Wiedermal ein haarsträubender verbaler Missgriff eines Autors. Man könnte auch argwöhnen: Ein ignorant deplatzierter Fachbegriff. In der Kriminalpsychologie und in psychotherapeutischen Kontexten von (vor allem sexuellen) Übergriffen, besonders von Vergewaltigung, gibt es den Terminus „self-silencing“ (kurz auch einfach „silencing“). Damit ist gemeint, daß Vergewaltigungsopfer oft über das Erlebte schweigen: D.h. die Tat anderen gegenüber nicht zur Sprache bringen (also z.B. auch nicht Anzeige erstatten), aber insbesondere auch „sich selbst diesbezüglich zum Schweigen bringen“. Psychoanalytisch ausgedrückt fällt das unter den → Abwehrmechanismus „Verdrängung“.
Da man dem Ausdruck „der Betroffenen“ nicht ansehen kann, ob es ein Genitivus objektivus oder subjektivus sein soll, könnte man wohlwollend unterstellen, daß der Autor den subjektivus meinte. Dann hätte er aber schreiben müssen „Silencing seitens der Betroffenen“, um Missverständnisse zu vermeiden. Alternativ „Self-Silencing der Betroffenen“.
Sollte er aber tatsächlich den Gen. objektivus gemeint haben, also „das Zum-Schweigen-Bringen der Betroffenen“ (= „die Betroffenen mundtot machen“), dann wäre hier das Wort „Silencing“ ein geradezu unverschämter Missbrauch eines in diesem Kontext eindeutigen Fachterminus mit völlig entgegengesetztem Wortsinn.
Da er, der Autoir, den Ausdruck mit „sowie“ aber mit „Täter-Opfer-Umkehr“ paralleisiert, ist letzteres tatsöchlich anzunehmen. Shame on him! Vor allem, weil er seinen missverständlichen Ausdruck gerade in diesem überaus brisanten Kontext nicht bemerkte.
Gruß
Metapher