Liebe Mili4ka, die repräsentative Demokratie leistet die notwendige Kontinuität und Stabilität unabhängig von vorübergehenden Stimmungsschwankungen. Ich kann nachvollziehen, dass in der heutigen Zeit der Globalisierung bei vielen Menschen die Sehnsucht nach einfachen Antworten wächst. Aber einfache Antworten gibt es in der Regel nicht. Realität ist, dass gerade auf Bundesebene die Fragestellungen immer komplizierter und komplexer werden. Auf kommunaler und landespolitischer Ebene sind die Entscheidungszusammenhänge meistens weniger komplex und die Fragestellungen auch überwiegend überschaubarer. Nicht nur darum, bin ich durchaus ein Befürworter direkter Demokratie, allerdings in den Kommunen und auf Landesebene. Wo es um Problemlösungen vor Ort geht, ist die Einflussnahme des Bürgers sinnvoll. Auf der regionalen Ebene ergänzen Bürgerinitiativen und Bürgerentscheide das repräsentative System recht gut. Aber auf Bundesebene können Volksentscheide oder ähnliche Verfahren den oft komplexen Fragen unserer Gesellschaft nicht gerecht werden, insbesondere auch unter Berücksichtigung der ständig steigenden Normenflut der europäischen Institutionen. Laut der in unserer Gesellschaft hoch angesehenen ehemaligen Bundesverfassungspräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Professor Jutta Limbach: Je größer der politische Raum ist, umso mehr sind wir auf das Prinzip der Repräsentanten angewiesen und umso weniger können wir uns direkte Demokratie leisten. Es ist eben etwas grundsätzlich jeweils anderes, über den Bau einer Stadthalle, einer U-Bahn und über das Rauchverbot oder über das Euro-Rettungspaket abzustimmen. Hier besteht ein elementarer Unterschied. Innerstaatlich leistet die repräsentative Demokratie einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung unseres gesellschaftlichen Gefüges. Dies zeigt sich beispielhaft an Großprojekten, die oftmals jahrzehntelange Planungsverfahren erforderlich machen. In dieser Zeit können natürlich Stimmungen und Meinungen der Bürger zu den oftmals schwierigen Projekten durchaus schwanken; aber bei Volksentscheiden birgt dies die Gefahr wahltaktischer Stimmungsmache. Die parlamentarische Demokratie hat auch deshalb wesentliche Vorteile gegenüber einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene, weil sie ein lernendes Verfahren ist, was in dieser Form die direkte Demokratie nicht leisten kann. Die Komplexität erfordert oftmals ein vielschichtiges Gesetzgebungsverfahren, das eine kaum überschaubare Vernetzung mit anderen Regelungsbereichen berücksichtigt. Zu zufriedenstellenden Antworten kann man nur gelangen, wenn, wie im Deutschen Bundestag, auf dem Weg der Gesetzgebung ein Verfahren angewandt wird, das ein hohes Maß an thematischer Tiefe und Flexibilität erlaubt. Auf der Grundlage von drei Lesungen, Ausschussberatungen, Sachverständigenanhörungen und Berichterstattergesprächen wird eine ausgewogene und faire Gesetzgebung und Gesetzesfindung sichergestellt. Hinzu kommen eine Folgenabschätzung und eine Überprüfung der möglichen Bürokratie durch den Normenkontrollrat. Dieser Weg bietet den notwendigen Spielraum für Änderungen und Anpassungen. Es wird ein dokumentiertes, ein transparentes Verfahren mit detailreicher Abstimmung gewährleistet, das bei Volksentscheiden in dieser Intensität schlichtweg fehlt. Volksentscheidungen sind Fragestellungen, die mit Ja oder Nein zu beantworten sind. Bundespolitische Fragen lassen sich so einfach nicht entscheiden! Darüber hinaus sind sie oft auch von existenzieller Bedeutung für Deutschland, zum Beispiel Auslandseinsätze der Bundeswehr, Fragen der Landesverteidigung, Steuerfragen oder Fragen der Energieversorgung. Solche Themen lassen sich nur in einem lernenden Verfahren bewältigen und nicht einfach mit einem schlichten Ja oder Nein entscheiden! Wer durch direkte Demokratie auf Bundesebene die Entscheidung über wichtige Sachfragen abgibt, gibt auch die Verantwortung ab. Wenn alle entscheiden, entscheidet letztendlich niemand mehr. Man kann die Volksentscheider auch nicht abwählen. Plebiszite bedeuten daher immer auch die Anonymisierung von Verantwortung. Sie bringen für die gewählten Parlamentarier die Versuchung mit sich, unpopuläre oder schwierige Entscheidungen dem Volk zu überlassen. Die repräsentative Demokratie mit ihren gründlichen Verfahren bietet die Möglichkeit, auch Kompromisse auszuhandeln – zum Wohle der Allgemeinheit, aber auch zum Wohle und zum Schutz von Minderheiten. Bei Volksentscheiden ist ein solch ausgewogenes Verfahren in dieser Form nicht möglich. Dies würde insbesondere zulasten von Minderheiten und von gesellschaftlich benachteiligten Gruppen gehen. Das ist umgekehrt gerade ein tragendes Argument für die unveränderte Beibehaltung unserer repräsentativen parlamentarischen Demokratie auf Bundesebene. Sie stellt nämlich durch ihr ausgewogenes und abwägendes Verfahren den Schutz von Minderheiten gerade sicher.
Beste Grüße, Alexander