Ehemalige DDR in Bezug auf aktuelle Geschehnisse

Diesen Thread lese ich mit Interesse Warum ließ die DDR-Führung nicht schießen?:
aber, @Karl2 verzeih mir bitte, dass ich deinen Post herausgepickt habe, dort fällt mir etwas auf, das man extrem häufig hört und liest, nämlich

die Verwendung von „ehemalige DDR“ auf aktuelle Geschehnisse

So wie ich es erlebt habe, hatte die DDR einen Beginn und auch ein Ende, sie existiert nicht mehr. Es gibt sehr wohl noch Leute, die in der DDR geboren wurden und dort lebten, somit also ehemalige DDR-Bürger waren.

Wenn aber heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall, immer noch von aktuellen Geschehnissen mit „ehemalige DDR“ berichtet wird, frage ich mich ernsthaft, ob das so wirklich richtig ist.

Ich persönlich finde die Verwendung im heutigen Zusammenhang auf aktuelle Vorkommnisse als eine Distanzierung und teilweise auch Abwertung.

Helft mir mal bitte auf die Sprünge, danke!

Stimmt, „in der ehemaligen DDR“ bestimmt neben dem Gebiet auch den Zeitraum.
Ich persönlich sage „In zwei Wochen arbeiten wir im Osten“. Ist auch blöd (Eisenach liegt im Osten, Passau im Westen? - Haha.). Aber jeder weiß, was gemeint ist.
„In den (fünf) neuen (Bundes)Ländern“ hieß es eine Zeit lang, oder gar „Neufünfland“.

Wie sagt denn die Tagesschau? Ich glaube, die nennen die Gebiete der BRD, die einmal zur DDR gehörten, schlichtweg „Ostdeutschland“.

„BRD“ ist übrigens ein DDR-Begriff. Die Bundesrepublik hat sich nie so abgekürzt.

Ich lese das in den meisten Kontexten als Ellipse für „auf dem Gebiet der ehemaligen DDR“, und finde es dann unproblematischer als z.B. immer noch „die fünf neuen Bundesländer“ - als ob die anderen „alt“ oder „gebraucht“ wären.

Oder „Neufünfland“ geht ja gar nicht, das is wie Trizonesien :wink:

Darum ja „ehemalig“.

Spätenstens wenn relativ bald der Zeitraum der „ehemaligen DDR“ länger geworden sein wird als der Zeitraum der DDR, dann sollte man diesen Begriff aber vielleicht wirklich ins Archiv legen. Dann aber „die fünf neuen Bundesländer“ gleich mit.

Ich meine, sagt ja auch keiner „schade, dass es im ehemaligen Deutschen Reich heute keine richtigen Straßenfußballer mehr gibt“ … oder so :wink:

Gruß
F.

Ich glaube du ahnst, was mich an diesem Begriff stört.

Ja schon, aber auch nein. Wolf Biermann ist ein ehemaliger DDR-Bürger und wird das auch immer bleiben. Trotzdem hört und liest man immer wieder auf aktuelle Ereignisse bezogen: „Heute ist in einem Dorf der ehemaligen DDR ein Sack Kartoffeln umgekippt“ (Wenn ich jetzt nach Berichten über die LTW in Thüringen suchen würde, fände ich eine solche Umschreibung garantiert, da ich aber meinen Bedarf an Ärger für heute schon gedeckt habe, lasse ich es.)

Für mich, in NRW verwurzelt, wohl aber mit anhaltinischen (und noch ein paar mehr) Wurzeln, klingt das abwertend. Auch weil schon einige Dekaden auf dem Kalender weitergeblättert wurden. Oder um in der Zeit noch weiter zurückzugehen: heute spricht niemand vom „ehemaligen“ 3.-Reich

Als Psycho-Experte kannst du das sicherlich besser beurteilen als ich, aber ich finde, das ist ein Ausdruck der immer noch existierenden ‚Mauer im Kopf‘. Hey, 30 Jahre, das ist eine Generation und da wurde etwas geschaffen, auf das man trotz allem, verdammt stolz sein kann - und dann kommt jemand der davon redet, dass er letzte Woche in der „ehemaligen DDR“ Urlaub gemacht hat.

