisches steht, sondern für Erkenntnistheoretisches (und Anthropologisches) - und als solches auch widerlegt und bekämpft werden muss.

Wie kann man sich diese extreme Zuspitzung erklären?

Welche Rolle spielt für diese Metaphorisierung/Verschiebung des Revolutions- und des Kopernikusbegriffs von der Astronomie zur Erkenntnistheorie die parallel dazu verlaufende Metaphorisierung/Verschiebung des astronomischen Revolutionsbegriffs für politische Ereignisse?

Letzteres wird by the way beim russischen Linguisten Nikolay Yakovlevich Marr maximal zugespitzt als er die „Kopernikanische Revolution“ mit der Russischen Revolution verband (Sprache als Überbau der Ökonomie, welcher den ökonomischen und politischen Ereignissen nachhängt; die Proletarier brauchen eine neue szientifische Sprache ohne reaktionäre Wendungen wie „die Sonne geht im Osten auf“)

Vielen Dank für eure Anregungen :wink:

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Mich würde interessieren, weshalb die „Kopernikanische Revolution“, als ursprünglich bloßer Paradigmenwechesel (wenn überhaupt, den Heliozentrismus gab es ja bereits) in der Astronomie zur zentralen Metapher für erkenntnistheoretische Vorgänge wurde.

Hallo Du machst einen Fehler, wenn Du schreibst „bloßer Paradigmenwechsel“
Paradigma heißt Beispiel und soll das Beispielhafte am Neuen der gemeinten Epoche verdeutlichen. Was Politiker, Journalisten und Sonntagsredner für paradigmatisch halten, wird kaum einen Zeitenumbruch auslösen. Das tut aber ein Paradigmenwechsel dem Wortsinn nach.

Es ist nicht nur die Sonne im Zentrum; das Neue war, daß Kopernikus, verdeckt zwar, der Kirche widersprochen hat, so daß man im Vatikan unruhig wurde. Ohne Galilei, de Brahe, Bruno, Kepler und Newton hätte das ganze noch ein wenig gedauert, aber Kopernikus stand am Anfang.

Danke, Eckhart!

Du machst einen Fehler, wenn Du schreibst „bloßer
Paradigmenwechsel“
Paradigma heißt Beispiel und soll das Beispielhafte am Neuen
der gemeinten Epoche verdeutlichen. Was Politiker,
Journalisten und Sonntagsredner für paradigmatisch halten,
wird kaum einen Zeitenumbruch auslösen. Das tut aber ein
Paradigmenwechsel dem Wortsinn nach.

Schon richtig, aber warum für die Philosophie gerade Kopernikus zum „Beispiel“ dieses Zeitenumbruchs gemacht wurde, und zwar in teilweise so zugespitzter Form, das ist ja quasi meine Frage selbst.
Insofern kann ich das nicht einfach voraussetzen, denn da gäbe es ja auch ganz andere Kandidaten für große „Paradigmenwechsel“.

Es ist nicht nur die Sonne im Zentrum
; das Neue war, daß
Kopernikus, verdeckt zwar, der Kirche widersprochen hat, so
daß man im Vatikan unruhig wurde.

Häresie war aber nicht wirklich etwas Neues, auch nicht zu Kopernikus’ Zeiten.

Vielleicht ist es eher die Kombination von beidem: Häresie in der speziellen Form der Astronomie bzw. in der des Heliozentrismus, denn so viel krassere Häretiker wie Savonarola etc. stellen für uns Heutigen ja auch keine Zeitenwende dar.

Ohne Galilei, de Brahe,
Bruno, Kepler und Newton hätte das ganze noch ein wenig
gedauert, aber Kopernikus stand am Anfang.

Klar, im Namen „Kopernikus“ wird diese ganze spätere Entwicklung ja quasi verdichtet.
Dennoch sagt das natürlich nichts darüber aus, warum gerade eine Erneuerung in der Astronomie eine so große Bedeutung für die neuzeitliche Philosophie erhalten hat - wenn auch nur in metaphorischer Form.

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Nachtrag

Du machst einen Fehler, wenn Du schreibst „bloßer
Paradigmenwechsel“

Nein, das war unglücklich von mir formuliert bzw. durch die Parenthese zerrisen: ich meinte: „bloßer Paradigmenwechsel in der Astronomie“ bzw. „bloß astronomischer Paradigmenwechsel“.

