Das altorientalische Königs-Gen im Monotheismus
Hi.
Bei der Glaubensgemeinschaft gibt es dagegen keinen
Automatismus, sie muss sich ihre Anhängerschaft gewinnen.
Das gilt, wie eigentlich klar sein sollte, längst nicht für alle Religionen. Die allermeisten Christen, Muslime und Juden werden Christen, Muslime und Juden durch Geburt in einer entsprechend ausgerichteten Familie. Dass diese Religionsgruppen (wobei ich den Islam im strengen Sinne nicht als „Religion“ gelten lasse, weil er uneingeschränkte politische Ambitionen hat) auch Anhänger „gewinnen“, ist eine vergleichsweise sehr seltene Ausnahme.
Der Glauben ist keine Notwendigkeit wie die
Staatszugehörigkeit.
Ich sage daher: säkulare und sakrale Sanktionen sind nicht
vergleichbar.
Aiwendil hat schon darauf hingewiesen, dass Religion (und gemeint ist hier: theistische Religion ) ursprünglich nicht von Staatlichkeit getrennt war. Dieser Aspekt darf auch heute, in den nachaufklärerischen Zeiten der Trennung von Religion und Staat (abgesehen vom voraufklärerischen Islam), nicht vergessen werden. Du leistest dir eben doch einen Anachronismus, wenn du so tust, als spiele die Vergangenheit in den heutigen theistischen Religionen keine Rolle mehr. Das Gegenteil trifft zu.
Begründung:
Das „staatliche“ Gen steckt in den theistischen Religionen unwiderruflich drin, da die theologische Grundstruktur des Theismus ein Spiegelbild autoritärer, genauer: monarchischer Staatsstrukturen der Antike ist, dessen Beginn in die Zeit der ersten staatlichen Königtümer datiert, d.h. in das 4. vorchristliche Jahrtausend (BCE). Als exklusiver, also einziger Mittler zwischen der rechtstiftenden Götterwelt und der Menschenwelt fungiert der König. Eine altbabylonische Stele zeigt z.B., wie Hammurabi den Gesetzeskodex vom Sonnengott Schamasch überreicht bekommt. Die Rechtsausübung als irdische Umsetzung einer von Göttern befohlenen Ordnung lag also immer, direkt oder indirekt, in den Händen des Königs, dem Haupt des Staates.
Das änderte sich, in dem Sinne, dass das Recht nicht an König und Staat, sondern einzig an den Willen eines Gottes gebunden war, erst mit dem Aufkommen der israelitischen Theologie, und zwar, je nachdem, in welches Jahrhundert man das Deuteronomium datiert, in der spätvorexilischen Zeit (7. Jh.) oder in der exilisch-nachexilischen Zeit (6.-5. Jh.). Das würde im ersteren Fall bedeuten, dass das Königtum im Juda des 7. Jh. nicht mehr als höchste Autorität des religiösen Denkens galt (wie in allen anderen altorientalischen Staaten), sondern dass sich dieses Denken von ihm losgelöst hatte. Im zweiten Fall (exilisch-nachexilische Datierung, die wahrscheinlicher ist) würde das bedeuten, dass der Verlust von Königtum und Staat die Voraussetzung dafür war, dass im theologischen Denken der Israeliten (präziser: der exilierten Priesterschicht) Jahwe notgedrungen die Funktion des Königs übernahm. Tatsächlich entstanden die Königspsalmen, die Jahwe als König preisen, keineswegs in der israelitischen Königszeit, sondern viel später (vermutlich 2. Jh. BCE). Das Attribut des Königs hatte Jahwe also als Kompensation für das verlorengegangene staatliche Königtum übernommen.
Die jüdische Gesetzlichkeit, inhaltlich (Dekalog) direkt von der traditionellen altorientalischen Gesetzlichkeit übernommen, ist also von staatlichen Institutionen entkoppelt, weil die ursprüngliche Mittlerfunktion des Königs mangels eines ebensolchen nicht mehr besteht.
Im Christentum, um es kurz zu machen, ist die Königswürde sowie das höchste Richteramt von Jahwe auf die Gestalt des Jesus Christus (historisch oder nicht) übergegangen („König der Welt“, „König der Könige“, Richter am Ende der Zeiten). Dementsprechend gilt das „Gesetz Christi“, das ein moralisches ist und kein juristisches.
Kurze Rede, langer Sinn:
Judentum und Christentum haben strukturell die Funktion des altorientalischen Königs an ihre eigenen Bedürfnisse angepasst, im Judentum spielt Jahwe diese Rolle, im Christentum Christus. Würde man das altorientalische Königs-Gen aus beiden Religionen entfernen, fielen sie in sich zusammen wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht. Das gilt natürlich auch für den Islam (einer der 99 Namen Allahs lautet, rein zufällig wie bei JC: „König der Könige“).
Chan