Ecke, die ab ist >> Adjektiv

Hallo.

Manchmal konstruieren die Deutschen ein Adjektiv vom Wort ‚ab‘. Wenn eine Ecke ab ist, ist es eine ‚appe Ecke‘.
Nun ist klar, dass es dieses Wort eigentlich nicht gibt, und es von daher auch keine Rechtschreibung geben kann.
Dennoch müsste es doch möglich sein, dieses Wort in Buchstaben zu formen, wenn man z.B. jemanden zitiert, der dieses (Un-)Wort benutzt. Wie müsste also die (Recht-)Schreibung lauten?

a) die abbe Ecke
b) die appe Ecke
c) die abe Ecke
d) (noch anders)

Vielen Dank für Ideen und Vorschläge.

LG
Andastra

Hallo, Andastra!

Aus dem Adverb „ab“ (in dieser Verwendung; „ab“ könnte auch Präposition sein: z.B. „ab vier Uhr“) wird regelwidrig ein Adjektiv gebildet, das dann auch dekliniert werden kann. Die entsprechende Form müsste man wohl „abe“ (oder eventuell „abbe“ wegen des Kurzvokals) schreiben, sicher nicht „appe“, da sich dann der Stamm ändern würde.

Alles rein theoretisch!

Es gibt allerdings eine kleine Gruppe von Adjektiven - wie „quitt“, die nur prädikativ („Wir sind jetzt quitt.“) verwendet werden. Vielleicht könnte man dorthin auch „ab“ packen. Dies alles ist eine Frage der zugrunde liegenden Grammatiktheorie - ob ich die Unterscheidung zwischen Adjektiv und Adverb an der Semantik (Eigenschaft vs Umstand), der Morphologie ((nicht) deklinierbar) oder Syntax (Stellung prädikativ und/ oder attributiv (vor einem Substantiv); Satzgliedfähigkeit) festmache. Der DUDEN trifft seine Unterscheidungen eher im Sinne einer Mischklassifikation. Dabei gibt es immer „Ausnahmen“ - das ist das Problem jeglicher Lernergrammatik (und wohl auch Grammatiktheorie).

Herzliche Grüße, Wolfgang

Hallo, Andrasta,
da es ein solches Adjektiv nicht gibt, kann man es auch nicht schreiben.
Nur unter Zufügung eines weiteren Teilwortes ließe sich ein wirklicher Satzteil daraus bilden. Beispiele: „die abgeschlagene / abgesägte / abgerundete / abgebrochene /abgebissene Ecke“ jeweils in Abhängigkeit davon, wie die Eckae abhanden kam.

Nur als gekennzeichnetes Zitat kann man ausnahmsweise von der „abben“ Ecke, der „zunen“ Tür, dem „aufen“ Fenster sprechen.

Und natürlich gibt es für ein nicht vorhandenes Wort auch keine Rechtschreibregel. Hilfsweise kann man lediglich die allgemeinen Regeln für Rechtschreibung heranziehen. Darauf wurde in einer anderen Antwort bereits hingewiesen.

Gruß
Eckard

Hi Eckard,

der „zunen“ Tür

das ist aber kein gutes Deutsch, um Lippstadt herum kennt man nur die zuhene Tür. Frag mal Rummenigge!

Gruß Ralf

Hallo Andastra,

ich fürchte, dass man so eine ein umgangssprachliche Form, die nur in der gesprochenen Sprache vorkommt, überhaupt nicht überzeugend in eine Schriftform umsetzen kann. Also, wenn es denn unbedingt sein muss, würde ich

„ab-e“

vorschlagen. Aber so richtig toll ist das auch nicht. Vor allem ist das Problem, dass man nicht unbedingt sofort erkennt, was für ein Wort eigentlich gemeint ist, wenn man das liest. Das ist aber mit den anderen Vorschlägen, die Du gemacht hast, genauso.