Vielleicht fällt mir das aber auch nur so extrem auf, da meine Sippe viele weitverstreute Wurzeln hat und ich eine leichte Wortfetischistin bin.

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Tja, wie immer kommt es auf den Zusammenhang an.

„Ich war im Urlaub zwei Wochen in der ehemaligen DDR“ ist völlig sinnfrei, dämlich, abwertend oder wie auch immer.

In meinem Satz dagegen habe ich ganz bewusst „DDR“ geschrieben, denn es ging ja gerade um meine Begeisterung für die protestierenden Menschen in der DDR 1989, meine Bewunderung und Freude darüber, dass dort etwas geschah, was ich mit den Adjektiven „stolz“ und „vielleicht einmalig“ charakterisierte.
Und mit dem Benutzen des Begriffes „DDR“ zielte ich gerade pointiert auf den so bedauerlichen scharfen Gegensatz zwischen dem ganzen Bündel negativer Konnotationen und meiner positiven Sicht. Dieses rhetorische Mittel erkennt man freilich vielleicht erst, wenn man mich besser kennt, das mag sein.
Oder hast du meinen Satz nach sechs Wörtern aufgehört zu lesen?

Zu deinem Thema:
Ich kann mit diesem Ost-West-Gegensatz-Gedöns so überhaupt nichts anfangen. Ich habe mich auch vor der Wende immer als „Deutscher“ gefühlt (neben Norddeutscher, Europäer, Musiker, Sohn, Ehemann, Mensch, etc.)

Zum einen lag das sicher daran, dass ein Teil meiner Verwandtschaft in der DDR lebte.

Zum anderen, weil ich schon lange weiß, dass die DDR erst 1949 gegründert wurde, dass Deutschland vorher in Besatzungszonen eingeteilt war (und es ja komplett zufällig war, welche Menschen sich nach dem Krieg nun in der amerikanischen, der französischern etc. Besatzungszone wiederfanden - Nichts wäre doch dämlichler als zu sagen: Herr x lebte 1946 in der amerikanischen Zone, wie peinlich, verachtungsvoll…im Harz gehörte das eine Kaff 1949 plötzlich zur DDR, das andere zur BRD, wie beschränkt muss man sein um zu denken, damit wäre irgend eine Wertung der Menschen verbunden, die nun zufällig ein paar Kilometer östlich oder westlich wohnten…)

Bis 1945 gab es das nationalsozialistische deutsche Reich, davor die Weimarer Republik, davor die Kaiserzeit, davor das römische Reich deutscher Nation als meist äußerst loser Staatenbund, noch viel früher das Frankenreich, östlich davon lebten germanische, slavische und andere Stämme noch ohne staatliche Strukturen…

…und all diese Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende prägen unser Dasein (auch wenn bei vielen Menschen der Horizont nur bis zu den Beattles zurückreicht, alles andere ist für sie Steinzeit) - wie gesagt, mit dem Ost-Westgedöns kann ich nichts anfangen.

Lübeck - Wismar - Stralsund sind Städte mit herrlichen Kirchen der Backsteingotik aus der Hansezeit, hat null damit zu tun, das zwei dieser Städte mal Teil der DDR waren,

Barlach-Museen gibt es in Hamburg und Güstrow, na und?

Der Harz ist eine tolles Landschaftsgebiet, welche geologische Bedeutung soll die deutsch-Deutsche Grenze bei Braunlage gehabt haben?

Warum sind die berühmten Stifterfiguren in Naumburg aus dem ich glaube 13. Jahrundert so unglaublich lebensecht? Weil der Künstler ein Ossi war?
Und der Wessi Goethe fand dann im Osten sein Glück?

Und den Schriftsteller Franz Fühmann bewundere ich, weil er so schonungslos beschreibt, wie er als junger Mann zunächst tief von der Nazi-Ideologie durchdrungen war, später vom Kommunismus um die Mitte des 20. Jahrhunderts, um sich zweimal von Ideologien loszusagen, welch eine Leistung!

Ich interessiere mich für Menschen, ihr Denken, Fühlen, ihre Schwächen und Stärken, nicht um Schablonen.
Karl

Und was ist eigentlich daran so schlimm?
Die DDR hat sich ja auch „DDR“ genannt.

