Die leerheit im buddhismus

Hallo,
ich erlaube mir zunächst einen Hinweis: eine etwas sorgfältiger und damit auch verständlicher formulierte Frage würde bei der Beantwortung helfen. Etwas ausführlicher dürfte sie auch formuliert werden - für eine einigermaßen verständliche und sinnvolle Antwort kann man sich auch nicht nur auf einen Satz beschränken.

Um die Frage zu beantworten bzw. die Antwort zu verstehen, muss erst einmal wenigstens ansatzweise klar sein, was die Begriffe „leer“ (śūnya) bzw. „Leere“ (śūnyatā) und Eigennatur (svabhava) im buddhistischen Kontext bedeuten.

Um zunächst einmal den Begriff „Leere“ historisch einzuordnen: er gehört als philosophischer Begriff noch nicht dem frühen Buddhismus an, sondern wird erst mit dem Werk Nāgārjunas (ca. 2. Jhdt. n.d.Z.) fassbar. Zentrale Bedeutung hat die von Nāgārjuna begründete Mādhyamaka-Philosophie für das Mahāyāna, sie ist eine der wichtigsten Quellen, die zur Formierung des Mahāyāna führten. „Leere“ ist also im Kontext des Mahāyāna ein Kernbegriff, während er im Theravada und in den (untergegangenen) historischen Hīnayāna-Schulen keine Rolle spielt. Der grundsätzlichen Unterschied wird häufig auf den kurzen Nenner gebracht, dass mit der Einführung des śūnyatā-Begriffes die Anātman-Lehre (pudgalaśūnyatā - die Person ist leer von einem ātman, d.h. einem unveränderlichen ‚Kern‘/ einer ‚Seele‘) zu einer dharmaśūnyatā-Lehre erweitert wurde (alle ‚Dinge‘ / Seinsfaktoren sind leer von einem ‚Eigensein‘).

Ihre Grundlage hat diese Lehre in der buddhistischen Phänomenologie, in der es eine vergleichbar scharfe Trennung von Subjekt und Objekt, von Wahrnehmendem und Wahrgenommenen wie in der westlichen idealistischen Philosophie nicht gibt. Den ‚subjektiven‘ Fakultäten sinnlicher und mentaler Wahrnehmung (indriya) entsprechen zwar ‚Objekte‘ (viṣaya), diese Objekte und ihre eigentliche Beschaffenheit sind jedoch für die frühe buddhistische Philosophie von nachrangigem Interesse - anders als bei Plato und im Idealismus. Man hat sich im Buddhismus vielmehr für die Funktion interessiert, die diese ‚Wahrnehmungsbasen‘ aus indriya und viṣaya (ṣaḍāyatana) im Kontext der empirischen Person (pudgala) ausüben, insbesondere als Bedingungen mentaler Formen (caitasika). Damit stehen die ṣaḍāyatana als eines der 12 Glieder (nidāna) des Konditionalnexus (pratītyasamutpāda, wechselseitig bedingtes Entstehen) im Fokus von Untersuchungen dessen, was gerne (und falsch) als buddhistische „Wiedergeburtslehre“ bezeichnet wird.

Bezeichnen wir (etwas vereinfachend) die Objekte der Wahrnehmung, die im klassischen Idealismus Erscheinungen von Ideen bzw. bei Kant eines ‚Dinges an sich‘ sein sollen, mit dem buddhistischen Begriff ‚dharmas‘, wobei zu beachten ist, dass ‚dharmas‘ die ‚Dinge‘ bezeichnet, wie sie wahrgenommen werden und nicht wie sie sind. Im Herzsutra seht die bekannte Formel: sarva-dharmah śūnyatā-lakṣaṇa - alle Dinge (dharmas) haben das Merkmal (lakṣaṇa) der Leerheit (śūnyatā). Nun ist Merkmal, lakṣaṇa, im buddhistischen Kontext ein Wechselbegriff zu svabhāva, Eigen-Sein oder Für-Sich-Sein. Merkmal (lakṣaṇa) ist im buddhistischen Kontext nicht einfach ein Attribut oder Akzidens (wie in der abendländischen Philosophie) sondern das, was die unterscheidbare Identität, eben das Für-sich-Sein eines Dinges, ausmacht. Svabhāva in diesem Sinne heisst, exklusiv(!) sein eigenes Merkmal (svalakṣaṇa) zu besitzen.

