Ein ungewöhnliches (?) Erlebnis

Hallo!

Dies ist kene Nachfrage im eigentlichen Sinne, sondern ein Erlebnis, von 1990, dass vielleicht nicht mehr wiederholbar ist. Es passierte in Indien, in einer kleinen „Gemeinde“ in der Nähe von Bhanso Bhai (hoch Himalaja). Dort wohn(te) eine geschlossene Gesellschaft, in der Polyandrie üblich war, allerdings in bereits eingeschränkter Form: eine Frau durfte nut Brüder heiraten, in Extremfall Vetter mütterlicherseits, die durch einer speziellen Zeremonie zu „Brüder“ wurden. Ich weiß ganz ehrlich nicht, ob diese bereits schwindende Gemeinschaft (Stamm) noch existiert, oder bereits assimiliert wurde. Einflüsse der übrigen Welt waren bereits damals spürbar, obwohl diese Menschen als „Scheduled Tribe“ teilweise in einer künstlichen Isolation lebten. Der Stamm betrachtete sich als Nachfolger von Draupadi – eine Prinzessin aus dem „Mahabharata“ Epos (hat in Indien in etwa die Gültigkeit der Bibel hier), die 5 Brüder geheiratet hat. Historisch gesehen kommen diese Menschen wohl aus Tibet, wo Polyandrie recht verbreitet war. Nun zu dem wesentlichen. Vieles in dieser Gemeinde ähnelte, von außen gesehen, einer Männer dominierten Gesellschaft sehr stark, aber die Erklärungen, die dahinter lagen haben mir sehr viel zu denken gegeben. Zum Beispiel:

Frauen putzen, kochen, tun all die Arbeit, die auch im übrigen Indien typisch „Frauenarbeit“ ist. WEIL: Dies ist die wichtige Arbeit. Männer sind dafür nicht gut genug. Der Kochbereit, der auch Opferbereich ist, ist das wichtigste Teil des Hauses und darf von Männern nicht betreten werden!

Es ist gut viele Söhne und wenige Töchter zu haben. WEIL: Geerbt wird nur über die weibliche Linie. Es ist nicht gut, wenn das ohnehin kleine Erbe an Vielen verteilt wird. Hinzu kommt, dass je mehr die Brüder sind, desto attraktiver sind sie als „Partie“. Keine Frau, die etwas von sich hält würde sich mit „nur“ 2 begnügen, 3 ist da schon ein Minimum. Daher auch die Verbrüderungen, wenn zwei Schwestern jeweils nur 1-2 Söhne haben.

Ein kranker Sohn wird viel intensiver gepflegt als eine kranke Tochter. WEIL: Frauen gebären. Um gesunde Kinder zu bekommen und die Geburten zu überstehen müssen sie selbst robust und „abgehärtet“ sein. Ein übergepflegtes, verweichlichtes Wesen hat da keine Chancen. Klingt hart, aber der Tod der Mutter ist so ziemlich das Schlimmste, das einer Familie passieren kann, denn sie ist nicht zu ersetzen. Wenn die Frau keine Schwester hat, die bereit ist ihre Familie „zu übernehmen“ werden die Männer „verteilt“ (dann aber als Diener und nicht als vollwertige Partner) und noch zu kleine Kinder oft dem Verhungern überlassen. (Nicht aus Grausamkeit, sondern aus schierem Mangel an Nahrungsmitteln!) Männer hingegen, sind „austauschbar“, da dürfen sie auch schwächer sein. Wenn einer stirbt, übernehmen die Brüder seine Funktionen.

Selbstverständlich stehen dahinter ökonomische Zwänge. Die Menschen sind so arm, die Lebensbedingungen so schwierig, dass tatsächlich die Arbeit mehrerer Männer notwendig ist, um die Kinder einer einzelnen Frau „durchzubringen“. Ich vermute sogar, dass dies der eigentliche Grund für die Entwicklung der Polyandrie war. Und, ganz ehrlich, fand ich die Behandlung der Männer zum Teil ungerecht. Dennoch war ich von der „Wertesystem“ dieser Gesellschaft fasziniert. Ob wir etwas davon lernen könnten?

Hi!

Ob wir etwas davon lernen könnten?

