"Die Lunge unserer gesamten Erde ist betroffen" (Merkel) -> Brände in Brasilien

Das ist ja der Sinn der Sache.

Wenn wir schon meinen, da auf anderen Kontinenten „unser Haus“ und „unsere Lunge“ zu haben, dann müssen wir halt anständig dafür bezahlen. Schon würd es nicht mehr brennen.
Das wäre dann eine „nicht-koloniale Mentalität“ beispielsweise.

Gruß
F.

Da pflichte ich voll bei.
(darum auch meine Unterscheidung im UP zwischen der Funktion des Sagers und dem -von Bolsonaro abgelösten- Inhalt).

Unehrlich finde ich die Diskussion vor allem auch deshalb, weil Brasilien etwa einen doppelt so hohen Waldanteil an der Gesamtfläche wie Frankreich hat, und mind. um 50% größer als D oder als die EU.

Und unehrlich ist sie auch, weil Brasilien ein sich industrialisierendes Schwellenland ist, während wir längst postindustrielle Volkswirtschaften sind. Völlig andere Voraussetzungen.

Sehe ich auch so.
Selbstverständlich erschöpft sich die Kritik nicht darin.

Aus meiner Sicht ist es zugespitzt so: Wir wollen von Brasilien etwas, aber wir wollen dafür nicht adäquat bezahlen, also spielen wir lieber unsere weit überlegene Macht aus („stoppt das Mercorsur-Abkommen“).
Das sehe ich als klaren neo-kolonialistischen Stil, Bolsonaro hin oder her.

Gruß
F.

Es ging mir darum, die Dimension des Problems aufzuzeigen. Mit Bildern kann so mancher mehr anfangen als mit Zahlen oder Beschreibungen. Und um die Dimension geht es, wenn auch nicht nur allein: Bolsonario reitet wie Trump, Johnson, Putin und so manch anderer auf einer Welle, die eigentlich aus dem letzten Jahrhundert stammt, nämlich daß auf diesem Planeten jeder das in seinem Land machen kann, was ihm gerade so paßt und was in seinem Interesse ist bzw. seinem Interesse zu sein scheint. Diese Sichtweise kann man vertreten, nur sollte eigentlich jedem klar sein, daß wir nun einmal auf einem Planeten sitzen und das, was ein Land veranstaltet, auch andere beeinflußt.

Insofern ist das Konzept, daß das, was sich innerhalb willkürlich und ohne Bezug zum Lebensraum Erde gezogener Linien auf der Karte abspielt, alle außerhalb dieser Linie nichts angeht, schlichtweg konzeptionell falsch. Ozonloch, Klimawandel, Überbevölkerung, Zerstörung von Lebensräumen, Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten sind keine lokalen Ereignisse, sondern Vergehen am kollektiven Lebensraum Erde zum Schaden aller Lebewesen - auch, aber nicht nur des Menschen.

Mal ganz davon abgesehen, daß es objektiv schwachsinnig ist, Regenwald abzuholzen bzw. zu verbrennen, weil die Böden im Sinne der Landwirtschaft schlichtweg scheiße sind. Die Humusschicht ist oftmals nur ein paar Millimeter dick und nach wenigen Ernten entweder weggespült oder ausgezehrt. Will sagen: selbst wenn man sein wirtschaftliches Interesse höher stellt als die Vernunft, sollte man berücksichtigen, daß man ein paar Jahre später weiterziehen muß, um seine Erträge stabil zu halten. Aber das nur nebenbei.

Um dem ganzen noch einen anderen Vergleich zu verpassen: die Erde kann man gut mit einem Mehrfamilienhaus vergleichen, in dem es einerseits Sondereigentum, aber auch Gemeinschaftseigentum gibt. Die Nutzung des Sondereigentums ist jedem freigestellt, solange er die anderen Eigentümer damit nicht unzumutbar belastet bzw. das Gemeinschaftseigentum gefährdet. Bei der Erde ist die Unterscheidung zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum nicht so einfach wie bei einer Immobilie, aber als Konzept taugt es. Natürlich kann man auf seinem Stückchen Land machen, was man will, aber man sollte es nicht - im Interesse aller anderen, die neben einem selbst auch auf dem Planeten wohnen.

Und was die Sache mit der Größe der Wirtschaft angeht: ich wollte darauf hinaus, daß Brasilien eine fast 200 Jahre lang währende Tradition als Nicht-Kolonie hat und inzwischen zusammen mit Russland, Indien & Co. ein Schwellenland und anerkannter Handelspartner ist. Entweder also hat Brasilien bzw. Bolsinario Problem mit seinem Selbstbewußtsein oder das Kolonie-Gerede ist nur vorgeschoben.

