Theodizee & ihre Geschichte
Hi A.L.
schon ganz recht, daß du die Diskussion noch mal nach oben geholt hast, sonst versaufen wir doch noch am unteren Ende dieser Artikelliste - und wir müssen dann nicht immer alles nach oben scrollen. Trotzdem, auch nach deiner Rekapitulierung könnte ich nur alles wiederholen, was ich unten bereits unter „die aber-Religion“ usw. und unter „Agnostizismus und Atheismus“ schrieb, aber zum Wiederholen hab ich nicht so große Lust…
Trotzdem nochmal zusammenfassend:
Zitat Metapher: „Theodizee-Frage („Rechtfertigung Gottes“)
„Wieso gibt es das Übel in der Welt, wenn Gott gut ist?““
Das sieht so aus, als ob das eine Privatmeinung wäre von mir, aber Meinungen interessieren mich überhaupt nicht hier in diesem Brett, mich interessieren vielmehr religions historische Inhalte.
Und die oben zitierte Fragestellung ist nun mal eine der fundamentalsten Fragestellungen der gesamten Religionsgeschichte, nicht nur der jüdisch-christlichen…
Und vor allem, es geht dabei gar nicht um eine jeweils private Antwort auf diese Frage - die würde naturgemäß niemandem nützen… Religionen haben nämlich immer außer dem intimen, persönlichen Aspekt auch einen Aspekt der gesamten Bekenntnis-Gemeinschaft und darüber hinaus auch einen allgemeinen anthropologischen.
Bereits in der Maddhimanikaya (der Sammlung der sog. Reden Buddhas) werden solche Fragen erörtert, obwohl es da überhaupt nicht um Götter geht. Auch über Epikur schrieb ich bereits in „Agnostizismus…“ und der datiert sich ziemlich lange vor dem Christentum. Auch das Buch Hiob des AT behandelt diese Frage und dem geht sie ziemlich hart an die Knochen - dies nur nochmal zu meiner Ansicht, die ich unten schrieb unter „Sinn“:
„Somit scheint mir jemand, der behauptet, ein christlicher Gläubiger zu, der aber wegen dieser Theodizee-Frage noch nicht Blut und Wasser geschwitzt hat, seine große Wahrhaftigkeitsprüfung noch vor sich zu haben.“
Die Frage, so wie sie in der gesamten Geistesgeschichte behandelt wurde, bezieht sich ausdrücklich nicht ausschließlich auf das Übel, das von Menschen dem Menschen angetan wird. Sie bezieht sich auf jegliches Elend und fragt dann „warum läßt Gott das zu“…
Sie wird also nicht nur als Argument gegen einen Gottesglauben gesetzt und sie wird nicht nur als Argument zur Unterstützung der Behauptung „Gott existiert nicht“ benutzt (daß diese Behauptung nicht atheistisch ist, hatten wir ja zur Genüge diskutiert).
Im Gegenteil ist diese Frage von besonderer Bedeutung, wenn ein Gottesglaube vorausgesetzt ist.
Ich kopiere nochmal, was ich dir unten unter „0 Streicheleinheit“
schrieb:
„Es ist jedenfalls ein Widerspruch darin, daß ein guter liebender Gott postuliert wird und zugleich die Welt voller Elend ist (auch ohne menschliche Eingriffe).“
Ergänze: Das ist nicht eine Meinung von mir, sondern die Wiedergabe des Theodizee-Problems, welches sich durch die gesamte Religionsgeschichte durchzieht. Da wir hier in wer-weiss-was sind und nicht nur in wer-meint-was, sollte es auch mal möglich sein, etwas, das schlicht ein Gegenstand historischen Wissens ist, zu diskutieren…
Und weiter:
„Nun schließen die einen daraus, daß deshalb Gott nicht existieren kann, und die anderen flüchten sich in einen verkappten Dualismus um diesem Problem zu entgehen.“
„Die dritte Variante ist die, die ich (wie ja inzwischen unverkennbar) selbst bevorzuge: Dieser Widerspruch ist notwendig , weil es sich ohne ihn nicht um einen absoluten Gott handeln würde - (und dem aus demselben Grund - nebenbei erwähnt - auch weder das Prädikat „existierend“ noch das Prädikat „nichtexistierend“ zukommen würde)“
Und das scheint mir das Wesentliche an dieser Frage und dieser Antwort zu sein: nachdem sich „unser“ Gottestbegriff von einem semitischen Stammesgott über den israelitischen Volksgott zu einem für alle zuständigen (durch Paulus) Gott entwickelt hat, wurde er durch die christliche Philosophie der Abendländischen Geschichte allmählich zu einem absoluten Gott entwickelt: der Anfang liegt in der Formulierung der „Schöpfung aus Nichts“, die gegen griechische Philosophen gerichtet war, insbesondere gegen Melissos mit seinem „aus nichts entsteht nichts“… und der Höhepunkt liegt dann in der Scholastik von Abaelard bis Thomas v. Aquin. Danach enstehen ganz neue Bewegungen u.a. mit der deutschen und spanischen sog. „Mystik“ (Meister Eckehart, Tauler, Seuse, Therese v. Avila, Juan de la Cruz, Hildegard v. Bingen, Mechthild v. Magdeburg etc).