Na klar! Das Betreten der Küche ist für mich auch verboten!
:wink:
Gruß, Stephan

Hallo,

Selbstverständlich stehen dahinter ökonomische Zwänge. Die
Menschen sind so arm, die Lebensbedingungen so schwierig, dass
tatsächlich die Arbeit mehrerer Männer notwendig ist, um die
Kinder einer einzelnen Frau „durchzubringen“. Ich vermute
sogar, dass dies der eigentliche Grund für die Entwicklung der
Polyandrie war.

Das ist mir jetzt nicht so ganz klar. Objektiv betrachtet ist es doch besser, wenn ein Mann mehrere Frauen haben darf, da die Vermehrung so eher gesichert ist und es im Regelfall sowieso mehr Frauen als Männer gibt.

Grüße,

Anwar

Das ist mir jetzt nicht so ganz klar. Objektiv betrachtet ist
es doch besser, wenn ein Mann mehrere Frauen haben darf, da
die Vermehrung so eher gesichert ist und es im Regelfall
sowieso mehr Frauen als Männer gibt.

Dort hat man aber aufgrund der herrschenden Lebensbedingungen durch bloße „Masse“ an Kindern keine Vorteile, da ein Mann nicht genügend Essen für mehrere Kinder heranschaffen kann. Daher ist es günstiger, wenn mehrere Männer eine Frau und deren Nachkommen versorgen. So sind die Überlebenschancen des Kindes besser.

Gruß,

Myriam

Hi, Polyandrie hat in der Regel auch andere Ursachen als die von dir genannte.

Hast Du das beschriebene selbst erlebt oder nur gehört/gelesen.

Um die Bevölkerung konstant zu halten ist z.b. nötig:

  • ein ausreichend großer Genpool (hier durch geringe Gruppengröße und Endogamie nicht gegeben)

  • eine ausreichende Geburtenrate (in Entwicklungsländern wegen hoher Sterblichkeit bestimmt 3-4 Kinder für ein Paar, entsprechend für 1 Frau und 3 Brüder mindestens 6-7 bis zur Geschlechtsreife überlebende Kinder)

  • was macht man mit den übriggebliebenen Frauen? Wenn sie sich selbst ernähren können, stimmen die Argumente für die Polyandrie nicht. Wenn sie sterben, wäre es unter solchen Überlebensbedingungen nötig, ausreichend viele weibliche Säuglinge zu töten, damit sie nicht erst bis zum Erwachsenenalter sinnlos gefüttert werden.

  • das Argument, dass ein Mann nciht genug Essen für sich und eine frau ranschaffen kann ist auch schwach. Warum beteiligne sich die Frauen dann nicht am Nahrungserwerb (z.B. 1 Mann und 4 Frauen, eine kümmert sich um die Kinder und die 3 anderen beteiligen sich am Nahrungserwerb)

Der mit bekannte Grund für Polyandrie ist der, dass bei Tod eines der Brüder die Versorgung der Kinder weiter gegeben ist. Oft bei kriegerischen Völkern oder wenn durch riskante Jagdmethoden eine hohe Sterblichkeit bei den Männer besteht.
Oft gibt es auch religiöse Begründungen dafür.

Ich würde diese Gruppe und ihr Verhalten ggf. unter ganz speziellen Umweltbedingungen für sinnvoll ansehen. Aber man kann daraus keineswegs den Schluss ziehen, dass es auch bei einer etwas anderen Umwelt sinnvoll wäre, schon gleich gar nicht in einer entwickelten Ökonomie, wo eigentlich für alle genug Nahrung zum Überleben da ist.
Bei den bisher erforschten Stämmen gibt es weltweit einzelne Fälle von Polyandrie, aber es ist immer ein seltener Ausnahmefall gegenüber der Paarbildung oder Polygynie (letztere meist aber auch nur in der Oberschicht)
Warum?

Gruss A.

Hi, Polyandrie hat in der Regel auch andere Ursachen als die
von dir genannte.

Hast Du das beschriebene selbst erlebt oder nur
gehört/gelesen.

Ich habe es selbst erlebt. Bin im Rahmen einer Indien Reise (ich bin „vom Haus Aus Indologin“, die sich egentlich mit den Dialekten des Regions beschäftigen sollte, mehr oder weniger durch Zufall an dieser Gemeinschaft geraten.

