In meinem Betrieb (Behinderteneinrichtung, GmbH) war es lange üblich, schwangeren Frauen bei Mitteilung der Schwangerschaft nahezulegen, doch sofort ihren Resturlaub zu nehmen, damit sich nach der Babypause nicht so eine Menge Urlaub angehäuft hat. Viele Frauen ließen sich darauf ein und nahmen bis zu 5 Wochen Urlaub, im Anschluss gingen sie in das im Heimbereich übliche arbeitsplatzbezogene generelle Beschäftigungsverbot wegen Gesundheitsgefährdung.
Wir als Interessenvertretung stehen auf dem Standpunkt, dass der Arbeitgeber hier die Meldepflicht zur unverzüglichen (!) Meldung an das Gesundheitsamt systematisch grob verletzt hat und nach Kenntnisnahme der Schwangerschaft unverzüglich das betriebliche Beschäftigungsverbot hätte aussprechen müssen, so dass die Frauen ihren Urlaubsanspruch mitgenommen hätten in die Zeit nach der Elternzeit. So aber war der Urlaub - mithilfe dieser Ordnungswidrigkeit - verloren. Den Frauen fiel dies nicht weiter auf, weil ihnen suggeriert wurde, es sei ja egal, wann sie den Urlaub nehmen. Faktisch wurde der Urlaub aber durch das unzulässige Aufschieben des Beschäftigungsverbots schlicht einkassiert. Die GL hat diese Praxis auf unseren Druck hin bei der letzten Schwangerschaft zwar geändert, will das Thema aber schnell vergessen nach dem Motto „was wollt ihr denn noch alles, wir machen es doch jetzt anders…“
Meine Frage: Liegen wir mit unserer rechtlichen Einschätzung richtig, daß hier eine gravierende Missachtung von Arbeitnehmerrechten vorliegt? Wie können wir als Interessenvertretung mit Nachdruck dafür sorgen, dass die „Alt-Fälle“ entschädigt werden und das Thema nicht unter den Teppich gekehrt wird? Welche Instanzen könnte man außergerichtlich einschalten? (Aufsichtsrat, Heimausicht, Gesundheitsamt?)
Hallo,
nach Kenntnissnahme der Schwangerschaft besteht also in diesem Betrieb ein sofortiges Beschäftigungsverbot.
Somit kann nach Kenntnissnahme kein Urlaub genommen worden sein, da einer nicht beschäftigten Person auch kein Urlaub gewährt wird.
Durch Manipulationen der Aufzeichnungen könnte es sich natürlich so darstellen, dass die Frauen grundsätzlich aus dem (schon lange vorher gewährtem) Erholungsurlaub schwanger zurück gekehrt sind.
Mag sich jemand das Gesicht des Arbeitsrichters vorstellen, wenn ihm Deartiges vorgetragen wird???
Hallo,
zur Konkretisierung der Aussage von X_Strom:
gibt es ein Beschäftigungsverbot für Schwangere und ist die ANin nicht verpflichtet bzw. fähig, eine andere Arbeit auszuüben, besteht ein sog. „Erfüllungshindernis“ für eine Urlaubsgewährung (BAG vom 9.8.1994; ErfK, Gallner, § 7 BUrlG, Rn 23).
Erfüllungshindernis bedeutet, daß eine Freistellung für Urlaub keine befreiende Wirkung für den AG hat. Der Urlaubsanspruch wird in diesem Fall durch die Freistellung für Urlaub nicht rechtswirksam reduziert.
Die betroffenen ANinnen können sogar im Rahmen der vertraglichen oder gesetzlichen Verjährungsfrist des § 195 BGB
http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__195.html
bereits unter derartigen Fallumständen „gewährten“ Urlaub zurückfordern.
Fragwürdig ist hier der Begriff der „Interessenvertretung“. Ja was seid Ihr denn ?
Seid Ihr eine MAV ? Das ist in einer stinknormalen GmbH schwer vorstellbar - anders wäre es evtl. in einer gGmbH.
Wenn ihr aber ein BR seid, solltet Ihr schon mal vom § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG gehört haben, der volle (erzwingbare) Mitbestimmung einräumt nicht nur bei allgemeinen Urlaubsgrundsätzen, sondern auch bei der konkreten Festlegung des Urlaubszeitpunktes, wenn dies nicht im Einverständnis geschieht.
