EMV beim Herzschrittmacher

Hallo,
immer wieder wird bei verschiedenen Geräten auf die Gefährdung von Personen mit Herzschrittmacher hingewiesen. Zuletzt beim elektrisch verstellbaren Fernsehsessel meines Schwiegervaters. Oder auch bei der Heizdecke meiner Schwiegermutter.

Ich kann mir beim besten Willen diesbezüglich keine Gefährdung vorstellen. Ein Kühlschrank, ein Geschirrspüler, ein Toaster sollten schlimmer sein als die beiden genannten.

Aber was meint Ihr dazu? Was wäre denn da an Gefahren denkbar?
Gruß
anf

Hallo,
Vermutlich ist die Gefährdung durch elektromagnetische Wechselfelder gemeint: jeder elektrische Leiter erzeugt durch den Stromfluss des Netzstroms ein Wechselmagnetfeld 50 Hz, das in einem angenäherten anderen Leiter eine elektrische Induktion erzeugt, oft einfach Brumm genannt. Diese Induktion kann Störungen im Herzschrittmacher bewirken, daher die Warnung.
Auch die bekannten Metalldetektoren von Sicherheitskontrollen (Fluhafen usw.) erzeugen Induktivfelder, die Fehler auslösen können.

LG
Silberloewe99

Moin,

Durchaus, aber die 50 Hz sind das geringste aller Probleme. EMV bedeutet Elektromagnetische Verträglichkeit, damit ist alles bin den Gighahertz Bereich gemeint.
Wir senden auf allen nur erdenklichen Frequenzen und eine elektronische Baugruppe kann das wie eine Antenne empfangen, wobei die Geometrie der Leiterbahnen und die Konstruktion da eine große Rolle spielen. Du kannst heute kein elektronisches Gerät mehr auf den Markt bringen, ohne vorher zu prüfen oder prüfen zu lassen, ob dieses nicht seinerseits unerwünschte elektromagnetische Wellen aussendet und ob es sich durch Ausstrahlung anderer nicht stören lässt.
Dazu http://www.ce-zeichen.de/klassifizierung/emv-richtlinie.html

Kurzdefinition:
EMV steht für
Elektromagnetische Verträglichkeit, die Fähigkeit eines Apparates, einer
Anlage oder eines Systems, in der elektromagnetischen Umwelt
zufriedenstellend zu arbeiten, ohne dabei selbst elektromagnetische
Störungen zu verursachen, die für die in dieser Umwelt vorhandenen
Apparate, Anlagen oder Systeme unannehmbar wären.Die
Produkte müssen also Störaussendungsgrenzwerte einhalten und
gleichzeitig störfest sein. EMV in diesem Sinne umfasst keine
Beeinflussung biologischer Systeme.
Aus vorgenannten Gründen sind
also meistens 2 Normen aufzulisten, bei aktiven Systemen (RTTE)
zusätzliche eine EMF-Norm (Schutz des Menschen vor Strahlung)!

Auch leitungsgebundene Störungen werden geprüft.

Die 50 Herz sind eher Kleinkram, siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/EMV-Prüfung

Ulrich

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Hallo,
danke für Deine Vermutungen.
Ich hätte vorausschicken sollen, dass ich vor ewigen Zeiten mal Nachrichtentechnik studiert habe und mich mit EMV durchaus auskenne, sorry.
Mich interessiert einfach mal Eure Einschätzung, ob TATSÄCHLICH irgendwelche Probleme realistisch zu erwarten sind. Ich kann mir nämlich gerade nicht vorstellen, dass ein kleiner Motor (100W) in 50cm Entfernung vom Schrittmacher und einem menschlichen Körper dazwischen irgendwelche Einflüsse hat. Oder eine Heizdecke, die vermutlich aus einer Kohleschicht besteht und gerade mal 10W leistet - mit entsprechend geringen Strömen. Dann dürfte doch kein Träger eines Schrittmachers mehr kochen (egal, mit welchem Herd), Rolltreppe fahren oder einen Deckenfluter ein- oder ausschalten.
Was meint Ihr?
Gruß
anf

Hallo anf,

Man muss da zwei Dinge unterscheiden.

