Entrichtung von Hellerzinsen an einen Heiligen (1901)

Hallo zusammen;

in einem Text aus dem Jahr 1901, in dem der Verfasser die Lebensumstände und Gepflogenheiten in einer württembergischen Gemeinde beschreibt, findet sich im Kapitel „Beim Handwerk“ der folgende Satz, aus dem ich partout nicht schlau werde:

„Das Brennrecht der Mühle hörte anno 48 auf. Die Hellerzinsen an den Heiligen, die auch die Mühle seit undenklichen Zeiten als ewig unablösbar zu entrichten hatte, wurden aufgehoben.“

Zu „Hellerzins“ steht im Dt. Wörterbuch von Jacob u. Wilhelm Grimm:
„Zins, der von Krämern, Läden, Brotbänken u. s. w. als Standgeld gegeben wird.“
Im „Frühneuhochdeutschen Wörterbuch“ heißt es zu „Hellerzins“ sehr knapp:
„Abgabe in Hellern (meist als Bodenzins)“

Fragen:
Geht es bei den hier erwähnten „Hellerzinsen“ um Steuerabgaben, die von der Mühle speziell für das Schnapsbrennen zu entrichten waren?
Waren „Hellerzinsen“ üblicherweise auch für den eigentlichen Betrieb einer Mühle, also das Kornmahlen, fällig?

Irritierend ist für mich insbesondere, dass diese Abgaben an „den Heiligen“ gingen:

Ist mit diesem ganz bestimmten Heiligen, den der Autor 1901 offenbar noch als selbstverständlich bekannt ansieht, der hl. Nikolaus von Myra gemeint?
(Der hl. Nikolaus war ja u. a. Schutzpatron der Schnapsbrenner wie auch Schutzpatron der Müller.)
Bedeutet diese Steuerentrichtung „an den (oder irgendeinen) Heiligen“, dass die Gelder an die (kathol.) Kirche gingen?

Vielen Dank für Eure Mühe - ich bin sehr gespannt auf Eure Antworten!

Es grüßt
Renardo

Hallo,

Der Hellerzins hatte mit dem ggf. vorhandenen Brennrecht nichts zu tun. Es war auch keine Steuer. Es war vielmehr ein Standgeld, eine Abgabe, die in Form einzelner Münzen entrichtet wurde (ähnlich wie der „Klingelbeutel“ in der kath. Messfeier). Sie ging an die jeweilige örtliche kath. Kirche und war dem ebendort verehrten jeweiligen Heiligen gewidmet und war für wohltägige Zwecke bestimmt. Wie hoch die Abgage war, weiß ich nicht, auch nicht wie oft sie zu entrichten war (monatlich?).

Gruß
Metapher

Hallo Renardo,

da die an den Herrscher zu entrichtenden Abgaben von den unterschiedlichsten Herren (Gemeinde, Land, Reich, Kirche) erhoben wurden und sich regional stark unterscheiden konnten, kann man solche Begriffe nicht allgemeingültig definieren.

In dem Zusammenhang wurde der Hellerzins wohl extra für das Recht des Schnapsbrennens erhoben. Es würde sonst keinen Sinn machen die Zahlungen einzustellen nur weil die Mühle das Recht zurückgegeben hat.

Ich kann das folgende leider nicht belegen, entsinne mich aber daran gelesen zu haben, dass früher regelmäßig wiederkehrende Zahlungen immer an kirchlichen Feiertagen fällig wurden, weil diese Tage durch die Kirche bekannt gemacht wurden und daher auch Analphabeten geläufig waren

Daher vermute ich, dass mit „an den Heiligen“ kein spezieller Heiliger gemeint war, sondern der Zins zu Allerheiligen (1. November) eines Jahres (an wen auch immer) zu entrichten war.

Ich hoffe das hilft Dir weiter.

Dein,
Ebenezer

Hallo Ebenezer,

Danke für Deine Antwort.

„Ich […] entsinne mich […] gelesen zu haben, dass früher regelmäßig wiederkehrende Zahlungen immer an kirchlichen Feiertagen fällig wurden, weil diese Tage durch die Kirche bekannt gemacht wurden und daher auch Analphabeten geläufig waren“

Ja, das war üblicherweise an Georgii (Hl. Georg, 23. April) oder an Martini (Hl. Martin, 11. November) der Fall.

„Daher vermute ich, dass mit „an den Heiligen“ kein spezieller Heiliger gemeint war, sondern der Zins zu Allerheiligen (1. November) eines Jahres (an wen auch immer) zu entrichten war.“

Dass es sich bei der Formulierung „an den Heiligen“ einfach nur um ein Datum handelt, war für mich zunächst eine interessante Idee.
Gegen Deine Hypothese spricht aber ein Text, den ich inzwischen über Google gefunden habe:

„Zwischen dem Stift Backnang und dem Heiligen von Rudersberg strittiger Hellerzins von 4 Kreuzern 2 Hellern aus einem dem Heiligen zuständigen Platz, auf dem das dortige Pfarrhaus erbaut wurde (Backnang, Rudersberg)“
[Titel einer sog. „Gültsache“ von 1790, Landesarchiv Baden-Württemberg; Hauptstaatsarchiv Stuttgart, ‹http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-1537074›, abgerufen 10/2023]

Es grüßt
Renardo

Hallo Metapher,

vielen Dank für Deine Antwort!

Hast Du hierzu eine Quelle?

Es grüßt
Renardo

Hallo zusammen;

A)
Hellerzinsen“ ist die Bezeichnung für eine „auf den Heller genau“ festgelegte, (i. Gs. zum „Zehnten“) vom Ertrag unabhängige Abgabe, die jährlich von den Bauern oder Bürgern an den Grundbesitzer (Kirche, Kloster oder Feudalherr) zu entrichten war.

B)
Die Formulierung, dass eine Zahlung „an den Heiligen“ entrichtet wurde, besagt, dass die Zahlung an die örtliche Kirchengemeinde erfolgte.
Die Rechnungsbücher der Kirchengemeinden hießen früher vielerorts „Heiligenrechnung“, der mit der Verwaltung des Kirchengutes der Kirchengemeinde betraute Kirchenpfleger wurde vielerorts als „Heiligenpfleger“ bezeichnet.

Danke für Eure Mühe!

Es grüßt
Renardo

5 Like

Dieses Thema wurde automatisch 30 Tage nach der letzten Antwort geschlossen. Es sind keine neuen Nachrichten mehr erlaubt.