Hallo Candide, Du hast mit Deiner Frage recht. Hier wird, soweit ich weiß, ein solcher Wechsel als einziger an einer Person festgemacht. Andere Übergänge (Jasperssche Achsenzeiten), die erste: an Homer, Pindar, Aischilos, die nächste, nun wirkliche Zeitenwende an den Männern um Jesus und dann die vom Mittelalter zur Neuzeit, von Aberglauben und Dogma zu wissenschaflichem Forschen an zunächst angelsächsischen dann Festland-europäischen Denkern.

Der Impakt bei Kopernikus kommt wohl von dem Sinnbild, hier wird in der Tat ein Weltbild umgekrempelt. Wir können uns die Erschütterung der Heilsgewissheit so vieler, die damit verbunden war, nicht mehr so richtig ausmalen. Wir sind da abgebrühter und ertragen es leicht, als bedeutungslose Stäubchen durchs All zu segeln. In diesem Rückblick erscheint die Kopernikanische Wende dann doch einschneidend und verdient herausgehoben zu werden. Gruß, eck.

Da warst Du schneller als ich auf dem Senden-Knopf, die Antwort ist im vorangehenden Text schon enthalten.

Meinen Dank nochmal, lieber Eckhart!

Der Impakt bei Kopernikus kommt wohl von dem Sinnbild, hier
wird in der Tat ein Weltbild umgekrempelt. Wir können uns die
Erschütterung der Heilsgewissheit so vieler, die damit
verbunden war, nicht mehr so richtig ausmalen.

Da steckt sicherlich viel Wahres drin, aber in dieser Linie
der „Erschütterung der Heilsgewissheit“, oder von mir aus auch
in der Linie „Gott ist tot“, da ist Kopernikus fraglos nur
einer unter sehr vielen.

Zum zweiten ist zu der Zeit, ab der von der „Kopernikanischen
Revolution“ gesprochen wird, also ab Kant, diese Erschütterung
teilweise schon wieder verebbt, weil wohl spätestens seit dem
18. Jhdt. ein unendlicher und heliozentrischer
(geo-dezentrischer) Kosmos problemlos neben dem
Verständnis einer endlichen und Gott- bzw.
Mensch-zentrierten Welt existieren konnte.

Ich denke also, platt gesagt, dass es eher um eine spezifisch
astronomische „Erschütterung der Heilsgewissheit“ geht, bei
der auf metaphorischer Ebene der Heliozentrismus im
Kontext einer Gegenthese zu den kirchlichen Dogmen mit seinen
Sonne- und Lichtkonnotationen perfekt korrespondiert mit der
„Aufklärung“, die man als ein Denksystem mit
Licht-Schatten-Metaphorik bezeichnen kann.

Insofern würde ich die beiden Verwendungen der
„Kopernikanischen Revolution“ bei Freud und Husserl auch als
verschobene (und sicherlich ambivalente) Aufklärungskritik
verstehen wollen.


[Ein Artikel über die Verwendung des Ausdrucks bei Freud war
übrigens auch der Anreger für meine Frage hier, darum
fokussiere ich mich darauf. Ich bin ja letztlich hier nur auf
der Suche nach Anregungen bezüglich meiner Freud-Lesart in
dieser Frage.]

Wir sind da
abgebrühter und ertragen es leicht, als bedeutungslose
Stäubchen durchs All zu segeln. In diesem Rückblick erscheint
die Kopernikanische Wende dann doch einschneidend und verdient
herausgehoben zu werden.

Das war jetzt, ohne dass du das vielleicht bewusst machtest,
eindeutig eine Freudsche Hypothese :wink:

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Hallo.

Es geht um den Wechsel der Perspektive: in der Astronomie um die Feststellung, dass (entgegen dem ersten Schein) nicht die Erde im Mittelpunkt steht, sondern die Sonne – es ist ein völliges Umdenken. In der Philosophie (Erkenntnistheorie) geht es darum, dass nicht mehr das Objekt dem Menschen vorschreibt, „wie“ Erkenntnis abläuft und der Erkenntnisprozess (inkl. Erkenntnisgrenzen) abzulaufen hat, sondern dass der Mensch quasi den Objekten den Rahmen der Erkenntnis (bzw. Erkennbarkeit) vorschreibt.

