Rousseau unterscheidet zwei Arten von Eigentum:
Zunächst das vor-staatliche Eigentum, das entsteht, indem ein Individuum Besitzanspruch auf ein Stück Land erhebt und bereit ist, diesen Anspruch mit Gewalt durchzusetzen. Das ist die Ursache von sozialer Ungleichheit:
„Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und dreist sagte: 'Das ist mein' und so einfältige Leute fand, die das glaubten, wurde zum wahren Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wieviele Verbrechen, Kriege, Morde, Leiden und Schrecken würde einer dem Menschengeschlecht erspart haben, hätte er die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinesgleichen zugerufen: 'Hört ja nicht auf diesen Betrüger. Ihr seid alle verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde keinem.'“ (Diskurs, 173)
Den mit dieser Entwicklung einhergehenden Gesellschaftsvertrag zwischen den antagonistischen Klassen Reich und Arm stellt Rousseau ironisch wie folgt dar:
„Fassen wir in vier Sätzen den Gesellschaftsvertrag der beiden Stände zusammen: Sie haben mich nötig, denn ich bin reich und Sie sind arm. Machen wir untereinander einen Vertrag: Ich erlaube, daß Sie die Ehre haben, mich zu bedienen, unter der Bedingung, daß Sie mir das wenige geben, das Ihnen bleibt, und dafür die Mühe, die ich habe, Ihnen zu befehlen…“ (Pol. Ök., 50 f.)
Rousseaus Alternativvorschlag, der Contrat Social, sieht dagegen vor, dass in einem ersten Schritt das Eigentumsrecht an Grund und Boden an den Staat übergeht, der dieses Eigentum dann in einem zweiten Schritt an die Bürger als deren ´Besitz´ zurückerstattet. Rousseau unterscheidet also Eigentum (Staat) und Besitz (Bürger). Damit ist folgender Wandel vollzogen:
-
Im 2-Klassen-System verfügt das Individuum über „natürliche Freiheit“, d.h. seine Freiheit wird nur durch seine (gewaltbereite) Stärke begrenzt. Besitz (Verfügungsrecht) und Eigentum sind identisch. Es besteht kein alle Individuen einschließendes Recht auf Besitz.
-
Im Rousseau´schen Staat verfügt das Individuum über „bürgerliche Freiheit“, d.h. seine Freiheit wird durch die Regeln des Gemeinwohls begrenzt. Besitz und Eigentum werden unterschieden. Jedes Individuum hat ein Recht auf Besitz, das ihm der Staat als Gesamteigentümer garantiert.
Rousseau geht davon aus, dass die Einführung der Agrarwirtschaft das individuelle Eigentumsdenken begründete. Das dürfte historisch falsch sein; vielmehr war es die 2000 Jahre später aufkommende Rinderzucht, die im Zuge des einsetzenden patriarchalischen Denkens der Ausgangspunkt für private Anhäufung von ´Kapital´ (Rinderherden) war.
Die Pointe in Rousseaus idealisierender Theorie ist, dass der Staat dem Bürger nicht als eine fremde Macht gegenüber steht, sondern den Volonté générale repräsentiert, den ´allgemeinen Willen´ des Volkes, der mehr ist als die Summe seiner Teile. Der ´Volkswille´, dessen gewählte Vertreter die Besitzverteilung regeln und kontrollieren (gegen Missbrauch), ist also nichts dem Individum Fremdes, sondern ein Instrument und Wahrer der Interessen des Individuums.
Chan