Zuerst einmal die rechtliche Seite. Seit die Produkthaftung auch in Europa der US-Sichtweise angepasst wurde, ist der Hersteller für alles Haftbar, was er nicht ausgeschlossen hat. Deshalb gibt es heute immer den „bestimmungsgemässen Gebrauch“.
Alles was hier nicht ausdrücklich erlaubt wird, unterliegt nicht der Haftung. Wenn du also einen Schraubendreher zum Aufhebeln einer Kiste benutzt, das Teil brich und dir Teile ins Auge schiessen, kannst du den Hersteller nicht dafür haftbar machen. Bricht der Dreher beim lösen einer Schraube, mit denselben Folgen, kann man den Hersteller Haftbar machen. Wenn der Hersteller schlau ist, schreibt er noch ein maximales Drehmoment in die technischen Daten.
Deshalb ist bei allen Elektrogeräten der Hinweis auf die Herzschrittmacher, sicher ist sicher, der Hersteller hat ja gewarnt.

Nun zum technischen Teil.
Immer wenn Funken entstehen können, hat man auch eine Menge HF. Man denke nur an die Anfänge und woher das Wort „Funk“ kommt. Am Anfang gab es nur die Funkensender.

Grundsätzlich sind Herzschrittmacher, so gut es geht, gegen HF-Störungen abgesichert, aber zu 100% funktioniert dies nun mal nicht.

Nun kannst du auch bei deiner Heizdecke mit den popeligen 10W nicht ausschliessen, dass da ein Kurzschluss in der Zuleitung auftreten kann. Laut den Installationsvorschriften muss der Kurzschlussstrom so im Bereich von 100-200A liegen. Auch bei 130V Spannungsabfall in den Leitungen hast du dann 10kW Leistung im Lichtbogen (230V-130V) x 100A.

MfG Peter(TOO)

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Hallo,

Demnach darf man mit Herzschrittmacher nur noch auf einer Insel ohne Stromnetz und größere Batterien leben?

Interessanter finde ich den ersten Teil Deines Postings. Leider ist das natürlich genausowenig belegt wie meine, gleichlautende, Meinung. Und lässt sich wohl auch nicht belegen.
Aber immerhin habe ich jetzt beim goggeln was gefunden, was meine Schwiegermama etwas beruhigen kann - eine Broschüre eines Herstellers:
http://www.kardionet.de/sites/default/files/dokumente/pdf/Patientenhandbuch_HSM_Therapie.pdf
Demnach sind Heizdecken erlaubt. Und einiges anderes auch, wovor sie sich fürchtet (zumindest bei Einhaltung eines Sicherheitsabstands).

Danke jedenfalls für Deine Meinung!
Gruß
anf

Hallo anf,

Die Medizin muss man hauptsächlich als Risikomanagement verstehen!

Die normale Indikation:
Ohne Herzschrittmacher ist die Lebenserwartung nur noch kurz.
Mit Herzschrittmacher ist die Lebenserwartung wesentlich länger auch wenn man die EMV-Risiken berücksichtigt.

Die einsame Insel ist auch keine wirkliche Lösung. Der Herzschrittmacher kann auch eine Fehlfunktion aufweisen und der Weg von der einsamen Insel in ein Spital kann dann zu lang sein.

Und zur Anleitung:
Elektroschocker können auch ohne Herzschrittmacher zu einem Herzversagen führen.

Risiken sind halt immer nur Wahrscheinlichkeiten. Wie ich bei der Heizdecke gezeigt habe, gibt es halt immer Konstellationen in welchen eine Störung des Herzschrittmachers denkbar sind. Die Frage ist halt, wie man die Wahrscheinlichkeiten einschätzt.
Zudem ändert dies auch dauernd mit der technischen Entwicklung. Ich hatte Mitte der 70er mit der Entwicklung von Herzschrittmachern zu tun. Handys waren natürlich damals noch kein Thema :slight_smile: Dafür gab es aber auch nur grundlegende EMV-Vorschriften. wichtig war damals nur, dass Radio und TV nicht gestört werden. Allerdings hat sich auch die Technik der Herzschrittmacher weiter entwickelt. Das damalige technische Hauptproblem waren die Batterien. Die Schaltungstechnik war analog und einfach. Heute hat man Batterien welche 10 Jahre problemlos überstehen und auch passende Mikro-Controller mit minimalem Stromverbrauch. Mit einem Mikro-Controller hat man aber auch die Möglichkeit Störsignale über Algorithmen zu erkennen.

MfG Peter(TOO)

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