Dass die Bezeichnung Kopernikanische Wende als Metapher verwendet wird, muss man dann einfach hinnehmen. Hier hat Kant einen entscheidenden Anteil. Wissenschaftshistorisch ist es sicherlich so, dass man Kopernikus (allein) als Person nicht für eine solche Revolution heranziehen kann (da der Wechsel vom geo- zum heliozentrischen Weltbild in einen äußerst breiten und lange dauernden Kontext einzubetten ist), als Metapher ist aber klar, um was es geht (zu Zeiten Kants wie heute).

Viele Grüße

Hallo!

Vielen Dank auch für deine Antwort und Anregungen.

Ich komm mir ein bißchen blöd dabei vor, die Antworten, die ich erhalte, zu zerpflücken. Da meine Frage(n) aber größtenteils keine direkt beantwortbaren sind, sondern eher „Einladungen“ zum gemeinsamen reflektieren, erlaube ich mir, die Antworten zu kommentieren, ohne dass das in irgendeiner Weise deren Wert schmälern soll.

Es geht um den Wechsel der Perspektive: in der Astronomie um
die Feststellung, dass (entgegen dem ersten Schein) nicht die
Erde im Mittelpunkt steht, sondern die Sonne – es ist ein
völliges Umdenken. In der Philosophie (Erkenntnistheorie) geht
es darum, dass nicht mehr das Objekt dem Menschen vorschreibt,
„wie“ Erkenntnis abläuft und der Erkenntnisprozess (inkl.
Erkenntnisgrenzen) abzulaufen hat, sondern dass der Mensch
quasi den Objekten den Rahmen der Erkenntnis (bzw.
Erkennbarkeit) vorschreibt.

Gut, es geht um den Wechsel der Perspektive n. Das sind zwei Perspektivenwechsel, die erst mal keine offensichtliche innere Verbindung zueinander haben, wie das Kant ja auch ganz klar sagt.

Übrigens: es führt ein wenig in die Irre, dass der Kopernikanische Heliozentrismus mit dem „ersten Schein“ brechen würde, also mit der Alltagswahrnehmung.
Denn bereits das Ptolemäische System war nicht mehr auf dem Stand einer Alltagswahrnehmung bzw. eines ersten Scheins. Es war überaus komplex geworden und hatte im Lauf der Zeit allerlei ad-hoc Annahmen erhalten, sprich es war total überladen und so komplex und widersprüchlich geworden, dass man es nicht mehr „reparieren“ konnte. Darum die Notwendigkeit zum „Paradigmenwechsel“ (so zumindest Kuhns Erklärung; Kant sagt ähnliches).

Dass die Bezeichnung Kopernikanische Wende als Metapher
verwendet wird, muss man dann einfach hinnehmen.

Klar ist der Term eine Metapher. Das stört mich auch gar nicht :wink:

Die Frage ist: Warum ist gerade der Kopernikanische Paradigmenwechsel zu einer solchen zentralen Metapher für die Philosophie geworden. Wäre das nur bei Kant geschehen, wäre das nicht interessant (und auch gut nachvollziehbar), aber bei Freud, bei Husserl, bei Kuhn, etc. da gehts bei der Verwendung dieser Metapher ja gar nicht mehr um eine Kantsche Problematik, und auch nicht um ein und dieselbe Problematik.
Die Metapher hat also ein gewisses monströses Eigenleben in der Philosophie angenommen, so dass Husserl sogar die Notwendigkeit sieht, den Kopernikanismus in gewisser Weise zu widerlegen - und zwar als Metaphernsystem, nicht als astronomisches System natürlich.
Der Linguist Marr wollte sogar mit Hilfe Stalins (und es ist klar, was das heißt) das kopernikanische Denken in der Alltagssprache verankert wissen.

Wissenschaftshistorisch ist es
sicherlich so, dass man Kopernikus (allein) als Person nicht
für eine solche Revolution heranziehen kann (da der Wechsel
vom geo- zum heliozentrischen Weltbild in einen äußerst
breiten und lange dauernden Kontext einzubetten ist),

das ist natürlich völlig klar

als
Metapher ist aber klar, um was es geht (zu Zeiten Kants wie
heute).

