Die Schweiz, das Herz Europas, schlägt peripher

Im Jahr 2000 regelte die Schweiz ihre Handelsbeziehungen zu
Europa

Die Schweiz, das Herz Europas, schlägt am Rand der Gemeinschaft
der 15 Mitgliedsländer. Zwar sind wir von den Stammlanden der
Europäischen Union (EU) Deutschland, Frankreich und Italien
umgeben, aber noch haben wir unsere Wohnung im europäischen Haus
nicht gefunden und logieren vorläufig bestenfalls im Vorderhaus,
schlimmstenfalls im Gartenhäuschen gleich neben den lärmigen
europäischen Autobahnen quer durch unser schönes Land.

Bilaterale Verträge

Für die Schweizer war es eine Jahrhundert-, wenn nicht gar eine
Jahrtausend-Abstimmung, als der Souverän am 21. Mai 2000 den
bilateralen Verträgen mit der Europäischen Union zustimmte.
Damit hatte das Schweizer Volk einen Mittelweg gefunden zwischen
völligem Abseitsstehen und der Integration in Europa. Wir haben
mit den bilateralen Abkommen einen grossen Teil des europäischen
Rechts, den so genannten «acquis communautaire», übernommen, und
damit fallen Handelshemmnisse, welche unsere Industrie im Export
in die EU immer noch behindert haben. Auch wurde unsere Beziehung
zu Europa bezüglich der vier Freiheiten entkrampft. Andererseits
ist mit den bilateralen Verträgen unsere ambivalente Haltung zu
Europa zementiert. So lange wir nur privilegierte Handelspartner
der Europäischen Union sein dürfen, haben wir kein
Mitspracherecht auch in Belangen, die für die Schweiz der Zukunft
von essentieller Bedeutung sind: Die aussereuropäische Migration
hinein in unseren Kontinent und damit auch in die Schweiz ist
genau so wenig bilateral gelöst wie die Bekämpfung der
zunehmenden Globalisierung des organisierten Verbrechens. Und der
Druck Europas auf eine Schleifung des Schweizer Bollwerks
Bankgeheimnis zeigt klar die Stellung der Schweiz, die zwar
geografisch in der Mitte Europas liegt, gesellschaftlich und
politisch aber weit aussen an der Peripherie, noch hinter
Rumänien und der Slowakei: Brüssel hat es in der Hand, der
Schweiz die Regeln aufzuzwingen, nach denen fortan gespielt
werden muss. Und zu all dem müssen wir schmerzlich erfahren, dass
es den EU-Mitgliedsländern mit der Ratifizierung der
ausgehandelten Verträge überhaupt nicht eilt. Priorität haben
jetzt die weitere Stärkung des Euro und die Vorbereitung der
Osterweiterung.

Europa ist nicht perfekt

Die EU ist ein schlagender Beweis dafür, dass in Europa nichts
perfekt sein muss (wie es oft für schweizerische Verhältnisse
gefordert wird), dass es das Provisorium ist, das dauert und
beinahe Bestand bekommt. Aber auch dafür, dass die verschiedenen
europäischen Geschwindigkeiten der einzelnen Länder zwar noch zu
koordinieren sind, aber nicht mehr zu verlangsamen. Gerade die
letzte Gipfelkonferenz in Nizza hat gezeigt, dass die Meinungen
der führenden Europäer durchaus auseinander driften können, dass
aber das gemeinsame Ziel weiter verfolgt wird. Denn Europa ist
zum Erfolg verurteilt. Zu viele Tote zu vieler Kriege liegen
schon in europäischer Erde, als dass es jemals wieder zu einer
gesamteuropäischen bewaffneten Auseinandersetzung kommen darf.
Auch die Balkan-Querelen der einzelnen eng verflochtenen
Volksgruppen müssen der Vergangenheit angehören. Der gewagte
Schritt der Osterweiterung, welcher die Union möglicherweise
wohlstandsmässig wieder um Jahrzehnte zurückwirft, ist nur unter
der Voraussetzung zu verstehen, dass die führenden Europäer
niemals wieder eine Zweiteilung Europas in einen wohlhabenden und
einen verelendenden Teil zulassen wollen.

