Dr. Jekyll und Mrs. Hyde-Hund

Hallo zusammen
Ich fang mal so an, wie eigentlich jeder Hundehalter: unsere Flocke (9 Jahre alter Mischling, „Karriere“ als Straßenhund in Spanien, Vorgeschichte in diversen Tierheimen und nun seit 3 Jahren bei meiner Mutter) ist eigentlich eine ganz liebe (IST SIE WIRKLICH!), aber…

  • wehe sie sieht oder wittert irgendwo Pferde, Kühe, Radfahrer oder andere Hunde.
  • besonders schlimm ist es im Auto oder beim Spazierengehen. Dann dreht sie (sobald sie o.g. „Opferkreis“ sieht) so auf, dass wir fürchten, sie kriegt einen Herzinfarkt. Sie bellt, japst, röchelt, knurrt, wirkt total aggressiv und angespannt, wirft sich mit dem ganzen Gewicht in die Leine… Mit dem Spruch „die tut nix - die ist eigentlich auch ganz lieb“ lassen sich Spaziergänger, Hundehalter und Radfahrer auch nur selten beruhigen, wenn sie so einen pöbelnden Mrs. Hide-Hund sehen (würde ich wahrscheinlich auch nicht) . Wenn andere Hundehalter so mutig sind, sie zu sich und ihrem Liebling zu lassen, geht es in der Regel, sofern der andere Hund ein halbwegs ruhiger Vertreter ist, gut. Dann beschnuppert man sich und ist recht zufrieden mit der Welt. Ist der andere Hund jedoch auch ähnlich angespannt, wird’s ein echter Kraftakt.
    Mittlerweile hat das ganze solche Ausmaße angenommen, dass wir kaum noch mir ihr spazieren gehen wollen, weil es für uns und für Flocke der reinste Stress ist. Hat jemand 'ne Idee, was wir tun (Martin Rütter ist und zu teuer :wink: ) und wie wir Flocke besser verstehen können?
    Liebe Grüße und 'nen schönen Sonntag

Liebe Jule

Bin von Deiner Antwort total begeistert! Kennst Du unsere Flocke (und uns) persönlich? Wir werden nun fleißig nach Deinen Ratschlägen trainieren.
Vielen lieben Dank

auch von Flocke

Ich stelle hier noch mal eine Antwort von mir ein, die ich in einem anderen Thread gegeben habe. Die Problemstellung ist in dieser Hinsicht vergleichbar.

Das Verhalten des Hundes zeigt große Unsicherheit- und der Hundebesitzer ist auch dann, wenn er nicht ursächlich dafür ist, doch immer Teil des Problems.

Deutlich zu beobachten ist, dass unsichere Hundehalter das Verhalten der Hunde deutlich erkennbar verstärken, während sichere Hundeführer für sichtbare Entspannung sorgen können.

Heißt: Der Punkt, an dem du ansetzen musst, bist du.

Wenn dein Hund z.B. Artgenossen ankläfft, dann tut er das deswegen, weil er seine Verteidigung in die eigenen Pfoten nehmen muss. Es ist an dir, ihm so viel Sicherheit zu vermitteln, dass er dir in diesen Situationen ausreichend vertraut, um dir die Führung zu überlassen.

Das Problem liegt hier meist darin, dass auch der Hundeführer irgendwann in gewissen Verhaltensmustern gefangen ist. Er kennt die Reaktion seines Hundes und beginnt z.B. beim Anblick anderer Hunde in Stress zu geraten. Er fasst die Leine fester/kürzer, gibt Kommandos und verspannt sich dabei in Körperhaltung und Stimme so, dass er seinem Hund nur ein einziges Signal gibt: GEFAHR!!

Du brauchst Methoden, um die Hunde auf dich konzentrieren zu können. Futter ist meist erfolgreich, funktioniert aber nicht über den Weg der Ablenkung, sondern darüber, den Hund für erwünschtes Verhalten zu bestätigen.

Das kann so aussehen, dass man mit dem Hund an lockerer, langer (ca.3-4m) Leine geht und ihn zunächst in ablenkungsarmer Umgebung auf ein Markersignal konditioniert. Das kann ein Schalzen mit der Zunge oder ein bestimmtes Wort sein. Das Signal hat immer Futter zur Folge. Gelingt das zuverlässig, und der Hund reagiert durch Anschauen auf das Signal (wobei er IMMER belohnt wird!), steigert man sukzessive die Herausforderung, indem man andere Hunde sucht.

Idealerweise sind diese angeleint und man hat genügend Raum, mit großem Abstand an ihnen vorbei zu gehen. Das übt man dann auch. Der Abstand muss zunächst groß genug sein, dass der Hund noch nicht in Bellen verfällt, sondern den Hund erst mal nur wahrnimmt. Hier trainiert man das erlernte Verhalten weiter. Außer dem Markersignal wird nichts gesprochen.

Nach und nach kann man dann die Distanz zu anderen Hunden so weit reduzieren, dass man auch auf einem normalen Weg aneinander vorbeigehen kann, ohne dass der Hund ausflippt. Er macht bei dieser Übung ja die Erfahrung, dass ihm nichts passiert, auch wenn er nicht bellt. Stattdessen gibt es Leckerchen.

Während des Trainings sollten Bellattacken möglichst verhindert werden.

Dieses Video zeigt die Arbeitsweise (hier wird mit Clicker als Marker gearbeitet, was nicht mit dem klassischen Clickertraining zu verwechseln ist) ganz gut. Ich persönlich würde dem Hund in dieser Trainingssituation nicht erlauben, zu markieren und am Boden rumzurüsseln, wobei das bei Hündinnen ohnehin seltener ein Problem ist.

Jule

Nein, ich kenne euch nicht persönlich :). Viel Erfolg beim Training - und bei Problemen gerne nachfragen!

Jule