Undifferenzierter populistischer Unfug
„(1) Geleitet von dem Willen der Bürgerinnen und Bürger und
der Staaten Europas, ihre
Zukunft gemeinsam zu gestalten, begründet diese Verfassung die
Europäische Union, der die Mitgliedstaaten
Zuständigkeiten zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Ziele
übertragen.“
Eine glatte Lüge im ersten Artikel, na toll…
Ich sehe da keine Lüge. Die Verfassung ist insofern vom Willen der Unionsbürger getragen, als die Mehrheit der Unionsbürger sich Regierungen bzw. Europaabgeordnete gewählt hat, die die europäische Einigung vorantreiben. Insofern ist die europäische Verfassung - auch wenn der Kleine Mann dazu nicht noch einmal durch Volksabstimmung gefragt worden ist - durchaus demokratisch legitimiert (wenn auch nur mittelbar). So funktionieren Massendemokratien nun einmal, und zwar vor allem dann, wenn sie, wie die unsrige, rein representativer Natur sind. Und in Anbetracht der Defizite, die - wie dieser Beitrag eindrucksvoll zeigt - manch einer in Bezug auf Europa sein eigen nennt, ist das wohl auch gut so.
Dass Sie persönlich Ihren Willen in Europa nicht wiederfinden, liegt übrigens in der Natur der Sache. Es liegt im Wesen der Demokratie begründet, dass die Mehrheit über die Minderheit herrscht. Aber mit jeder Wahl hat die Minderheit aufs Neue die Gelegenheit, zur Mehrheit zu werden …
„(2) Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum
der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts ohne Binnengrenzen und einen Binnenmarkt mit
freiem und unverfälschtem
Wettbewerb.“
Man beachte: Sozialdarwinismus im Verfgassungsrang!! das in
Artikel 3
Wenn im europäischen Recht von „Binnenmarkt“ und „freiem Wettbewerb“ die Rede ist, dann geht es dabei nicht um den Kampf träger Westeuropäer mit umtriebigen Polen um Arbeitsplätze, die der Westeuropäer eigentlich gar nicht haben will, oder um hemmungsloses Buhlen um EU-Zuwendungen, oder sonstwas.
Der „Wettbewerb“ im Binnenmarkt ist ein Fachterminus, der durch das bestehende Europarecht klar umrissen ist. Und zwar geht es dabei (ausschließlich) um die Freiheit unternehmerischer Betätigung innerhalb des Binnenmarktes. Dazu gehört vor allem der Schutz vor der Kumulation allzu großer Marktmacht in derselben Hand (dazu gibt es die europäische Zusammenschlusskontrolle), dazu gehört außerdem der Schutz vor wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und Praktiken (dazu ist das Kartellverbot da) und schließlich auch die Begrenzung staatlicher Beihilfen. Sicherung „freien Wettbewerbs“ bedeutet daher vor allem die Erhaltung einer Vielfalt von Anbietern und Angeboten, die frei von staatlicher Regulierung und möglichst unbehindert durch marktbeherrschende Konglomerate und Konzerne um Käufer konkurrieren. Wenn man Fortschritt und Innovation vorantreiben will, führt an freiem Wettbewerb in diesem Sinne nichts vorbei.
„Sozialdarwinismus“ ist daher zwar ein schönes populistisches Schlagwort - in diesem Zusammenhang ist es aber schlicht Blödsinn.
„(1) Der freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und
Kapitalverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit
werden innerhalb der Union und von der Union gemäß der
Verfassung gewährleistet.“
GATS im Verfassungsrang!
Die Gewährleistung freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs ist absolut nicht neu, sondern stand von Beginn an in den Verträgen der Europäischen Gemeinschaften.
„− das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten
frei zu bewegen und aufzuhalten;“
Fällt damit die Maut auf Staatsstrassen? prima. Ansonten dürft
ihr noch den Wohnsitz frei wählen und wählen, das wars dann an
Rechten.
Das Recht, Aufenthaltsort und Wohnsitz frei zu wählen, ist ein fundamentales Grundrecht, das sowohl in den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten als auch im geltenden Gemeinschaftsrecht fest verankert ist. Wer bereits einmal längere Zeit im Ausland zugebracht und mit den empfindlichen Beschränkungen des nationalen Ausländerrechts Bekanntschaft gemacht hat, weiss, welch eine enorme Erleichterung mit diesem Recht verbunden ist. Ich räume allerdings ein, dass derjenige, der keinerlei Auslandserfahrung hat, und die freie Wahl des Wohnsitzes für so selbstverständlich hält, dass er dieses Recht gar nicht mehr bewusst wahrnimmt, diese Errungenschaft nicht nachvollziehen kann.
Mit Maut hat das ganze übrigens absolut gar nichts zu tun. Denn Maut hindert Sie nicht daran zu entscheiden, dass Sie ab heute nicht mehr in München, sondern in Hamburg leben wollen (genau das aber bedeutet das Recht, Wohnsitz und Aufenthaltsort frei zu wählen). Beim Recht auf freie Wohnsitzwahl an Maut zu denken, ist daher schon einigermassen absurd.