Das liegt hauptsächlich daran, dass die Orthographie eben immer nur zum Teil die tatsächliche Aussprache wiedergibt. Vieles an der deutschen Orthographie ist historisch bedingt - also quasi ein Überbleibsel aus Zeiten, als die Wörter noch anders ausgesprochen wurden. Es gab z.B. die Formen „aba“ im Althochdeutschen und „abe“ im Mittelhochdeutschen, die mit langem /a/ und weichem /b/ gesprochen wurden. In bairischen Dialekten gibt es „abe“, „oba“, „owa“ etc. heute noch.

(Ich schreib jetzt immer „x“, wenn’s darum geht, wie es geschrieben wird, und /x/ wenn’s darum geht, wie es gesprochen wird.)

Egal, wo das heutige „ab“ auftritt (als Präposition wie in „ab vier Uhr“, als Vorsilbe wie in „abgerissen“ oder eben als Prädikativ wie in „die Ecke ist ab“) - das Wort wird immer als abgeschlossene Ausspracheeinheit behandelt. Das bedeutet, dass das „b“ im Stamm von „ab“ durch die generelle Auslautverhärtung im Deutschen als /p/ gesprochen wird. Das „b“ steht also orthographisch nur aus historischen Gründen in „ab“, wird aber nie als weiches /b/ gesprochen.

Dagegen wechseln sich bei Wörtern, die auf „b“, „d“ oder „g“ enden und die tatsächlich dekliniert werden können, weiche und harte Aussprache des letzten Lautes ab:

„gab“ /p/ - „gaben“ /b/
„Rad“ /t/ - „Räder“ /d/
„Tag“ /k/ - „Tage“ /g/

So… nun müsste also, wenn man „ab“ tatsächlich als Adjektiv behandelt, das historisch bedingte „b“ im Stamm eigentlich wieder aktiv werden und entsprechend weich gesprochen werden:

„abe“ /b/

Das ist aber in der umgangssprachlichen Verwendung nicht der Fall. Man sagt ja schon sowas wie /ape/.

Erschwerend kommt jetzt noch hinzu, dass das „a“ in „ab“ (und z.B. auch in „an“) immer kurz gesprochen wird, obwohl man von der Schreibweise her schließen könnte, dass es lang ist. Leute, die Deutsch als Fremdsprache sprechen, müssen dies als Ausnahme von der Regel lernen, denn normalerweise werden kurze Einzelvokale orthographisch durch Konsonantenverdoppelung markiert („Brett“, „schlapp“ etc.). Also auch hier ist die Schreibweise nur historisch bedingt und nicht wirklich der heutigen Aussprache angemessen.

Du siehst, das ganze Problem würde sich lösen, wenn man /ab/ so schreiben würde, wie man’s heute spricht, nämlich „app“. Dann wäre „die appe Ecke“ ganz leicht verständlich. Aber so, wie man es laut Duden schreibt, gibt es da keine gute Lösung.

Puh, ganz schön knifflige Frage. Hab mein Bestes versucht.

Gruß,
Matty

saarens, Eckard,

isch kenn bei ons im Ringland äwwer ooch bloß de " zue" Tür un de „a pp e“ Ecke.

Und außerdem haben wir noch einen „draufen“ Deckel …

Gruß

Metapher

abbe // doofe
Hallo Matty.

Vielen Dank für deine Antwort. Sie hat mir von allen (bisherigen) am besten gefallen. Sie war auch am ausführlichsten. (Auf Platz 2 setze ich den Beitrag von Wolfgang Zimmermann – ist aber auch egal.)

Anm.: Komisch nur, dass genau die Beiträg einen Stern bekommen haben, die im Wesentlichen aussagen, dass es das Wort gar nicht gibt, und es deswegen auch keine wirkliche 'Recht-'schreibung geben kann. Denn genau das hatte ich bereits in meinem Anfangsbeitrag deutlichst erwähnt!

Was mich immer schon irritiert hat, dass „doof“ /doo f / gesprochen wird, im Plural das ‚f‘ aber wie ein ‚w‘: „doofe“ /doo w e/.
Stimmt das?
Hast du dazu etwas zu sagen?

LG
Andastra

Hallo, an alle Gesprächsteilnehmer.

