Entwicklungsstörung beeinflußt Geschwister neg

Hallo frohes neues Jahr,

ich habe mal eine ganz einfache Frage.
Gibt es eigentlich das Phänomen, daß wenn i 1Kind (mit Entwicklungsstörung oder geist. Behinderung gibt (wie jetzt mal speziell frühkindl. Authismus))  mit 1 oder mehreren Geschwister (fast gleichaltrig) aufwachsen die Krankheit sich vermindert (oder in anderer Form) auch auf die Geschwister überträgt.

Ist es also möglich, daß ein Kind schwer behindert ist und dieses pathogen ist, d.h. neg. Eigenschaften auf die Geschwister übertragen (die dann irgendwann unter sozialer Phobie usw. leiden).

Mir ist sowas mal von einem Bekannten erzählt worden aber ich glaube eigentlich nicht das geistige Behinderung „ansteckend“ ist. Wenn ja würde ich da ein bißchen mehr drüber lesen,Gibt es dazu vielleicht auch Fachausdrücke zu solchen Vorgängen.

Hallo robespierre66 und auch Dir ein gesundes neues Jahr.Ich bin kein Experte im klassischen Sinne, nur eine Mutter von zweien, von denen der jüngste Autist ist. Eine Behinderung ist definitiv nicht ‚ansteckend‘. Das sagt schon der gesunde Menschenverstand. Allerdings  könnte ich mir vorstellen, das insbesonders jüngere Kinder einige Verhaltensweisen beim älteren, behinderten Kind abschauen (schreien, auf die Brust klopfen, beißen usw.). Zumindest Zeitweise. Gesunde Kinder entwickeln sich normal und würden diese Verhaltensweisen mit der Zeit sicher wieder ablegen. Um sozialer Phobie o.Ä. vorzubeugen, bedarf es natürlich der häuslichen Erziehung. MIt allen Kindern, behindert oder nicht, sollte möglichst ‚normal‘ umgegangen werden. Man sollte sich keinesfalls aus dem öffentllichen Leben zurückziehen und das behinderte Kind ‚verstecken‘, aus Angst vor unangenehmen Blicken. Unsere Kinder sind genauso Mensch wie wir.
Meine Kinder sind 6 Jahre auseinander, da hat sich die Frage nie gestellt.

Hallo,

psychische Entwicklungen sind äußerst komplex. Ein behindertes / entwicklungsverzögertes Kind, kann durch entsprechendes Input gefördert werden - das kann auch ein Geschwisterkind sein. Es regt an, es fordert, fördert und es identifiziert sich eher im einem Kind als mit einem Erwachsenen (z.B. Eltern, Lehrer oder Therapeuten) - aber alles im Rahmen seiner Möglichkeiten, die auch sehr minimal sein können.

Umgekehrt können behinderte / entwicklungsverzögerte Kinder auf ihre Geschwister einen Einfluss ausüben - sie können z.B. als Beschützer auftreten, sehr sozial entwickelt sein - mehr als wenn sie kein Geschwister oder eines das normal entwickelt hätten haben. Sie können aber auch eine Art Eifersucht entwickeln und bestimmte Verhaltensweisen nachahmen um die gewünschte Aufmerksamkeit zu bekommen (das entwicklungsverzögerte Kind bekommt sicher mehr davon).

Bei beiden Varianten würde ich als Eltern darauf achten, dass beide Kinder nicht zu kurz kommen. Ich kenne einige Menschen, die behinderte Geschwister haben und sie sind in ihrer Beziehung zu ihren Eltern und zu ihren Geschwistern sehr schwankend - zwischen „sie / er nimmt mir etwas weg“ und gleichzeitig eine sehr soziale Ader haben.

Viele Grüße

Hallo.
Wie schon gesagt, geistige Behinderungen sind nicht ansteckend. Aber das Leben in einer Familie mit einem behinderten Familienmitglied kann auf die anderen Familienmitglieder einwirken. Auch gibt es geistige Störungen, die teilweise erblich sind - und folglich bei mehreren Familienmitgliedern zum Ausdruck kommen.