Naja, so klar ist das nicht, mir zumindest nicht.
Es geht um eine „Perspektivenverschiebung in der Metaphysik“ (Kant), um „wissenschaftlichen Paradigmenwechsel par excellence“ (Kuhn, Goodman), um eine von drei „anthropologischen Kränkungen“ (Freud), um eine Art „anthropologische Entfremdung“ (Husserl), allgemein um „Dezentrierung“ (Postmoderne), usw.

Das ist heterogen, und nur bei Kant gehts um einen eindeutige Analogie-Verbindung zwischen der Kopernikanischen und der Philosophie. Bei Kuhn und Goodman eher um eine synekdochische Beziehung. Bei Freud und Husserl gehts im Gegensatz zu Kant und Kuhn um eine Sichtweise zweiter Ordnung, also nicht um die Bedeutung der Kopernikanischen Wende für die Wissenschaft, sondern um die Bedeutung der Kopernikanisch gewendeten Wissenschaft für den Menschen, um das mal so auszudrücken, usw., man könnte hier bestimmt noch einige Autoren nennen, die mit der Metapher „K.W.“ arbeiten.

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Übrigens: es führt ein wenig in die Irre, dass der
Kopernikanische Heliozentrismus mit dem „ersten Schein“
brechen würde, also mit der Alltagswahrnehmung.
Denn bereits das Ptolemäische System war nicht mehr auf dem
Stand einer Alltagswahrnehmung bzw. eines ersten Scheins. Es
war überaus komplex geworden und hatte im Lauf der Zeit
allerlei ad-hoc Annahmen erhalten, sprich es war total
überladen und so komplex und widersprüchlich geworden, dass
man es nicht mehr „reparieren“ konnte. Darum die Notwendigkeit
zum „Paradigmenwechsel“ (so zumindest Kuhns Erklärung; Kant
sagt ähnliches).

Durch die Verbindung von aristotelischer Naturphilosophie (als gültigem physikalischen System) und ptolemäischer Astronomie war eine größtmögliche Übereinstimmung erreicht worden, die dennoch natürlich nicht bei 100 Prozent lag. Zudem waren die komplexen Ad-hoc-Hypothesen à la Epizykeln etc. eine Notwendigkeit, um eben doch die Alltagsbeobachtung (weitestgehend) in ein astronomisches Modell zu übertragen. Es war weniger die Widersprüchlichkeit des Systems mit der Beobachtung, als vielmehr der (sich auf verschiedenen Ebenen äußernde) Wunsch, wieder – Du hast es gesagt – zu einem einfacheren System zurückzukehren und damit eine Widersprüchlichkeit bzgl. gewisser (natur)philosophischer Grundannahmen. Trotzdem war auch Kopernikus am Ende wieder bei Epizykeln und Exzenterpunkten angelangt – jetzt wenigstens ohne Ausgleichspunkte.

Was die Frage nach der besonderen Rolle anbelangt (egal, ob bei Kant, Freud etc.): es ist wohl eine Frage der Pragmatik – aber welches andere Beispiel (trotz aller Vereinfachung) ist denn besser geeignet (insbesondere eben z.B. für einen Kant – Freud konnte aufgrund seiner zeitlichen Verortung auf mehr zurückgreifen), um eine so vielfältig wirkmächtiges Phänomen der Philosophie-, Geistes- und Wissenschaftsgeschichte zu beschreiben?

Es sind – aus wissenschaftlicher Erkenntnis kommend – nun einmal v.a. die Entwicklungen der Kosmologie, Evolutionsbiologie und Neurowissenschaften, welche dem Menschen immer wieder einen heftigen Schlag versetzen haben und ihn zum Umdenken gezwungen haben.

Lieber Candide,

eine sehr interessante Frage!