Aber wie gesagt: das Grundthema ist, daß es Leute gibt, die meinen, daß ihr Land innerhalb der Grenzen ihnen allein gehört und sie daruf machen können, was sie wollen, und andere, die gemerkt haben, daß wir alle auf der gleichen Kugel sitzen und gewisse Probleme uns alle angehen, für die es oftmals auch nur eine Lösung gibt, wenn man länder- und grenzübergreifend zusammenarbeitet. Wenn Du meinst, daß die erstgenannten richtig liegen, ist das halt so, nur erübrigt sich dann jede Diskussion über das Thema.

Gruß
C.

Für mich ist wie gesagt der Kontext entscheident. Kritik an Brasilien ist genausowenig automatisch Kolonialismus wie Kritik an einer Frau automatisch Sexismus sein muss. Für mich stellen sich daher zwei Fragen:

  • Würden ‚wir‘ genauso reagieren, wenn Brasilien einen Regierungschef hat, der sich voll für den Umweltschutz einsetzt und alles in seiner Macht tut, um die Brände einzudämmen und etwaige Brandstifter vor Gericht zu bringen?
  • Würden ‚wir‘ genauso reagieren, wenn es nicht um Brasilien ginge sondern um eine Industrienation wie Australien oder Kanada (sind auch auch beides ehemalige Kolonien).

Ich würde mit ‚nein‘ und ‚ja‘ antworten, daher geht für mich der Kolonialismus-Vorwurf ins Leere.

Natürlich. Aus der Sicht der reichen Industriestaaten absolut nachvollziehbar. Aus der Sicht eines brasilianischen Kaffeebauern eher nicht.
Solange die Industrienationen nicht mit gutem Beispiel vorangehen und nicht nur halbseidene Versprechen (du erwähntest ja die unzähligen Umweltgipfel) abgeben, solange werden die Schwellenländer gnadenlos aufholen wollen. Schau dir die Computerfriedhöfe in Ghana an, die Schwefelminen in Indonesien oder die zahlreichen anderen Giftspucker in der Welt an. Ich habe es nicht verifiziert, gehe aber davon aus, dass mindestens 70% wieder den Industrienationen zugute kommen. Und dann stellen wir uns hin und wollen diesen Menschen die Welt erklären! Ich bitte dich!

Soon

Ich glaube nicht, daß Kaffee hier das Thema ist, sondern es geht um Soja, Rinderzucht und ähnliches. Aber selbst wenn auch Kaffee: es handelt sich - wie ich schrieb - um ein kurzfristiges Vergnügen. Nach ein paar Jahren ist der Boden durch.

In die Richtung argumentierte niemand bisher in der Debatte. Bolsonaro argumentierte doch ganz anders: mischt Euch nicht in meine Angelegenheiten ein, führt Euch nicht so auf wie Kolonialmächte. Mit anderen Worten: mein Land, mein Ding, geht Euch nichts an. Es geht uns sehr wohl etwas an und zwar uns alle - nicht nur die paar Leute in den Industrieländern.

Und daß es woanders Umweltsünden gibt, ist doch kein Argument, anderen Umweltsünden tatenlos zuzusehen. Außerdem begeht nicht die Bundesregierung Umweltsünden bzw. läßt diese aktiv im eigenen Land zu, sondern es ist die brasilianische Regierung, die sich die Ausbeutung und damit die Vernichtung des Regenwaldes zum Ziel gesetzt hat. Also ein völlig anderer Sachverhalt.

Noch ein weiterer Punkt: das man ähnliche Sachverhalte aus irgendwelchen Zwängen heraus unterschiedlich behandelt, ist an der Tagesordnung. Der IS wird bekämpft, Menschenrechtsverletzungen in China und Russland nicht. Dem eigenen Kind sagt man, daß es nicht auf die Straße spucken soll, fremden Leuten hingegen nicht. Mit der Kritik an einer dramatischen und akuten Umweltzerstörung kann man nicht warten, bis der Rest der Welt ein Garten Eden ist. Der Computerschrott ist da, wo er ist und die Schwefelminen sind schon eine Weile da und werden es auch eine Weile sein. Alles nicht schön, aber der Regenwald brennt jetzt und das in einem beängstigenden Ausmaß; hinzu kommt die traditionelle und deutlich beschleunigte Rodung.

Schätzungen der Weltbank von 2018 laufen darauf hinaus, daß in etwa 5 Jahren 75% des Waldes verloren sein werden und da ist die beschleunigte Vernichtungsrate seit Bolsonaros Amtsantritt noch gar nicht enthalten. Das ist m.E. schon ein guter Grund, um jetzt mal den Mund aufzumachen. In ein paar Jahren kann man sich die Sache dann auch sparen.

Gruß
C.