Beste Grüsse,
TR

Hallo,
ich lese Ihre Anfrage erste heut - vielleicht haben Sie schon einige Antworten erhalten, aber hier nochmal meine Ansicht.
Die Anfrage liest sich so, als ginge es hier um einen ganz konkreten Fall, es wäre daher leichter gewesen, die genauen Umstände zu wissen, aber gut - I do my very best.

Also: die Antwort ist NEIN und JA.

Nein: solcherlei Erkrankungen sind nicht „ansteckend“. Bei frühkindlichem Autismus handelt es sich um einen Gendefekt. Dieser kann erblich weitergegeben werden und wird häuifg über die männliche Linie vererbt. Es sind auch wesentlich mehr Männer betroffen - diese Erkrankung ist von Geburts an aktiv und mehr oder weniger stark behindernd. Sie ist nicht heilbar, sondern eine massive lebenslange Behinderung.

JA: Natürlich kann ein Geschwisterkind eines schwer erkrankten Kindes (und da ist es fast egal, welche Erkrankung oder Behinderung es ist) durch diese Erkrankung des Geschwisters selber eine Erkrankung (oder sagen wir mal milder) Symptome entwickeln, die dann aber psychodynamischer Natur sind.
Das können sehr unterschiedliche Symptome sein, die meistens den Urspung darin haben, dass dieses Geschwisterkind seine eigenen Bedürfnisse zurückstellt, um die Eltern nicht noch mehr zu belasten - also aus einer sogenannten Systemdynamik heraus entstehen.
Diese Theorien basieren auf der Systemtheorie und auf der Bindungstheorie.

Eine häufige Symptomkonstellation ist dabei die sogenannte Bindungsstörung, die in so einer Familie entstehen kann, z.B. dadurch, dass das Geschwisterkind z.B. dauerhaft unterversorgt ist auf emotionaler Ebene - ohne dass die Eltern dies böse beabsichtigen. Es entsteht hier häufig dadurch, dass das erkrankte Kind so viel Sorge und Arbeit macht, dass die Eltern /Erwachsenen einfach dauerhaft überfordert sind. Und für ihre anderen Kinder wenig Aufmekrsamkeit, Energie und emotionale Versorung haben.
Das Geschwisterkind beginnt eigene Emotionen und Bedürfnisse zurückzudrängen oder gar zu verleugnen. Manchmal kommen auch klare Botschaften von den Eltern wie „Oh, nein das jetzt nicht auch noch“ oder ähnliches - manchmal kann dies aber auch durch ein Verstärkermodell entstehen: das Geschwisterkind merkt, dass es sehr viel positive Aufmerksamkeit erhält, wenn es bestimmte Verhaltensweisen zeigt, z.B. das behinderte Kind mit versorgt, oder sehr sehr feinfühlig und fürsorglich für dieses Kind ist, ohne an die eigenen Bedüfnisse zu denken. Auch dies können die Eltern positiv vestärken z.B: "Wenn wir dich nicht hätten, das ist so toll, wie du dich um die kranke Schwester kümmerst."

Dies nennt man eine unsichere vermeidende Bindungsstruktur. Sie kann mehr oder weniger stark ausgeprägt sein.

Es kann auch eine hohe Erregung entstehen, dadurch, dass das Kind merkt, manchmal kann es Zuwendung von den Eltern erhalten und manchmal aber nicht. Das Kind sieht keine klaren Zusammenhänge, keine logischen Muster, wann dies eine oder das andere so ist und beginnt überaufmerksam auf alle Regungen zu sein, oder auch Ängstlichkeiten zu entwickeln, damit es zur Stelle ist, wenn es Zuwendung gibt. Das Kind beginnt dann häufig nicht sich selber gut wahrzunehmen, sondern die Bedürfnisse und Emotionen der anderen dauerhaft zu beobachten und sozusagen zu bewachen. Dies nennt man eine unsichere ambivalente Bindungsstruktur.
 