Vielleicht ist es hier auch möglich, an [FAQ:1493] zu erinnern.

Und an solche Sachen wie

  • die orangene Revolution,
  • das lilane Halstuch,
  • die khakine Hose,
  • das scheiße - oder besser: scheißene - Deutsch.

Und was der Späße mehr sind. Man muss da auch nach „indeklinablen Adjektiven“ suchen.

Fritz

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Hallo Andastra,

schön, dass ich Dir soweit schon mal helfen konnte.

Was mich immer schon irritiert hat, dass „doof“ /doo f /
gesprochen wird, im Plural das ‚f‘ aber wie ein ‚w‘: „doofe“
/doo w e/.
Stimmt das?
Hast du dazu etwas zu sagen?

Ja, das ist auch ein interessanter Fall.

Normalerweise gilt die Auslautverhärtungsregel im Deutschen nur in eine Richtung, also: Ein stimmhafter (weicher) Konsonant wird stimmlos (hart), wenn er am Wortende oder vor einem anderen stimmlosen Konsonanten steht:

ich habe /b/ - ihr habt /p/
ich klage /g/ - ihr klagt /g/

Das gilt auch für /w/, ob nun mit „w“ oder mit „v“ geschrieben. /f/ ist dann einfach die stimmlose Variante von /w/

ich versklave /w/ - ihr versklavt /f/

Mhmmm… „versklaven“ ist ja kein schönes Verb… Aber viele wirklich gute Beispiele für Wörter, die auf „v“ oder „w“ enden, gibt es im Deutschen nicht. Vielleicht noch dies hier:

Löwe /w/ - Löwchen /f/

Naja, auch nicht viel besser :o)

Nun dürfte die Regel aber nicht in die andere Richtung gelten, also so, dass jeder stimmlose Konsonant im Wortinneren oder vor stimmhaften Lauten selbst stimmhaft wird. Normalerweise bleiben stimmlose Laute, die zum Stamm eines Wortes gehören, einfach stimmlos, auch wenn man einen Vokal anhängt:

Piep /p/ - piepen /p/
Mut /t/ - zumuten /t/
Schaf /f/ - Schafe /f/

So, nun zu „doof“. Hier scheint zunächst die Regel in die umgekehrte Richtung angewendet zu werden, also /f/ wird /w/ im Wortinneren. Das scheint aber nur so. In Wahrheit liegt die Ursache für den Wechsel zwischen /f/ und /w/ wieder mal in der Geschichte des Wortes. Im etymologischen Wörterbuch der DUDEN-Gesellschaft steht darüber:

doof (ugs. für:smile: „dumm, einfältig, beschränkt“:
Das Wort ist eigentlich die niederdeutsche Entsprechung von hochdeutsch taub (beachte mnd. dof „taub“, dove „Tauber, Einfältiger“). Der Taube gilt wegen seiner mangelnden Verständigungsmöglichkeit oft als dumm. Das Wort ging seit etwa 1900 von Berlin aus in die allgemeine Umgangssprache über.

An dem, was in der Klammer steht, sieht man’s mal wieder: Orthographie ist manchmal die reine Phantasie unserer Vorfahren. In diesem Fall haben sie offensichtlich einmal genau so geschrieben, wie man’s spricht (ganz im Gegensatz zu „ab“). Eigentlich müsste es „dov“ bzw. „doov“ geschrieben werden, wenn es systematisch mit der Schreibweise der anderen Adjektive zusammenpassen soll. Dann würde einfach wieder, wie oben bei „versklavt“ und „Löwchen“, die Auslautverhärtung greifen:

doove /w/ - doov /f/

Tja, aber so wird’s nunmal nicht geschrieben.

Eines noch: Meines Wissens ist es ziemlich strittig, ob /doowe/ oder /doofe/ die richtige Aussprache von „doofe“ ist. Ich würde gefühlsmäßig die /w/-Variante eher Norddeutschland zuordnen, und das würde ja auch mit der Geschichte des Wortes zusammenpassen. In meiner Heimat im Süden würde man /doofe/ sagen.