Um die Bevölkerung konstant zu halten ist z.b. nötig:

  • ein ausreichend großer Genpool (hier durch geringe
    Gruppengröße und Endogamie nicht gegeben)

Soweit ich dies mitkriegen konnte, gab es mehrere Gemeinschaften, die zu diesem „Stamm“ gehörten, aber die habe ich nicht besucht. Dennoch: wie gesagt, war dieses „tribe“ bereits am Schwinden.

  • eine ausreichende Geburtenrate (in Entwicklungsländern wegen
    hoher Sterblichkeit bestimmt 3-4 Kinder für ein Paar,
    entsprechend für 1 Frau und 3 Brüder mindestens 6-7 bis zur
    Geschlechtsreife überlebende Kinder)
  • was macht man mit den übriggebliebenen Frauen? Wenn sie
    sich selbst ernähren können, stimmen die Argumente für die
    Polyandrie nicht. Wenn sie sterben, wäre es unter solchen
    Überlebensbedingungen nötig, ausreichend viele weibliche
    Säuglinge zu töten, damit sie nicht erst bis zum
    Erwachsenenalter sinnlos gefüttert werden.

nun, über direkten „Mädchenopfer“ wurde mich (immerhin war ich aussenstehende) nichts gesagt, ich würde sie aber leider nicht ausschliessen, da sie auch sonst nicht unüblich für Indien sind (und die Menschen glauben tatsächlich den Mädchen damit einen Gefallen zu erweisen, aber dies ist ein anderes Thema). Ansonsten habe ich bereits darauf hingewiesen, dass kranke Mädchen praktisch nicht gepflegt werden, kranke Jungs aber doch. Somit ist die Sterblichkeit unter den Mädchen ziemlich hoch (auf jeden Fall höher,als wenn sie die gleiche Betreuung geniessen würden wie die Jungs). Hinzu kommt, dass es tatsächlich zielmich viele unverheiratete Frauen gab, vor allem jungere Schwester. Ich kann es nicht beweisen, und es wurde mir auch nicht direkt so gesagt, aber ich glaube, sie sollten als Reservemutter dienen, wenn die ältere Schwester sterben sollte um das überleben der Kinder zu sichern. Das sage ich nur, weil nach dem Tod der Mutter die älteste Tochter sehr viel Macht bekam, und jungere Geschwister nur mit ihrem Erlaubnis heiraten durften. Es ist nur menschlich, wenn Frauen das überleben der eigenen Kinder sichern wollen, und wenn es auf die Kosten des persönlichen Glücks jungerer Schwester ist. Aber all dies sind nur Beobachtungen und Schlussfolgerungen.

das Argument, dass ein Mann nciht genug Essen für sich und

eine frau ranschaffen kann ist auch schwach. Warum beteiligne
sich die Frauen dann nicht am Nahrungserwerb (z.B. 1 Mann und
4 Frauen, eine kümmert sich um die Kinder und die 3 anderen
beteiligen sich am Nahrungserwerb)

Weil dann die anderen 3 Frauen auch Kinder bekämen, oder ich verstehe nicht von Männer! Und diese bräuchten auch Nahrung, oder? Es ging ehr darum, die Anzahl der Kinder einer Familie möglichst niedrig zu halten in Relation zu den erwachsenen Familienmitgliedern. In einer polygamische Gesellschaft verändert sich diese Relation stark zu Gunsten der Kinder, in einer polyandrischen - zu Gunsten der Erwachsenen. Darauf kommt es an. Ansonsten arbeiten die Frauen selbstverständlich mindesten so hard wie die Männer und beteiligen sich durchaus an dem Nahrungserwerb.

Der mit bekannte Grund für Polyandrie ist der, dass bei Tod
eines der Brüder die Versorgung der Kinder weiter gegeben ist.
Oft bei kriegerischen Völkern oder wenn durch riskante
Jagdmethoden eine hohe Sterblichkeit bei den Männer besteht.
Oft gibt es auch religiöse Begründungen dafür.

Hier ja auch (Draupadi). Und, wie ich gesagt habe, es wird seitens der indischen Anthropologie angenommen, dass dieses Stamm aus Tibet kommt. Sicherlich hatte die Polyandrie dort als eigentlichen Grund die Versorgung der Kinder,hier war es aber auch so. Nur hatte sich der entscheidende Faktor von hohe Strblichkeitsrate bei den Männern zu einem allgemeineren Kampf ums überleben „verlagert“.

