Die Liebe in der Barockmusik

Hallo zusammen!

Ich habe da ein Problem mit der Liebe, und weil ich niemanden verletzen möchte, sage ich gleich, dass ich keine Ahnung habe und auf dem Gebiet Musikwissenschaft ein fortgeschrittener Debütant bin, aber doch gerne eine Lösung des Problems hätte.

Als Grundlage für meine Frage kann ich leider nur auf 2 Opern zurückgreifen:

  1. Lullys Atys und 2. Händels Alcina.

Ich, als eher romantisch veranlagter Mensch, möchte Alcina gerne so sehen wie in Wernickes Inszenierung, als ehrlich und tief liebende Frau, welche ihren Zauber dazu verwendet die Männer in sie verliebt zu machen. Als dieser Zauber zerbricht ist Alcina in ihrer Liebe tief verletzt, die anderen Protagonisten kehren in ihr langweiliges Liebesleben zurück und sind „glücklich“.

Nun zur Frage: Wie muss ich die Liebe in der Barockzeit verstehen?
Kann Händel die Figur Alcina bereits so romantisch sehen? Oder besser: Wenn man der Oper Alcina alles nimmt, was dem barocken Publikum gefallen hat (bühnentechnische Spielereien, Zauberei, Irrungen und Wirrungen der Beziehungen, Happy End…), bleibt dann noch etwas bedeutungsvolles, vielleicht sogar revolutionäres für uns zurück?

Wie ist es mit Atys? Die Göttin Cybèle kommt auf die Erde nieder und verliebt sich dann auch noch. Warum waren für den Barock die antiken Stoffe so wichtig, und weshalb interessierte sich damals jemand für die Liebe zwischen einerm Gott und einem Menschen?

Weiss jemand eine Richtung oder hat jemand einen Anhaltspunkt?

Liebe Grüsse
hl. A. v. P.

Hallo,

eine anregende Frage zu derer Beantwortung man schon ein wenig ausholen muß.
Dieser Link gibt ein gutes Gefühl für das Weltbild:
http://www.wissen.de/thema/barock-weltlust-und-weltf…
Ergänzend dazu kann ich zum 2ten Teil Deiner Frage beisteuern, daß in dieser Zeit bei Adel und aufkommender gebildeter Bürgerschicht noch nicht üblich war, einfache Figuren aus dem Volk als Hauptakteure darzustellen. Man darf nicht vergessen, daß die Stände und das Herrschaftssystem als von Gott gewollt gesehen wurde.

Gruß

Ergänzung
…um auf das Thema „Liebe“ konkret einzugehen, bzw. auf die Bedeutung des Werkes für uns:

Die Zeit und das Umfeld wusste die insbesondere körperliche Liebe zu schätzen. Dies umso mehr vor dem Hintergrund der kirchlichen Restriktionen, beginnenden Aufklärung und verbreitetem Gefühl der Weltendämmerung. Bei der Suche nach verborgenen Botschaften ist es daher sicherlich so, daß die Werke der Zeit mit Anspielungen auf durchaus deftigen Sex durchsetzt waren. Teilweise auch in einer Symbolik, die uns heute oftmals nicht mehr geläufig ist (man denke nur an die ausgefeilten Systeme der Blumenbotschaften).
Mithin sind wir klar nicht mehr bei der schmachtenden Liebe der vergangenen Epochen, sondern jetzt steht die „erfüllte Liebe“ im Mittelpunkt.
Eine für uns heute bedeutsame Relevanz wirst Du allerdings schwerlich finden (außer eine moderne Inszenierung fügt diese zu). Systemkritik oder subversive Botschaften waren zu der Zeit eher beim Stassentheater des einfachen Volkes anzutreffen, also bei den Gauklern, Narren, Theaterleuten und Straßenmusikern. Ein Musiker der für die Herrscher schrieb hätte sich solch einer Gotteslästerung nie schuldig gemacht.

Beste Grüsse

Lieber browntrout

Schon mal vielen Dank für deine Antwort.

Bei Alcina hat Händel ja doch mit der Konvention gebrochen, dass er dieser Protagonistin nicht zum Beispiel eine Rachearie komponiert hat. Der Text wäre zwar da, aber er macht daraus etwas anderes. Bei der tiefe dieser Musik erhoffe ich mir für Händel einfach noch etwas Bleibendes…

Hallo,

Alcina war ein Stück, dass durch Inszenierung, einem Tanzstar und aufwändigem Bühnenbild geschaffen wurde um sich in der Konkurrenz des Londoner Kulturbetriebes zu behaupten. Die musikalische qualität ist ganz unumstritten sehr hoch. Die Geschichte von Alcina konnte Händel als beim publikum allgemein bekannt voraussetzen.
Der tiefere Sinn wurde von der damaligen Kritik wie folgt gesehen:

„The Opera goes no farther than the breaking of Alcina’s Enchantment and contains an agreeable Allegory […] The Character of Alcina’s Beauty, and Inconstancy proves the short Duration of all sublimary Enjoyments, which are lost as soon as attain’d […]“

„In der Oper, einer wohltuenden Allegorie, geht es um nicht mehr oder weniger als das Brechen von Alcinas Zauberkraft […] Der Charakter von Alcina’s Schönheit und ihre Unbeständigkeit beweisen die kurze Dauer der irdischen Freuden, die, kaum erreicht, rasch wieder verloren gehen […]“

– The Universal Spectator, London, 5. Juli 1735

Beste Grüsse

Hallo,
Deine Frage ist spannend. Im Barock fand eine Fortsetzung der Renaissance, der Wiedergeburt der Antike statt, die voller Götter, Dämonen und Nymphen war. Die Oper entstand bei Monteverdi aus dem Spiel zwischen der göttlichen, menschlichen Ebene und Naturwesen. Das hat man musikalisch mit verschiedenen Stilarten dargestellt - Streichertremolo, Koloraturarien für Götter und Himmlische, normales singen für Menschen… etc. Der Barock liebt die Verzierungen und das Bombastische, deswegen sind manche Barockthemen so aufgebläht. Die Liebe ist jedoch immer ehrlich gemeint als starke romantische Anziehung und deswegen sind viele Figuren auch sehr emotional. Bei J.S. Bach wird z. B. nicht im Stil zwischen Kirche und Weltlich unterschieden, die Liebe ist immer als menschliche Liebe auch zugleich göttlich. Das ist aus heutiger Sicht vielleicht ungewöhnlich.
Barockmusik ist insgesamt Ausdruck von der Liebe zum Emotionalen und Expressiven.