Viele Grüße,
Matty

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Upps, kleiner Fehler…
… muss heißen:

ich klage /g/ - ihr klagt /k/

Sonst is ja der Witz weg :o)

Hallo, Matty!

Unabhängig von Deinen sehr interessanten Ausführungen:

Für den stimmhafen labiodentalen Frikativ sollte man /v/ notieren, nicht /w/, denn Letzteres ist der Halbvokal wie im Englischen (z.B. „water“).

Mit den besten Grüßen, Wolfgang Zimmermann

Lautschrift
Hallo Wolfgang,

Für den stimmhafen labiodentalen Frikativ sollte man /v/
notieren, nicht /w/, denn Letzteres ist der Halbvokal wie im
Englischen (z.B. „water“).

ja, die IPA-Konvention, ich weiß… ich hab diesmal drauf verzichtet, weil der Buchstabe „v“ im Schriftbild des Deutschen keinem eindeutigen Laut zugeordnet werden kann (d.h. auch unabhängig von phonologischen Regeln - z.B. im Anlaut - stimmhaft oder stimmlos realisiert sein kann). Das hätte in diesem Fall vielleicht mehr Verwirrung gestiftet. Aber natürlich hast Du da Recht.

Ach ja, für Leser dieses Threads, die das auch interessiert: bei Wikipedia findet sich eine brauchbare Darstellung des Internationalen Phonetischen Alphabets (IPA):

http://de.wikipedia.org/wiki/International_Phonetic_…

Unter dem Punkt „Darstellung des Standarddeutschen“ findet man deutschsprachige Beispiele für die Lautsymbole. Man muss allerdings den Ansichts-Schriftgrad des Browsers etwas erhöhen, damit alle phonetischen Zeichen richtig angezeigt werden.

Beste Grüße zurück,
Matty

Danke!
Hallo Matty.

Vielen Dank für deine erneuten Ausführungen.
Eine Kleinigkeit: In deinem Lebenslauf sollte es besser „selbstständig“ heißen, oder?

LG + Kuss
Andastra

riesen/Riesen (riesig)
Hallo.

Vielleicht ist es hier auch möglich, an [FAQ:1493] zu
erinnern.

Wurde in diesem Zusammenhang auch schon ‚riesen‘/‚Riesen‘ besprochen?
Heißt es „Ich habe einen riesen Hunger“
oder „Ich habe einen Riesenhunger“?
(Bitte beides im Sinne von „Ich habe riesigen Hunger“ verstehen !!)

LG
Andastra

Hallo Andastra,

Eine Kleinigkeit: In deinem Lebenslauf sollte es besser
„selbstständig“ heißen, oder?

also, soweit ich weiß, ist sowohl „selbständig“ als auch „selbstständig“ gebräuchlich - und nach alter und neuer Rechtschreibung auch gleichermaßen erlaubt. Selbst das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit benutzt beide Schreibweisen parallel (ungefähr fifty-fifty). Mir ist das mal aufgefallen, weil viele Internet-Suchmaschinen die beiden Formen nicht assoziieren. Und so findet man oft nur Artikel mit entweder der einen oder der anderen Schreibweise. Google behebt dieses Problem übrigens durch sein Orthographie-Modul, so dass immer automatisch für beide Schreibweisen gesucht wird - gleichgültig, welche davon man bei der Suchwort-Eingabe benutzt hat.

Aber, es stimmt: Das ist auch mal wieder ein schönes Beispiel dafür, dass sowohl Wortbildung als auch Aussprache gute Gründe für orthographische Festlegungen sind. Und beide fallen hier ziemlich auseinander, denn „sälpstschtändich“ (für Wolfgang: /zɛlpstʃtɛndɪç/) spricht das ja wohl keiner aus. Da hat man sich ja schon die Zunge gebrochen, bevor man noch den ersten Cent verdient hat :o) Bei der Orthographie muss man dann eben eine Entscheidung treffen, welchem Argument man den Vorzug gibt.

Liebe Grüße zurück,
Matty