Sehr geehrter Herr Klingbeil,
vielen Dank für Ihre Frage, die sehr sinnvoll ist, weil sie das Verständnis für die Dinge fördert. Natürlich wurde sie schon früher beantwortet und so sende ich Ihnen eine Antwort, die nach meinem Empfinden, den Sachverhalt quantitativ und anschaulich Schritt für Schritt beschreibt. Sie finden sie in diesem Forum mit dem Eintrag „21.01.2006, 23:18, Thomas Schmidt“ wieder.
http://www.hilpers.com/525215-mond-entfernt-sich-dur…
Ich hoffe Ihnen weitergeholfen zu haben und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dr. Manfred Gaida
Es ist so: der Mond erzeugt durch Gezeitenkräfte zwei Flutberge auf der Erde: einen auf der mondzugewandten Seite, einen auf der mondabgewandten. Das Wasser versucht sich immer genau unter dem Mond zu sammeln (bzw. auf der abgewandten Seite wegen der dort überwiegenden Fliehkraft genau vom Mond weg), so daß beide Flutberge in Bezug auf den Mond eine fixe Position einnehmen, während sich die Erde quasi unter ihnen wegdreht.
Die Flutberge verändern daher ihre Position bezüglich der Erdoberfläche (einmal in 24 Stunden rundherum), und die Meeresströmungen, die zu dieser Verlagerung der Wasseransammlungen nötig sind, erzeugen Reibungswärme, die ins Weltall abgestrahlt wird und verlorengeht. Die Erde wird dadurch also abgebremst. Man vergleicht die Flutberge daher auch gern mit Bremsbacken.
Andererseits haben die Flutberge wie gesagt ein fixe Position bezüglich des Mondes. Sie stehen aber nicht genau in der Verbindungslinie Mondmittelpunkt - Erdmittelpunkt, wie man bei ruhender Erde erwarten würde. Weil die Erde sich dreht, nimmt sie die Flutberge ein wenig mit, so daß diese ein wenig seitlich der Verbindungslinie zu stehen kommen.
Wenn die Erde keine Flutberge hätte, würden alle ihre Teile gleichermaßen am Mond ziehen, so daß der Mond in der Summe entlang der genannten Verbindungslinie der Mittelpunkte auf die Erde zu gezogen würde (für jedes Erdteilchen links der Verbindungslinie gibt es aufgrund der Symmetrie der Erdgestalt ein gleich weit entferntes rechts von der Verbindungslinie, so daß beide zusammen in der Summe den Mond in Richtung der Verbindungslinie ziehen).
Nun sind da aber noch die Flutberge. Sie stehen nicht genau in Richtung der Verbindungslinie, sondern seitlich davon und üben daher neben der Anziehung in Richtung der Verbindungslinie noch eine seitlich wirkende Kraft auf den Mond aus. Und zwar in entgegen gesetzte Richtungen, so daß sich ihre Wirkungen gegenseitig aufheben würden, ABER… der eine Flutberg ist dem Mond ja näher und übt eine stärkere Kraft auf ihn aus, die von der entgegengesetzt wirkenden seitlichen Kraftkomponente des anderen Flutbergs nicht völlig kompensiert werden kann,
weil jene schwächer ist.
Der Mond erfährt also eine (schwache) seitliche Kraft in dieselbe Richtung, in die der ihm zugewandte Flutberg aus der Verbindungsrichtung ausgelenkt ist. Und da die Erde sich in dieselbe Richtung dreht wie der Mond sie umwandert, ist der Flutberg in Bewegungsrichtung des Mondes ausgelenkt, und seine seitliche Anziehungskomponente wirkt in Bewegungsrichtung des Mondes und
beschleunigt ihn so.
Bei dieser Beschleunigung werden sowohl Drehimpuls als auch Energie auf den Mond übertragen. Beides entspricht einer Mondbahn mit größerem Radius, so daß der Mond sich mit der schon genannten Rate von knapp 4 cm pro Jahr von der Erde entfernt.
Aufgrund des Dritten Keplerschen Gesetzes entspricht dem größeren Abstand eine kleinere Orbitalgeschwindigkeit, so daß sich der auf eine höhere Bahn gehobene Mond jetzt entsprechend langsamer bewegt, aber Drehimpuls und Energie haben tatsächlich zugenommen.
Der Mechanismus ist also insgesamt folgender: die Gezeitenkräfte des Mondes erzeugen Flutberge auf der Erde. Diese ‚Bremsbacken‘ bremsen einerseits die Erde ab. Andererseits wirkt die seitliche Komponente ihrer asymmetrischen Anziehungskraft beschleunigend auf den Mond, der dadurch auf eine energie- und drehimpulsreichere (wenn auch langsamere) Bahn gehoben wird. Der Drehimpuls muß erhalten bleiben, d.h. der Drehimpuls, der der Erde infolge Abbremsung verloren geht, muß vollständig auf den Mond übertragen werden; durch den beschriebenen Wechselwirkungsmechanismus ist das gewährleistet. Bei der Bahnänderung wird auch Energie auf den Mond übertragen, aber weniger als der Erde durch Abbremsung verlorengeht. Der Überschuß wird als Reibungswärme ins Weltall abgestrahlt und geht dem System verloren (Drehimpuls dagegen läßt sich nicht so einfach ‚abstrahlen‘ und muß daher im Gesamtsystem stets konstant bleiben).
Wenn die Erde sich schneller bewegen würde, dann wären auch die Flutberge weiter aus der Richtung der Verbindungslinie der Massenmittelpunkte ausgelenkt, würden eine stärkere seitliche Kraftkomponente auf den Mond ausüben und diesen schneller von der Erde wegheben.
Würde die Erde angehalten, dann würden die Flutberge auf die Verbindungslinie zurückschwappen und es gäbe keine seitliche Kraftkomponente mehr, die den Mond beschleunigen könnte. (Thomas Schmidt am 21.01.2006)