Der Entwurf der Europäischen Verfassung vom 25. Juni 2004 volle 325 Seiten. Es ist kaum möglich, im Rahmen eines Kommentars die Verworrenheit des Aufbaus, die Zerrissenheit der dargestellten Zusammenhänge und damit erreichte, weitgehende Unverständlichkeit des Verfassungstextes darzustellen.
Versteckt im Kapitel III des Titels V des Teils III findet sich unter der Überschrift „Gemeinsame Handelspolitik“, das Bekenntnis der Europäischen Union zur vollständigen Globalisierung, Liberalisierung und Privatisierung des Welthandels.
Was das bedeutet?
Nun, stellen wir uns vor, ein malerisches Örtchen im bayrischen Voralpenland mit dem schönen Namen Niederoberauendorf betreibt zur Wasserversorgung seiner Einwohner einen Brunnen, der klares Quellwasser bester Qualität liefert, das ohne chemische Aufbereitung in das Leitungsnetz gespeist werden kann.
Ein Explorationstrupp des US-amerikanischen Nahrungs- und Futtermittelriesen ALLFOOD entdeckt diese Quelle und verlangt eine Ausschreibung für den Betrieb der Niederoberauendorfer Wasserversorgung. Die Gemeindeverwaltung meint zwar, die Wasserversorgung sei bei ihr in besten Händen und will von einer Ausschreibung nichts hören - doch ALLFOOD zieht vor Gericht und bekommt Recht. Niederoberauendorf muss die Wasserversorung ausschreiben und sich selbst, als Konkurrent von ALLFOOD darum bewerben, auch in Zukunft die eigenen Bürger mit eigenem Wasser versorgen zu dürfen.
Die Gemeindeverwaltung rechnet korrekt und ermittelt einen Abgabepreis von 8.50 Euro pro Kubikmeter. ALLFOOD bietet die gleiche Leistung für 4.50 Euro an und bekommt den Zuschlag.
Hinfort tropft in Niederoberauendorf eine Mischung aus stark gechlortem Uferfiltrat vom Bodensee und Tiefenwasser aus einem Badesee in Franken aus der Leitung. Für 4.50 Euro pro Kubikmeter. Nur das gute Niederoberauendorfer Brunnenwasser gibt es in Niederoberauendorf nicht mehr. Das wird in 0,2 l Fläschchen abgefüllt und nach Dubai verschifft. Dort bringt es ALLFOOD einen Nettogewinn von ungefähr 10.000 Euro pro Kubikmeter.
Doch am Vertrag ist nicht zur rütteln. Die Wasserversorgung ist gewährleistet und der Brunnen der Niederoberauendorfer wird von ALLFOOD - wie zugesichert - ganz vorbildlich in Stand gehalten.
Weitere Beispiele ließen sich nach Belieben finden.
Allen ist eines gemeinsam:
Jeder Investor, der eine bisher öffentliche Dienstleistung übernimmt, will und muss damit Gewinne machen. Dies ist in aller Regel nur möglich, wenn Personal abgebaut und die Qualität oder der Umgang der Leistung eingeschränkt wird.
Einen profitgierigen Unternehmer, der für sich ganz legal einen beliebig hohen privaten Gewinn abzweigt, den wird man nicht wieder los. Weder in Niederoberauendorf, noch sonstwo.
Matthias