Ich würde diese Gruppe und ihr Verhalten ggf. unter ganz
speziellen Umweltbedingungen für sinnvoll ansehen. Aber man
kann daraus keineswegs den Schluss ziehen, dass es auch bei
einer etwas anderen Umwelt sinnvoll wäre, schon gleich gar
nicht in einer entwickelten Ökonomie, wo eigentlich für alle
genug Nahrung zum Überleben da ist.

Darauf wollte ich auch nicht hinaus. Mir ging es vor allem um die Bewertung von Tätigkeiten. (Schliesslich ist die Küche auch in allen männerdominierten Kulturen „Frauenbereich“, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen!)

Bei den bisher erforschten Stämmen gibt es weltweit einzelne
Fälle von Polyandrie, aber es ist immer ein seltener
Ausnahmefall gegenüber der Paarbildung oder Polygynie
(letztere meist aber auch nur in der Oberschicht)
Warum?

Da gebe ich dir Recht. Und auch in diesem Stamm gab es, meiner Meinung nach, viele Signale für den Zerfall dieses Systems. Zum einen die Einschränkung, dass nur Brüder geheiratet werden dürfen. Zum anderen, gab es ein kompliziertes System von Beischlaf-Regeln (da bin ich mit meinen Hindi-Kenntnissen einfach nicht durchgestiegen!), das zumindest teoretisch die Veststellung der Vaterschaft gewährleistete. Das sollte in einer rein polyandrischen Gesellscahft aber doch irrelewant sein, oder? Also glaube ich nicht, dass diese Kultur lange übeleben wird (wenn sie denn noch existier, denn über die „scheduled tribes“ hält sich Indien sehr bedeckt und würde am liebsten jegliche Informationen verbieten. Inzwischen sind die Meisten Gebiete gesperrt. Die Argumente: keine Krankheiten einschleppen und die Stammeskultur nicht zu kontaminieren leuchten mir ein. Nur scheinen Soldaten von diesen üblen Einflussen frei zu sein, denn sie sind in diesen Gebieten überdurchschnittlich zahlreich vertreten.)
Was deine Frage „Warum?“ angeht, so fallen mir schon einige nicht jugendfreie Antworten an. Aber im ernst: Wenn man die für alle Lebewesen axiomatische Tatsache in Betracht zieht, dass männliche Wesen die Bestrebung haben, ihr Samen möglichst weit zu verbreiten, weibliche - das überleben der Kinder zu sichern, wäre der natürliche Wunsch der Männer (ohne Wertung!) möglichst viele Frauen zu schwängern (und damit sicher gestellt wird, dass ER sie geschwängert hat, sollte der Frau Gechlechtverkehr mit anderen Männern selbstverständlich untersagt werden), der der Frauen - den Mann möglichst nur für sich zu haben, damit er zum Überleben ihrer Kinder beiträgt. In dem Moment, wo die Gesellschaft einen Mann verpflichtet, sich tatsächlich für die Kinder aller von ihm geschwänderten Frauen zu kümmern, wird der ober erwähnten Wunsch zwar nicht vermindert, aber doch etwas relativiert. Da bleibt es als Ausweg entweder sich trotz Wünsche mit einer Frau zu begnügen oder aber reich genug zu sein, um die Kinder mehrerer Frauen zu versorgen (oder fremd zu gehen und sich von Zahlungen aller Art „zu drücken“, was die moderne Form der Polyginie in Europa darstellt). Da haben wir also die obere Schicht. Das sind nur meine naive Überlegungen, ich bin keine Spezialistin auf dem Gebiet, machen aber Sinn (na ja, für mich). Dies führt alerdings zu der bedrückende Schlussfolgerung, dass Männer und Frauen dermassen entgegengesetzten Interessen haben, dass es kein ideales Familienmodel gibt, das den Bedürfnissen beider Geschlechter gerecht wird. Da fühle ich mich in meienr seit Jahren glücklichen Partnerschaft doppelt glücklich (NICHT ironisch gemeint). Und: so habe ich den Trost, dass Glücklich-Sein, zumindest auf persönlicher Ebene möglich ist.

Grüsse: Marina

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