Marginale Rolle der Schweiz

In dieser europäischen Problematik des 21. Jahrhunderts spielt
die Schweiz eine nur mehr marginale Rolle. Ein übereilter
Beitritt zur Union ist weder für diese noch für die Schweiz
wünschbar. Die Weichen für die nächste Generation sind in
Maastricht, Amsterdam, Nizza und Brüssel nun einmal gestellt
worden. Ein Mitbestimmungsrecht der Schweiz dank einem Beitritt
würde mindestens in den nächsten 25 Jahren überhaupt nichts an
Europa ändern. Die Zeit einer tiefergreifenden Demokratisierung
und einer wünschenswerten Regionalisierung Europas ist noch nicht
gekommen. Und bevor die Errungenschaften der schweizerischen
Konkordanz-Demokratie und des Föderalismus ein spürbares
Bedürfnis Europas werden, wirken wir ohnehin nur als die
Oberlehrer Europas, als die Besserwisser des Kontinents. Und
nicht einmal der Geldsegen, der aus der Schweiz nach Europa
hineinrollen würde, wie die einheimischen Europa-Gegner nicht
müde werden zu behaupten, ist für die heutigen 15 Mitgliedstaaten
ein wesentlicher Grund, eine Mitgliedschaft der unbequemen
Schweiz zu wollen.

Zwängeln statt abwarten

Unter solchen Umständen ist die kommende Abstimmung über die
Initiative «Ja zu Europa» nicht nur verfrüht, sondern nachgerade
absurd. Wie auch immer sie ausfallen wird, an unserem Verhältnis
zu Europa wird sie so bald nichts ändern: Europa wird erst nach
der Ostrunde auf eine mögliche Mitgliedschaft der Schweiz
zurückkommen. Und das kann Jahre dauern!

Falls aber die Schweiz im Mai 2001 ein weiteres Mal das
europäische Einheitsmenu ablehnen sollte, dann dürften wir in
Brüssel auf Jahrzehnte hinaus «unten durch» sein. Ob wir das
wollen oder nicht, je weiter das Jahr 1992 zurückliegt, in
welchem wir dem Europäischen Wirtschaftsraum vorläufig ohne
Vollmitgliedschaft hätten beitreten können, desto unwichtiger
wird die kleine Schweiz für Europa. Die Globalisierung der
Wirtschaft macht Grenzen ohnehin überflüssig, diese werden fortan
nur noch dazu dienen, Arbeitskräfte abzuwehren, welche in ihren
Ländern ihre Stellen verloren haben, weil diese ins Ausland
transferiert worden sind. Die WTO, die Welthandels-Organisation,
wird mit der Zeit einschneidender in die schweizerische
Agrarpolitik eingreifen als alle europäischen Schutzmassnahmen.
Und der Euro, der sich nach einer Dollar-bedingten Schwächepause
wieder zu erholen beginnt, wird auch für die Schweiz zu einer
Leitwährung werden, ob wir der EU und damit dem Euroraum
beitreten oder nicht.

Unter allen diesen Umständen gälte es, die kommende
Europa-Abstimmung mit allen legalen Mitteln zu verhindern. Dies
wäre wahrscheinlich nur noch mit einer Klage gegen deren
Verfassungsmässigkeit möglich. Sind doch die aussenpolitischen
Kompetenzen des Bundesrates, welche durch die Initiative verletzt
werden, in der Bundesverfassung garantiert. Aber welche
Organisation ist heute in der Lage oder willens, eine solche
Klage einzureichen? Die Europa-Gegner lachen sich ob des
voraussehbaren Debakels der Neuen Europa-Bewegung Schweiz (NEBS)
ins Fäustchen. Würde heute, fünf Monate vor dem
Abstimmungstermin, über die Europa-Initiative an der Urne
gemehrt, würden die Europa-Beitrittsbefürworter höchstens einen
Viertel aller Stimmberechtigten hinter sich scharen können. Und
die politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen von den
Parteien über die Gewerkschaften bis zu den
Interessenvereinigungen werden mit einer allfälligen Ja-Parole
bei ihren Mitgliedern keine Euphorie entfachen!