Und dieser absolute Gottesbegriff (der sich schon früh gegen die dualistische Gnosis durchzusetzen hatte, bei der „das Böse“ einen stetigen Kampf gegen „das Gute“ führt) war nur dadurch möglich, daß eine selbstständige „Macht des Bösen“ annihiliert wurde.
Und genau das (was bereits bei Johannes wesentlich ist) hat sich nicht durchgesetzt - was vermutlich darauf zurückzuführen ist, daß sich paulinisches Denken gegen johanneisches letztlich durchsetzte. Das Resultat ist die heutige vatikanische Konzeption von Kirche, über die wir glaub ich, kaum diskutieren müssen.
Daß sich Argumente der Freiheit des Menschen (insbesondere in Form der Fähigkeit, Leid zu erzeugen) immer wieder mit Argumenten der „Macht des Bösen“ vermischen, das erleben wir ja auch hier in unseren Diskussionen.
Zunaechst ist diese Frage an sich kein Beweis GEGEN Gottes
existenz (so war sie wahrscheinlich auch nicht gedacht),
Nein, damit hat es wirklich nichts zu tun, außer evtl. bei Epikur, sofern er von Lukrez richtig interpretiert wird.
sondern ein Problem von manchen Menschen Gott gegenueber.
Nein, ebenfalls damit hat es nichts zu tun. Es geht um eine Widersprüchlichkeit im Begriff des göttlichen Guten.
Dazu koennte man zunaechst antworten: wer sind wir Menschen
ueberhaupt,um Gott in Frage zu stellen, so wie etwa Paulus in
Roemer 9,19:„Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns
dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? 9,20 Ja, lieber
Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst?
Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich
so?“
Das steht im Römerbrief, wird aber auch als Dokument der paulinischen Denkweise angesehen, die durch die ganze Christentumsgeschichte vom Klerus gerne übernommen wurde: Fahrt den unbequemen Fragern übers Maul! Sie haben gefälligst das, was auch wir nicht beantworten können, als „Geheimnis des Glaubens“ naiv zu übernehmen…
Die Frage an sich versucht ja Gottes Guete anzuzweifeln
Das ist schlicht falsch! Die Frage setzt die Güte Gottes voraus, denn sonst entstünde das Problem ja gar nicht.
Der Verfasser sieht offenbar …
Es gibt nicht „einen Verfasser“ (siehe oben), es gibt allerdings hin und wieder einige, die das Problem nochmal auf den Punkt gebracht haben - u.a. Leibniz, von dem der Ausdruck „Theodizee“ stammt…
Deswegen meine Gegenfrage: Ist
die Theodizee Frage von einem praktischem Standpunkt aus
gesehen ueberhaupt sinnvoll?
naja - inwiefern haben Fragen, die die Fundamente jeglicher Gottesbegriffe betreffen, praktischen Sinn? die Antwort überlass ich dir… jedenfalls sollten wir nach 2000jähriger gründlichster Diskussion der Frage nicht meinen, wir könnten noch Senf dazu geben, der nicht schon längst dazu gegeben wurde…
Aber manchmal ist es auch von praktischem Nutzen, zu wissen, daß Glaubenssachen alle auch eine lange Geschichte haben, die man nicht ignorieren sollte… eine Frage der Wissensneugier auch…und die ist keine Sünde
))
Gruß
Metapher