Natürlich nicht!
Es geht um die mit der Kritik verbundenen Denk- und Sprechmuster.
Hier das „unser Haus“.
Anders als SZ in ihrem Artikel darüber glaube ich nicht, dass das eine unglücklich verrutschte Aussage war.

Naja, bei der erster Frage besteht ja gar keine Notwendigkeit zu irgendeiner negativen politischen Reaktion. Einer, der auf fremden Gebiet „unser Haus“ in unserem Sinne hütet, der war uns immer willkommen (oder gleich von uns installiert).

Die zweite Frage: Es geht nicht darum, dass Bolsonaro Kritik erfährt, sondern die Art und Weise wie sie vorgebracht wird. Mit der titelgebenden „unser“-Metaphorik, mit herablassender „mach, was wir wollen, sonst revidieren wir das Mercosur-Abkommen“ usw.
Man muss da aus meiner Sicht auch den größeren Rahmen der Beziehungen der EU und der USA zu Lateinamerika mit bedenken.
Im diesem Sinne (auch wenns da nur um Chile geht):

Gruß
F.

Das wird tatsächlich eine spannende Frage des 21. Jahrhunderts werden, wie sehr sich eine feste globale Ordnung etablieren wird.
Und genau bei diesem Punkt hat die Klima-Thematik eine entscheidende Schlüsselrolle, weshalb wir unbedingt lernen sollten, die Klima-Thematik nicht nur als nüchterne wissenschaftliche Umwelt-Problemstellung (die sie natürlich auch ist) zu betrachten, sondern auch als heiße Ideologie und Machtpolitik.

Das ist doch jedem klar.
Auch klar ist, dass es ein gewisses Maß an internationaler Zusammenarbeit auf allen möglichen Gebieten braucht (weder Trump noch Bolsanoro bestreiten das grundsätzlich)
Aber an Fragen wie „international oder supranational“, da beginnt eben das Reich der unterschiedlichen politischen Ideologien.

Es geht dabei doch nicht nur oder primär um Landwirtschaft.
Auch nur nebenbei.

Gruß
F.

Kann man natürlich so sehen und Bolsonaro möchte zweifellos, dass es so gesehen wird.
Aber:

  • Für mich spricht gegen den Kolonialismus Vorwurf, dass mit ‚unser‘ ja nicht gemeint ist, dass der Amazonas (und damit in weiterer Folge Brasilien -> Südamerika) ‚uns Europäern‘ gehört, sondern dass damit zum Ausdruck gebracht wird, dass der Amazonas ‚uns Menschen‘ angeht. Ein kleiner aber imho wichtiger semantischer Unterschied. Man darf ja auch nicht vergessen, dass Brasilien sehr wohl einiges an Geld für den Waldschutz kassiert (siehe Amazon Fund mit fast 1 Mrd $).

  • Zum Drohen mit dem Mercosur Abkommen kann ich nur sagen: Was soll man den sonst machen. Brasilien ist nicht wirklich abhängig von Fördergeldern (man investiert ja selber Milliarden in Afrika) und jede andere Form der Drohung (politisch, wirtschaftlich, militärisch) wäre imho noch weniger zielführend. Zudem verliert die EU ja auch, wenn das Abkommen nun doch nicht kommen sollte. Ganz so dramatisch sehe ich das also nicht.

Natürlich, das ist schon klar.
Aber der Doppelsinn ist halt nicht nichts.
Hier auf französisch ein schöner Kommentar zu Macrons Tweet mit dem Titel
Amazonie: la maison brûle, mais ce n’est pas la nôtre

Zudem: auch der einseitige Verweis auf „unser“ im Sinne von „uns Menschen“ ist bereits eine Form der Nicht-Respektierung der Interessen der Eigentümer dieser Gebiete: der dort Einheimischen und auf der anderen Ebene Brasiliens.
Auch im einseitig-verallgemeinernden „unser“ steckt also eine gewisse „mentalità colonialista“.

[quote]Ein kleiner aber imho wichtiger semantischer Unterschied. Man darf ja auch nicht vergessen, dass Brasilien sehr wohl einiges an Geld für den Waldschutz kassiert (siehe [Amazon Fund][1]
mit fast 1 Mrd $).
[/quote]

Ich will jetzt nicht meinen Taschenrechner anwerfen, aber der Quadratmeter-Pachtzins dürfte da ganz weit unter einem Cent liegen, wenn man diese Summe auf Brasiliens gesamten Anteil am Amazonas umlegt.

Abschließend: Ich halte diese Kritik an Brasilien, auch in dieser Art und Weise, nicht für „durch und durch (neo)kolonialistisch“. Aber deutliche Missklänge empfinde ich da schon. Ich glaube, da sind wir uns aber eh weitgehend einig.

Gruß
F.