Weitere Abkühlung zu erwarten

Stand das Jahr 2000 im Zeichen einer Annäherung der Schweiz an
die EU in handels-, finanz-, verkehrs- und
bevölkerungspolitischen Belangen, die über die bilateralen
Abkommen abgedeckt werden konnten, so ist das Jahr 2001 aller
Voraussicht nach ein Jahr der weiteren Abkühlung der Beziehungen
zwischen der Schweiz und Europa. Und noch immer bleibt ungewiss,
ob das europäische Haus eines Tages noch Platz haben wird für
eine sich als Prima Ballerina gebende Schweiz, die ihren
tatsächlichen Wert als währschafte Schafferin zuerst selber
finden und dann auch dem übrigen Europa überzeugend «verkaufen"
können sollte.

(Bernhard Schindler ist Wirtschafts- und Inland-Redakteur einer
schweizerischen Regional-Tageszeitung im Kanton Aargau

Nur mal so…
Hi,

nur mal ein Zitat aus der Zeit, als die Schweiz gerade beschlossen hatte, nicht der UNO beizutreten (Quelle unbekannt, bzw. ich bin zu faul zum Suchen, es war irgendein dt. Politiker):

„Es wird Zeit, daß die Schweiz überlegt, ob sie nicht auch aus der Welt austreten möchte.“

Dies als Wort zum neuen Jahrtausend. Gruß
Christian

hallo bernhard, du hast dir sehr viel muehe in deinen ausfuehrungen gegeben, und ich kann das leider nicht mit dem aufwand beantworten, den du betrieben hast, aber ich moechte dir kurz berichten, welche eindruecke ich mitnahm, als die schweiz vor einigen jahren gegen den eu-beitritt stimmte:
wohlgemerkt: meine erfahrungen sind subjektiv durch wenige gespraeche gepraegt:

werner ( spediteur ) aus zuerich: schade, dass wir nicht beitreten - ich denke, dass die schweiz langfristig ohne eu-zugehoerigkeit grosse probleme bekommt. als spediteur freut mich das, weil ich weiterhin durch zollabfertigungen geld verdienen kann - auf der anderen seite ist es unvernuenftig, diese abfertigungen vorzunehmen, da fuer die meisten waren eine zollbefreiung stattgefunden hat, und die abfertigungen nur noch eine gegenseitige verschiebung von warenumsatzsteuern manifestieren.

yves ( director einer holding ) aus nyon: gottseidank haben wir diesem beitritt nicht zugestimmt. wir schweizer haben jahrhundertelang unsere unabhaengigkeit bewahrt und sind nicht paneuropaeischen einfluessen aufgesessen. unsere liberalitaet bezueglich steuergesetzgebung und kantonal kreative voraussetzungen haben erreicht, dass die schweiz ein unternehmerparadies ist. unser konzern hat allein in nyon 250 arbeitsplaetze garantiert, die allein mit dienstleistungen einen sichern bestandteil des kantons garantieren.

john (abstimmungsberechtigter englaender mit schweizer pass - manager aus genf ): i give a shit on the fucking europeans - as long as the taxauthorities don’t rip me off here, they can get stuffed

jonas ( direktor einer handelsfirma in zug ) : schade drum, wir werden unser distributionslager verlegen muessen. wir sehen global grosse probleme, wenn wir nicht logistisch in der lage sind, innerhaln 24h zu liefern.

ich will folgendes sagen:
die aussagen stimmen inhaltlich, nur die namen sind veraendert - das problem ist und bleibt: die schweiz ist gedanklich/bewusstseinsmaessig zerrissen - die probleme werden mit geld geloest - wahrscheinlich ist das die beste friedvollste loesung.
in diesem sinne
khs