Nāgārjuna zeigte nun bei seinen Untersuchungen mithilfe logischer Dekonstruktion, dass den dharmas eben keine unterscheidbare Identität, kein Für-sich-Sein (svabhāva), zugewiesen werden kann, sondern dass sie dieses nur scheinbar besitzen. In diesem Sinn spricht Nāgārjuna von Leere (śūnyatā). Das hat jedoch weniger den Sinn, eine nihilistische Ontologie zu formulieren, sondern eine psychagogische Funktion: durch die Dekonstruktion einer scheinbar festfügten Sicht vom Sein soll das ‚Ergreifen‘ / Anhaften an (upādāna) den dharmas aufgehoben werden. Dass Nāgārjunas ‚Leere‘ nicht nihilistisch verstanden werden darf wird dadurch deutlich, dass er die Leere mit dem Konditionalnexus (dem bereits erwähnten pratītyasamutpāda) identifiziert bzw. gleich setzt. Das bedeutet im Wesentlichen, dass Nāgārjuna einer statischen Weltsicht, die das Sein aus festen, unveränderlichen Objekten zusammengesetzt auffasst, eine dynamische Auffassung entgegen setzt. ‚Die Welt‘ besteht bei ihm nicht aus Dingen bzw. deren Erscheinungen, die interagieren, sondern aus Prozessen, die sich wechselseitig bedingen. Lediglich die entfaltete Vorstellung, das konzeptuelle Denken (prapañca) des Menschen meint hier, ‚Dinge‘ wahrzunehmen. Damit ist auch die Frage beantwortet, was diese ‚leere‘ Welt (wobei ‚leer‘ immer nur eine Verkürzung von ‚leer von einem Für-sich-Sein‘, eine Notationshilfe ist) „zusammenhält“ - es sind die Ursachen und Bedingungen (hetupratyaya), die die angesprochenen Prozesse für weitere Prozesse setzen und über die sie miteinander wechselwirken.

Freundliche Grüße,
Ralf

Hallo zusammen,

Meine Frage ist wenn alles Leer ist und es keine Eigennatur gibt auch kant geschrieben hat kein Ding an Sich was hält dann die Welt nach buddhistischer Sicht zusammen?

Es ist nur leer wenn man danach sucht. Ansonsten ist alles Eins.

okay danke für deine Antwort

Sicher wird Buddhismus-Experte Tychiades darauf detailliert eingehen, deswegen gebe ich nur einen Überblick über die wichtigsten buddhistische Auffassungen von der wahren Natur der Welt.

  • Im frühen Buddhismus (Hinayana) galt die Lehre von den bedingten Dharmas (Daseinsfaktoren), aus denen sich die phänomenale Welt zusammensetzt. Dazu gehören sowohl Dharmas, welche die materiellen Dinge bilden, als auch Dharmas, die das geistige Leben bilden (Bewusstsein, Denken). Sie sind elementar und für Sinnesorgane nicht erkennbar. Da sie keine Substanz oder Essenz haben, d.h. kein Wesen, entstehen und vergehen sie nach dem Kausalitätsprinzip, dem sog. Konditionalnexus. Sie sind leer von Selbstsein bzw. Essenz/Wesen, aber sie existieren.

  • Genau dieses Existieren wird im späteren Buddhismus (Mahayana) durch das neuartige Konzept der ´Shunyata´ negiert. Der wichtigste Vertreter dieser Richtung heißt Nagarjuna. Er lehrte, dass die Dinge (oder die Dharmas) nicht nur leer von Wesen bzw. Selbstsein sind, sondern auch der Existenz ermangeln, d.h. sie sind illusionär. Der dahinter stehende Grundgedanke war die Einsicht in das Unvermögen des begrifflichen Denkens, die Wirklichkeit zu erfassen. Da demzufolge Begriffe wie Dharma, Existenz, Sein und Nichtsein die Wirklichkeit nicht adäquat beschreiben können, müssen sie dialektisch negiert werden. ´Shunyata´ in diesem Sinne ist also paradoxerweise ein Konzept, das alles Konzeptuelle (= Gedachte) als illusionär entlarvt. Nagarjunas Methode bestand, auf den einfachsten Nenner gebracht, darin, Begriffe und ihre Gegenbegriffe synchron zu negieren, z.B. „Es gibt kein Sein und es gibt kein Nichtsein“. Auf der nächsten Stufe heißt es dann: „Weder gibt es kein Sein noch gibt es kein Nichtsein“. Usw. Mit einer modernen Formel kann man diese Methode eine ´Dekonstruktion des logozentrischen Denkens´ nennen. Gemäß dem Shunyata-Konzept ist die wahre Natur der Welt begrifflich bzw. denkerisch nicht adäquat beschreibbar. Sie ist allerdings erkennbar, und zwar mit den Mitteln der meditativen Bewusstseinerweiterung.