„c) das Verbot, den menschlichen Körper und Teile davon als
solche zur Erzielung von
Gewinnen zu nutzen,“
das wird teuer für Krankenkassen und Pharmalobby. Bayer nur
noch als altruistischer Wohlfahrtsverband??
Es ist doch eigentlich offensichtlich, dass derjenige, der lediglich Arzneimittel herstellt und vertreibt, nicht im Sinne dieser Bestimmung „den menschlichen Körper oder Teile davon nutzt, um Gewinn zu erzielen“. Wäre die Bestimmung anders zu lesen, dann hätten nicht nur Bayer, sondern auch Adidas und Deichmann ein Problem - denn auch wer Schuhe verkauft, nutzte dann Teile des menschlichen Körpers (die Füsse nämlich) um Gewinn zu erzielen. Dass das nicht gemeint sein kann, liegt auf der Hand.
Die Vorschrift dürfte eher den Verkehr mit menschlichen Organen und die Gentechnik im Blick haben …
„(2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit
zu verrichten.“
Das solltet ihr dem Arbeitsamt vorlegen.
Sie setzen hier den „Arbeitsdienst“ der KZ-Häftlinge während des Nationalsozialismus (das ist nämlich ein Prototyp von Zwangsarbeit) mit der Situation eines Arbeitslosen gleich, der eine ihm angebotene Arbeit annehmen „muss“, um Leistungskürzungen zu vermeiden. Drastischer kann man fehlende Sachkenntnis kaum zur Schau stellen.
„(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz der ihn
betreffenden personenbezogenen Daten.
(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für
festgelegte Zwecke und mit Einwilligung
der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich
geregelten legitimen Grundlage
verarbeitet werden. Jeder Mensch hat das Recht, Auskunft über
die ihn betreffenden erhobenen
Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken.
(3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer
unabhängigen Stelle überwacht.“
LOL - Datenschutz überwacht Privatheit der Daten
Ihr Gelächter beruht auf einem grundlegenden Fehlverständnis von Datenschutz und dessen Überwachung. Nicht „die Privatheit“ persönlicher Daten wird überwacht (wie auch immer das funktionieren sollte), sondern (nur) der Umgang mit persönlichen Daten durch Behörden und sonstige Stellen, die solche Daten erhoben haben. Und Sie werden es kaum glauben: So funktionierte Datenschutz schon immer.
„(2) Dieses Recht umfasst die Möglichkeit ,
unentgeltlich am Pflicht schulunterricht teilzunehmen.“
Wer sowas formuliert, gehört erschossen, glaub ich.
Die Bestimmung sieht vor, dass Schulbesuch kostenlos sein muss, soweit mit dem Schulbesuch eine staatliche Schulpflicht erfüllt wird. Übersetzt bedeutet das: Pflichtbildung für lau. Abgesehen davon, dass Sie sich in der Wortwahl völlig vergriffen haben, ist auch in der Sache nicht so ganz einzusehen, weshalb Sie hier irgendwen erschiessen wollen. Es sei denn, Sie befürworten militant Schulgeld …
„(3) Um die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen,
anerkennt und achtet die
Union das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine
Unterstützung für die Wohnung, die allen,
die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein
menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen,
nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.“
Ergo - wenn schon ausgrenzen, dann sollen sie nicht noch
meckern.
Eine interessante Anmerkung - fehlt nur das passende Problem dazu. Zu der zitierten Textstelle sehe ich jedenfalls nicht die geringste Verbindung.
„Die Politik der Union stellt ein hohes
Verbraucherschutzniveau sicher.“
Durch Genmais verseuchte, Cola trinkende Politiker?
Ebenso.
„a) das Recht eines jeden Menschen, gehört zu werden, bevor
ihm gegenüber eine für ihn
nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird,“
Nett. Hier darf man nochmal „Sheisse“ sagen, bevor einem die
Rübe abgesäbelt wird…
In dieser Bestimmung ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verankert. Das ist ein ganz elementarer Bestandteil einer rechtsstaatlichen Verfassung, weil dieser Anspruch dem Betroffenen die Möglichkeit verschafft, seine Interessen in ein (Verwaltungs-, Gerichts-) Verfahren einzubringen, bevor eine Entscheidigung gefallen und „das Kind in den Brunnen gefallen“ ist. Wem allerdings, wenn er rechtlich gehört wird, nichts anderes einfällt, als „Scheisse“, dem gehört in der Tat der Kopf abgesäbelt.
„c) die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu
begründen.“
Juhu!! Noch mehr lustige Sinnlosbegründungen nach dem Motto: "
Sie sind schuldig, weil… weil der Vogel dort gerade
kackt!"
Noch ein fundamentaler rechtsstaatlicher Grundsatz, den Sie grob verkennen. Das Begründungserfordernis soll den Betroffenen in die Lage versetzen, die Entscheidung der Behörde/des Gerichts nachzuvollziehen, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und ggf. eine gezielte Verteidigung vorzubereiten. Die Begründung dient damit unmittelbar dem Individualrechtsschutz (und letztlich auch der Effizienz des Rechtsschutzverfahrens).
Sinnlose Begründungen sind übrigens die besten - denn nichts ist leichter zu Fall zu bringen, als eine unhaltbar begründete staatliche Maßnahme. Auch dazu muss eine Begründung aber vorhanden sein …