Mich würde interessieren, weshalb die „Kopernikanische
Revolution“,

Kopernikus war ja nun alles andere als ein Revolutionär
und genau dieser Umstand scheint mir psychologisch gesehen
ein eminent wichtiger. Er tat herzlich wenig dazu, diesen
Umbruch herbeizuführen, ein wenig Geschichte mag dies
belegen:
„De revolutionibus“ war schon vor 1530 vollendet und seine
ersten Einsichten, „der Erdmittelpunkt ist nicht Mittelpunkt
der Welt“ etc. hatte er bereits nach 1505 formuliert,
aber erst 1543 wurde „De revolutionibus“ veröffentlicht,
mit gerade einmal 1000 Exemplaren, die nie vollständig verkauft
wurden und hat bis 1873 nur 4 Neuauflagen
erfahren. Ich habe das gerade noch einmal nachgeschlagen.
Und ein anderer J. Rhetikus, mußte Kopernikus zur
Drucklegung überreden, er verfasste die „Narratio prima“,
einen ersten Bericht über Ks. Konstrukt.
Man kann spekulieren was aus Kopernikus Werk geworden
wäre, hätte nicht von aussen diese Eigendynamik gegriffen.
Und man kann „soziologisch“ gesehen spekulieren, welche
kausalen Einflüsse nie bekannt gewordene und in
Vergessenheit geratene (Mit-)Denker hatten!?
K. hatte Angst sich als Wissenschaftler zu blamieren
und weniger Angst vor der Kirche, wie man oft meint.
Philosophy of science hat das ja bereits erwähnt, es
war ein sukkzessiver Wandel im Denken und kein radikaler
Umbruch. Und genau dies macht m.E. einen wichtigen Teil
des Erfolges aus. Dem Psychologen Candide brauche ich
sicher nicht zu vermitteln welche Widerstände radikale
Schreihälse erfahren und dass das weiche Wasser den
Stein höhlt.

als ursprünglich bloßer Paradigmenwechesel (wenn
überhaupt, den Heliozentrismus gab es ja bereits) in der
Astronomie zur zentralen Metapher für
erkenntnistheoretische Vorgänge wurde.

Genau das ist der nächste wichtige Punkt, den du
bereits vorgedacht hast, nicht nur den Heliozentrismus
gab es bereits, auch hatte Aristarchos bereits
300 v.Chr. die Idee, dass sich die Erde um die
Sonne dreht. Nichts ist stärker, als eine Idee
deren Zeit gekommen ist. Ein weiterer wichtiger
Punkt war der einfache Fakt, dass die Menschen
langsam die dazu notwendige Reife entwickelt
hatten. Was du mit deiner Aussage wohl auch
andeuten willst.

Die Quintessenz der kopernikanischen Wende wird
in seiner Formulierung deutlich:

„Deshalb halte ich es vor allen Dingen für notwendig,
daß wir sorgfältig untersuchen, welche Stellung die
Erde zum Himmel einnimmt, damit wir, während wir
das Erhabenste erforschen wollen, nicht das
Nächstliegende außer acht lassen und irrtümlich,
was der Erde zukommt, den Himmelskörpern zuschieben.“

Korrelierend mit dieser Aussage lassen sich analog
deine ganzen Beispiele analysieren wie:

War denn tatsächlich Kant der erste, der (in der zweiten
Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft) die
„Kopernikanische Revolution“ für erkenntnistheoretische

Und nicht nur erkenntnistheoretisch, auch seine Ethik
lässt sich da wunderbar einfügen! Kein erhabenes überirdisches
Wesen, sondern des Menschen nächstes, seine intrinsische Vernunft!

Dann die Zuspitzung bei z.B. Freud (die Kopernikanische
Revolution als eine der drei Kränkungen des Menschen)

Ob du als Einzelkind verstehen kannst, was es bedeutet,
wenn man nicht mehr Mittelpunkt der familiären Welt ist,
sondern diese plötzlich mit gleichwertigen Geschwisterchen
teilen muss? scnr :wink:)

Leider muss ich hier abbrechen, die Pflicht ruft.

Prächtige Grüße
Powenz

Vielen Dank, lieber Powenz, für deinen interessanten Artikel.

Mich würde interessieren, weshalb die „Kopernikanische
Revolution“,

Kopernikus war ja nun alles andere als ein Revolutionär
und genau dieser Umstand scheint mir psychologisch gesehen
ein eminent wichtiger.

Also wäre es, so gesehen, eine Art „Verleugnung“ des Revolutionären, gerade ihn nachträglich (also um Jahrhunderte verschoben) zum Paradigma des Revolutionärs zu machen (und nicht etwa einen Bruno beispielsweise), bzw. auch die ganze „revolutionäre“ Bewegung in diesem Eigennamen zu verdichten.

War denn tatsächlich Kant der erste, der (in der zweiten
Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft) die
„Kopernikanische Revolution“ für erkenntnistheoretische

Und nicht nur erkenntnistheoretisch, auch seine Ethik
lässt sich da wunderbar einfügen! Kein erhabenes überirdisches
Wesen, sondern des Menschen nächstes, seine intrinsische
Vernunft!