Es gibt also im buddhistischen Denken gewisse Parallelen zum Ding-an-sich-Begriff von Kant, aber keine wirkliche Übereinstimmung.

Chan

puuh ganz schön kompliziert deine Antwort…ich wage mal zu bezweifeln und glaube der Buddhismus wollte sich zu sehr vom Hinduismus abgrenzen mit seiner Braham Atman lehre und verliert sich in Begriffen wie Leerheit Soheit und dann gibt es ein Sein und irgendwie doch nicht und dann doch alles zugleich also sein und nicht sein etc… Ich glaub buddha war es einfach leid das Gott so oft und allgenwärtig als leerer Begriff benutzt wird . Wobei es in indien bestimmt nicht so schlimm war wie in der westlichen weilt wo der Begriffr Gott haupsächlich der Macht wegen benutzt worden ist…

Das macht alles schon Sinn, man muss es nur richtig verstehen.

Die Verstandeskategorien können, der Anatman- bzw. Shunyata-Lehre zufolge, die Wirklichkeit nicht erfassen. Also ist alles Festhalten oder Haften an begrifflichen Konzepten illusionär. Daraus folgt logisch, dass Begriffe wie Sein und Nichtsein, aber auch Existenz und - vor allem - das Selbst zu negieren sind - sie sind nur Denkkonstrukte, keine Wirklichkeiten. Das Brahman, das die Brahmanen als das Selbst der Welt und - wegen dessen Identität mit dem individuellen Ich-Kern ´Atman´ - als das Selbst der menschlichen Person bezeichneten (abgeleitet von der Purusha-Idee), suggerierte in den Augen Buddhas einen Ich-Kern bzw. eine Ichlichkeit, die in Wahrheit gar nicht besteht und darüber hinaus auch die Wurzel allen Leidens ist (Dukha-Lehre). Zudem wird diese Welt-und-Person-Selbst substantialisiert, wie z.B. in der Chandogya-Upanishad:

nicht stirbt die lebende Seele. Diese feinste Substanz durchzieht das All, das ist das
Wahre, das ist das Selbst, das bist du … (tat tvamasi).

Daher wird im Mahayana des Nagarjuna jede kategorische Aussage inclusive ihres Gegensatzes negiert. Das dahinter stehende Prinzip nennt sich - ich vergaß darauf hinzuweisen - der Mittlere Weg. Die Grundidee geht auf Buddha zurück, der einen mittleren Weg zwischen strenger Askese und Sinnenlust als einzig vernünftigen Weg zur Erleuchtung empfahl. Nagarjuna hob dieses Prinzip auf eine abstraktere, philosophischere Ebene. Das logische Grundmuster dieser negativen Dialektik ist das sog. Tetralemma. Beispiel (von mir erdacht):

  • Es gibt Sein
  • Es gibt kein Sein
  • Es gibt Sein und es gibt kein Sein
  • Weder gibt es Sein noch gibt es kein Sein

Formalisiert:

  • X
  • Nicht-X
  • X und Nicht-X
  • NIcht - (X oder Nicht-X)

Diese Aussage macht überhaupt keinen Sinn, weil der Begriff ´Gott´ nicht zum Thema gehört. Es geht hier nur um den Wert oder Unwert, den die Begriffe Brahman und Atman und das dahinter stehende Selbst-Konzept des Brahmanismus für Buddha hatte. Er lehnte diese Begriffe und Konzepte aus den genannten Gründen ab.

Das hinduistische Kastensystem braucht sich in puncto Antihumanität vor den diversen westlichen Unterdrückungssystemen nicht zu verstecken. Es gehörte zu den Aufgaben indischer Könige, dieses System zu kontrollieren und zu stabilisieren. Begründet war es in religiösen Dogmen. Die Macht der Könige wurde offiziell unter Berufung auf bestimmte Götter legitimiert, z.B Indra, Varuna, Agni oder Mitra, manchmal auch alle zusammen. Auch Kriegszüge wurden mit dem Willen dieser Götter gerechtfertigt.

Chan