&Tschüß
Wolfgang
Vielen Dank für diesen Hinweis. Das Beschäftigungsverbot auszusprechen wäre in der Tat die erste Pflicht des AG gewesen, stattdessen wurde -einvernehmlich- in Urlaub geschickt und danach erst das Verbot ausgesprochen. Den Frauen war aber nicht klar, daß sie unterm Strich den Urlaub verschenkt haben. ( Ja, wir nennen uns MAV und vertreten MA in einer gGmbH. Wir sind per Geschäftsordnung mit den Rechten eines Betriebsrates ausgestattet, ein rechtlich etwas fragwürdiges Konstrukt - ich weiss.) Der Paragraph ist bekannt, allerdings brauchte es einige Zeit, bis diese bizarre Urlaubsregel überhaupt zu uns durchdrang. Seit März 2017 sind wir jetzt an dem Thema dran und die jüngste Schwangerschaft wurde auch bereits anders gehandhabt. Wir würden bloß den GF ungern ohne Erstattung der einkassierten Urlaube davonkommen lassen…
Hallo,
dann prüft die bei Euch geltende Verjährungsregel und informiert die betreffenden ANinnen davon. Da das Individualarbeitsrecht ist, müßten diese individuell den entgangenen Urlaub ggfs. einklagen.
In der Tat mehr als fragwürdig. Habt ihr denn schon mal über eine Statusklärung nachgedacht? Auch gGmbH heißt nicht automatisch MAV. Da käme es auch auf die konkreten Einzelfallumstände an. Die gGmbH ist jedenfalls ein beliebtes Konstrukt von „Tendenzträgern“, Ausgründungen zu betreiben ohne den AN die entsprechenden Rechte zuzugestehen.
&Tschüß
Wolfgang
Da würde mir in erster Linie die Presse oder Sendungen wie z. B. Monitor einfallen, wenn das peinlich für den Arbeitgeber wäre.
Warum soll es eigentlich unbedingt außergerichtlich passieren?
Außergerichtlich, weil sicher keine der Frauen den Stress einer gerichtlichen Klärung freiwillig auf sich nehmen würde, die zudem einen ganz ungewissen Ausgang hätte. Schließlich haben sie ja dieser sonderbaren Regelung zugestimmt, wenn auch aus Unkenntnis der Arbeitgeberpflichten.
Unsere gGmbH ist aus dem jetzigen Trägerverein entstanden. Betriebsrat wollten wir nicht werden, weil wir ehrlich gesagt das bürokratische Drumrum bei der Umstellung scheuten. Aber bisweilen fühlt sich das ganze schon nach Alibifunktion an. Wir haben aber auch noch nie den Aufsichtsrat eingeschaltet, vielleicht wäre das mal was neues. Oder eben die Aufsichtsbehörde, der immer zu spät gemeldet wurde.
Hallo,
sorry, aber das hier
ist mE ziemlicher Quatsch zu Lasten der AN in Eurem Betrieb.
Das von Euch so genannte
ist schlicht und ergreifend ein verläßlicher und belastbarer (Für das Gremium und den AG) Rechtsrahmen, der Euch unabhängig macht von Gnadenerweisen per Geschäftsordnung o.ä.
Außerdem ist es eine zwingende Rechtsfolge. Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für einen BR erfüllt sind, wäre die Umwandlung Pflicht gewesen. Das Arbeitsrecht ist nun mal weder individual- noch kollektivrechtlich ein Wunschkonzert.
So seid Ihr trotz „Geschäftsordnung“ ein freischwebendes, letztlich illegales Gremium, dessen „Beschlüsse“ tendenziell rechtsunwirksam bzw. idR nichtig sind und vom AG jederzeit angefochten werden können.
&Tschüß
Wolfgang
Stimmt schon, aber manchmal reicht die Zeit und Lust nur für „Quatsch“, der manchmal auch ganz effektiv ist. Ich habe heute -einen Tag vor einer größeren Betriebsversammlung (eine Art Jahresvorblick)- im 4 Augen-Gespräch mit dem GL errreicht, daß er mir eine nachträgliche Urlaubsabgeltung für alle Betroffenen und die morgige öffentliche Ankündigung derselben zugesagt hat. Ein Packen Gesetzestexte (Haftung des Geschäftsführers, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, MuSchG, Arbeitsschutz etc.) haben ihn überzeugt, daß diese Lösung besser ist, als das morgen öffentlich alles vorbuchstabiert zu bekommen. Im Gegenzug werde ich morgen sagen, daß ich alles auf einem guten Weg sehe -wenn er sich an seine Zusage hält und die Abgeltung ankündigt.
Schon klar,
wenn Euch an einer belastbaren Grundlage Eurer Arbeit nichts liegt, dann könnt Ihr natürlich gerne so weitermachen. Beschwert Euch aber nicht, wenn Eure GL bzw. Euer Vorstand von jetzt auf gleich von Ihrem Gnadenerweis nichts mehr wissen wollen.
&Tschüß
Wolfgang
Ich fände es auch viel klarer und eindeutiger BR zu sein. Bisher konnten wir halt immer, wenn´s drauf ankam, die AN-Anliegen durchsetzen, weil wir einfach gute Argumente hatten und der GF letztlich konstruktiv ist. Aber Du hast Recht, dass das eigentlich viel zu Wischiwaschi ist, v.a. wenn man wirklich mal den Rechtsweg gehen müsste. Danke für Deine Hinweise.