Richtig!
Das Ethische bei Kant hatte ich in diesem Zusammenhang ja ganz ausgeblendet. Wie dumm von mir, weil dies zu den vielen genannente Dimensionen ja nochmal eine neue Dimension ist.

Was ich übrigens bis heute noch gar nicht wusste war, dass Herder Jahrzehnte vor Kant (allerdings wohl erst posthum veröffentlicht) diesen Gedanken der „Kopernikanischen Revolution“ (ohne den Revolutionsbegriff zu nennen) bereits in einem philosophischen Zusammenhang gebrauchte (und zwar sehr ähnlich wie Kant das dann machte, nur dass das, was bei Kant der Mensch bzw. das menschliche Anschauungsvermögen ist, bei Herder das Volk ist):
Alle Philosophie die des Volkes sein soll, muß das Volk zu seinem Mittelpunkt machen, und wenn man den Gesichtspunkt der Weltweisheit in der Art ändert, wie aus dem Ptolemäischen System das Kopernikanische System ward, welche neuen fruchtbaren Entwicklungen müssen [sich?] hier … zeigen …"
Herder, Problem: wie die Philosophie zum Besten des Volkes allgemein und nützlich werden kann (1765), zitiert nach: Lutz Danneberg, „Ganzheitsvorstellungen und Zerstückelungsphantasien“, in: Scheuner/Zeuch (Hrsg.), „Mimesis, Repräsentation, Imagination“, S. 273

Dann die Zuspitzung bei z.B. Freud (die Kopernikanische
Revolution als eine der drei Kränkungen des Menschen)

Ob du als Einzelkind verstehen kannst, was es bedeutet,
wenn man nicht mehr Mittelpunkt der familiären Welt ist,
sondern diese plötzlich mit gleichwertigen Geschwisterchen
teilen muss? scnr :wink:)

Aus dieser Passage ergeben sich für mich zwei eminent wichtige Fragen:

  1. Woher weisst du, dass ich ein Einzelkind bin
  2. Woher kennst du meine Freundin Beate, die im Juli`d.J., als ich sie kaum mehr als 5 Minuten kannte, ohne jeden Anhaltspunkt sagte: „Das kannst du als Einzelkind doch gar nicht nachvollziehen“?

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P.S.: Unerwarteterweise bringt Google nichts Vernünftiges zum Suchwort „Kopernikanische Konterrevolution“ :wink:

Dafür aber eine Magisterarbeit zur „Zweiten Kopernikanischen Wende“ Adornos, was ja irgendwie ähnlich ist:
http://tobias-lib.ub.uni-tuebingen.de/volltexte/2008…

Hallo!

Was die Frage nach der besonderen Rolle anbelangt (egal, ob
bei Kant, Freud etc.): es ist wohl eine Frage der Pragmatik –
aber welches andere Beispiel (trotz aller Vereinfachung) ist
denn besser geeignet (insbesondere eben z.B. für einen Kant –
Freud konnte aufgrund seiner zeitlichen Verortung auf mehr
zurückgreifen), um eine so vielfältig wirkmächtiges Phänomen
der Philosophie-, Geistes- und Wissenschaftsgeschichte zu
beschreiben?

Mir gehts ja weniger um die Verwendung der Metapher bei den einzelnen Autoren, sondern um das ganze komplexe Eigenleben und die ‚Dissemination‘ (wie Derrida es vielleicht ausdrücken würde), die diese Metapher in der Philosophie seit Kant (oder eben schon vorher?) erhalten hat, aber eben nicht rein auf Kant bezogen.

Die (sinngemäße) Frage: Hätte Kant nicht ein besseres Beispiel zur Darstellung seiner Umwendung der Metaphysik finden können?, ist eine unmögliche Frage, finde ich.

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Lieber Candide,

  1. Woher weisst du, dass ich ein Einzelkind bin

im Gegensatz zu deiner Freundin kenne und schätze
(bei „schätze“ Gegensatz gestrichen) ich dich ja
schon ein paar Jährchen, außerdem habe ich ein gutes
Gedächtnis, du hast das mal erwähnt.

Gruß
Powenz

*nachkopernikansicherKonterrevolutionsuchend*

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