War halt ein Kampfbegriff.

Mir ist schon klar, wie du das gemeint hast, nämlich positiv, da sind wir vollkommen einer Meinung, ich finde es toll, das alles miterlebt zu haben*. Es sollte auch keine Kritik sein, dein Post war nur der Auslöser für meinen:

Mir geht es nur um die Nutzung des Begriffs „ehemalige DDR“ im Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen unter grammatikalischen Gesichtspunkten, daher auch die Brettwahl unter „Deutsche Sprache“

Klar, ich habe auch die Bewertung mit reingebracht, aber im Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen und wie das dann auf mich wirkt.

Der historische Kontext ist hier gar nicht gefragt, mir aber wohl bekannt (ich bin im Zonenrandgebiet nahe Kassel aufgewachsen und kann mich immer noch mit Grusel an die Grenzübertritte in die DDR und retour erinnern)

Auch ich habe schon eine Generation zurück anhaltinische Wurzeln, der Rest der Sippe kommt aus Halb-Europa, ich bin also vieles, am ehesten fühle ich mich als Europäerin. Aber das war gar nicht meine Frage.

Also bitte noch einmal meine Frage ganz genau lesen:

Zum * im Text noch eine Anekdote am Rande: meine Omma hat am 9. November Geburtstag, so auch 1989. Sie stammt aus Sachsen-Anhalt, genügend Verwandtschaft lebte noch dort. In der Nacht des 9. auf den 10. November '89 stand ihr Bruder auf einmal vor der Tür, er hatte die Gunst der Stunde genutzt und den Trabbi die ganzen Kilometer bis ins Sauerland gescheucht um das erste Mal seit 1950 seiner Schwester persönlich zu gratulieren. Ich wurde damals tatsächlich geweckt, dass ich diesen Moment auch erleben konnte. Das werde ich niemals vergessen

Absolut.
Das ist der springende Punkt, um den es wohl geht.
Und allmählich wirds langsam grotesk, nachdem die DDR nun fast schon so lang weg ist wie sie da war.

Gruß
F.

„BRD“ war eigentlich ziemlich gebräuchlich, zumindest in Österreich und in anderen Ländern - auch meine deutsche Verwandtschaft (in Baden-Württemberg und Bayern) benutzte diese Abkürzung.
Ich dachte eigentlich, dies sei in ganz „Westdeutschland“ verbreitet gewesen?

Grüße,
Tomh

Das war verpönt.

Wo denn genau? Im amtlichen Sprachgebrauch oder der Tagesschau vielleicht, in der Alltagssprache sicher nicht.

Kommt vielleicht auf das Milieu an, je nach Bildungsstand, politischer Ausrichtung (in linksradikalen Kreisen, in denen ich mich damals auch tummelte, sagte man das so, um das Establishment zu ärgern), vielleicht auch Alter, mag das etwas unterschiedlich gewesen sein.

Lasst Euch nicht BRDigen!

Ja, für sowas haben wir in „der ehemaligen DDR“ einen Fachbegriff:

Wendehals.

Hey, ich habe einen Auto-Atlas aus den 1950ern , da steht noch „D.B.R.“. Und das Gebiet von West(-)Berlin (West) ist gänzlich weiß.

Warum „ehemalige“ DDR? Man sagt auch nicht „die ehemalige Sowjetunion“ oder die „ehemalige Jugoslavien“ oder das „ehemalige österreich-ungarische Kaiserreich“ usw. Das hört sich so (für mich) an, als neben der „ehemaligen“ DDR gebe es eine neue DDR.

Äh, doch.
Ich verwende diesen Begriff recht oft, z.B. wenn ich erzähle, dass zwischen meinem Erst- und meinem Zweitwohnsitz eigentlich nur ein einziges Land liegt, nämlich das ehemalige Jugoslawien.

Unabhängig von mir und meinen Wohnsitzen, wird der Begriff übrigens auch nicht so selten gebraucht.

Gruß
F.

Aha, das Wort Wendehals bedeutet, dass sich jemand intensiv mit seinen eigenen falschen Idealen auseinandersetzt und sie als falsch und gefährlich erkennt?
Merkste was?

Was jemand von sich behauptet und was er wirklich getan hat, ist zweierlei…