Hallo!
Wird das Geschäft zwischen der EU und den USA durch Abbau von Handelshemmnissen
gefördert, gibt es gewiss einen Nutzen. Allerdings bedeutet mehr Handel nicht unbedingt
mehr Konsum, so dass die Steigerung des Geschäftsvolumens mit den USA sicher auch
auf Verlagerungseffekten beruhen wird.
Okay, die Märkte werden „harmonisiert“ und somit vereint. Wird
es bei den sogenannten „Verlagerungseffekten“ nicht
zwangsläufig auch zu einer Abnahme unserer sozialen Standards
kommen?
Mit „Verlagerungseffekt“ meinte ich Veränderungen in der Zusammensetzung der Handelspartner und Warenströme. Wenn die Handelsvolumina zwischen der EU und den USA steigen, aber der Konsum steigt nicht im gleichen Umfang, muss es zwangsläufig zur Reduzierung der Handelsvolumina mit anderen Partnern kommen. Der Effekt wird bei landwirtschaftlichen Produkten, Dienstleistungen, Software, Maschinen und Autos jeweils unterschiedlich ausgeprägt sein und wiederum in verschiedener Ausprägung in und zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU.
Immerhin stehen wir ab dann ja deutlich mehr in Konkurenz zum
Wirtschaftsstandort USA.
Ja.
Die dortigen Standards sind bei weitem unterhalb der unseren…
Dem ist nicht so. Ich bin zwar nicht aussagefähig über alle Branchen und Produkte, aber durchaus in verschiedenen Bereichen der Elektrotechnik. Dabei kann man nicht von höheren oder niedrigeren Standards reden. Es sind andere Standards mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Angleichung wird unter dem Strich zu weniger administrativem Aufwand und zur Kostensenkung führen.
Unternehmen, die qua schierer Größe mit vorhandener betrieblicher Infrastruktur nicht angeglichene Standards auch bisher bewältigten, werden sich über geringeren Aufwand freuen. Aber für Mittelständler bieten Angleichungen überhaupt erst die Einstiegsmöglichkeit in den US-Markt. Es wird ein ähnlicher Effekt sein wie zuvor in der EU. Früher war es für Mittelständler kaum zu handhaben, in mehrere andere Länder zu exportieren, während heute ein Handel mit Frankreich oder Italien beinahe wie ein Inlandsgeschäft läuft. Wer wissen will, welch zweifelhafter Spaß mit Im- und Export verbunden war, sollte es heute mit der Schweiz zelebrieren und wird den Unterschied zum Handel mit einem EU-Land sofort bemerken.
dass das langfristig negative Auswirkungen bei uns haben wird.
Allein der Konkurenz wegen, um nicht irgendwann von der
Exportnation USA abhängig zu werden…
Halte ich für eine gewagte Aussage, dass ein Industrie- und Handelsmoloch wie die EU von den USA abhängig wird. Es gibt gegenseitige Abhängigkeiten in unterschiedlicher Ausprägung bei einzelnen Erzeugnissen, aber die gab es schon immer und sind per se nichts Schlimmes. Abhängigkeiten entstehen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft zwangsläufig. Man kann es auch eher positiv besetzt als Verflechtung bezeichnen. Es wäre sehr zu wünschen, brächten wir diese Verflechtung auch mit Russland über den Gassektor hinaus stärker zustande. Wirkt nämlich vertrauensfördernd und friedenssichernd.
Aus meinem Nähkästchen: Die Wirkungen von Handelshemmnissen spürte ich während meines ganzen bisherigen Berufslebens. Schon in den 70ern als Entwickler in einem heute nicht mehr existierenden Konzern hatte ich immer wieder mit Patenten zu tun. Ein anständiger Entwickler musste seine Daseinsberechtigung durch regelmäßige Patentanmeldungen demonstrieren. Wer schreibt, der bleibt. Also wurde tüchtig geschrieben Wir hatten eine eigene Patentgesellschaft, die sich um so Kleinkram wie Kosten und Formalismus kümmerte. Zum Formalismus gehörte, dass man in den USA als Ausländer kein Patent anmelden konnte. Man musste alle Rechte an einen amerikanischen Staatsbürger abtreten. Natürlich hatte der Konzern einen geeigneten Ami auf der Gehaltsliste einer Niederlassung in den USA, wie man überhaupt auf dem ganzen Globus geeignete Leute hatte, die abwickelten, was eigentlich gar nicht ging oder etwa bei Waffengeschäften verboten war. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück zum Ami, dem man seine Rechte an der Erfindung abzutreten hatte. Der zahlte dafür einen symbolischen Preis, den sog. Erfinderdollar. War tatsächlich eine 1-Dollar-Note, die eingetütet und beschriftet über den großen Teich geschickt und dem Erfinder überreicht wurde. Ich hab mein Exemplar bis heute aufbewahrt. Nette Erinnerung und damals in einem Riesenunternehmen, das alles abwickelte, gar kein Problem. Aber mach das mal als Mittelständler oder Freiberufler - kannste vergessen oder musst Agenten bezahlen. Und such’ dann mal dein Recht in den USA an dem übereigneten Patent … Von daher muss man internationale Vereinbarungen über Verfahrensweisen bei Schutzrechten in Gold fassen.
Anderes Beispiel: Den o. g. Konzern gab es nicht mehr und statt Zieleinrichtungen zum Totschießen entwickelte ich Sachen für die Medizintechnik. Rein technisch betrachtet nicht wirklich ein großer Unterschied und auch beim Export mit mancherlei Ähnlichkeiten. So ist jeder nationale Markt viel zu klein; man muss das Zeug in die ganze Welt verkaufen. Dumm nur, wenn etwa für die Schweiz, Japan, Deutschland, den damaligen Ostblock und die USA unterschiedliche Regelwerke zu Brandschutz und elektrischer Sicherheit zu beachten waren. In den USA gilt UL und in Deutschland gilt VDE … Für die verschiedenen Märkte jeweils verschiedene Geräte zu entwickeln, ist zu teuer und logistisch nicht zu handhaben. Reicht ja schon, dass Gerätschaften für die USA für größeres Körpergewicht und größeren Körperumfang dimensioniert werden müssen, weil die Patienten viel fetter sind als sonst irgendwo auf dem Globus, japanische Sumo-Kämpfer mal unberücksichtigt gelassen. Das sind wirklich die Probleme eines E-Ings!
Die Lösung: Man entwickelt ein Gerät, das allen einschlägigen Vorschriften aller Herren Länder entspricht. Wollen die Amis vor allen Dingen verhindern, dass im Brandfall irgendwas Giftiges aus den Geräten wabert, haben Deutsche besonderen Respekt vor Gefahren eines elektrischen Schlags. Ist in den USA bei 110 V nicht so das Thema und wo die Amis elektrische Durchflutung wollen, stellen sie einen speziellen Stuhl bereit. Trotzdem bekommen sie Geräte, wo man selbst nach vorsätzlicher Manipulation keinen Schlag bekommen kann und Deutsche bekommen ein elektrisch ebenso sicheres Gerät, an das man gerne eine brennende Lunte halten darf (wird genüsslich ausprobiert!) und es verlischt von alleine.
Technisch hat man die Sache erledigt, aber nun muss man das ganze Geraffel den verschiedenen Prüfinstituten der diversen Länder zur Zertifizierung geben. Das überfordert jeden Mittelständler und er wird allen die Füße küssen, die sich um vereinheitlichte Vorschriften mit gegenseitiger Anerkennung der Prüfzertifikate kümmern (gehört übrigens zu den Errungenschaften der EU).
Gruß
Wolfgang