Zudem kann das Kind durch Immitation natürlich bestimmte Symptome entwickeln, weil es merkt, das die Eltern auf bestimmte Symtpme mit Aufmerksamkeit und Zuwendung reagieren. Gibt es sonst wenig bis keine Zuwendung ist es sozusagen sehr klug von dem Kind, dann solche Symptme zu entwickeln. Diese Prozesse geschehen unbewußt und sind keine negativen oder manipulativen Ansätze, sondern eine Hilfeversuch der Psyche. Dies nennt man Lernen am Modell (nach Bandura) und ist mit der Systemtheorie wunderbar verknüpfbar. Solche Imitationen können natürlich wie eine Ansteckung aussehen -sind aber auch nur Verstärkerprinzipien, wie sie sonst auch mit postiven Verhalten bekannt sind.

Also z.B. ein hübsches kleines Mädchen merkt, dass wenn es den Kopf neigt und lächelt und mit den Schultern so etwas wackelt, dass dann die Erwachsenen aufmerksam werden, es loben und lachen. Dann wird das Kind dieses Verhalten vermutlich wiederholen und merken, dass es damit Erfolg hat. Solche Verstärker gibt es für alle möglichen Verhaltensweisen und können somit auch ungünstige Symptome entwickeln lassen. Mankann sich hier auch vorstellen,d ass ein gesundes Kind ein Symptom des behinderten Geschwisterkindes nachahmt und die Eltern dann darauf reagieren - so könnte eine Verstärkung eines bizarren Verhaltens entstehen und das Kind würde dieses Verhalten häufiger machen. Ich habe einmal einen Jungen erlebt, der nur noch Tierlaute von sich gab. Es war die einzige Möglichkeit, seine Eltern zum lachen zu bringen, beide Eltern waren sehr schwer depressiv. Und er konnte das wirklich sehr gut und schaffte es immer wieder, dass die Eltern über dieses Verhalten sehr viel Freude entwickelten.

Und letztendlich eine dritte Möglichkeit liegt in der Überängstlichkeit/Irritation von Eltern mit einem behinderten oder kranken oder verstorbenen Kind. Die Eltern übertragen dann die schwierige Erfahrung des kranken Kindes auf das eigentlich gesunde Kind und reagieren auf gesunde und wichtige Bedürfnisse dieses Kindes (z.B. klettern zu wollen oder zu rennen) mit stärkerer Angst und verhindern die guten Umwelterfahrungen dieses Kindes. Fällt das Kind tatsächlich mal oder tut sich weh, überreagieren diese Eltern in stärkeren Maße und irritieren das Kind mit dieser Reaktion. Das Kind lernt von den Eltern die Idee, die Welt und Erfahrunge in der Welt seien schlimm und gefährlich und das Kind beginnt Ängste zu entwickeln. Das Kind beginnt die sogenannte Exploration einzustellen und die sogenannte Selbstwirksamkeit dieses Kindes verringert sich bzw. wird nicht ausgebaut. Das Kind wird passiv und ängstlich, es ist wenig befähigt auf Dinge seines Lebens selber aktiv zu reagieren und Anforderungen oder Probleme zu lösen.

Soweit- ich hoffe, ich konnte Ihnen ein paar Aspekte aufzeigen wie durch die Dynamik des Systems ein Kind Symtome entwickeln kann. Wir sehen diese Symptme immer als ein Hilfeversuch eines Individuums. Sie sind wieder umlernbar und kein Persönlichkeitsmerkmal, schon gar nicht so fest wie eine genetische Behinderung als beispiel beim Autismus. Psychotherapie ist ein Weg, um mit solchen Mechanismen ein Verständnis und ein Umlernen zu finden.

Viele Grüße zum neuen Jahr wünscht
Catharina Hübner
www.catharina-huebner.de

Also, ich habe zwei Jungen. Der 18-jährige ist Autist und der 24-jährige hat das Tourette-Syndrom. Zwei total unterschiedliche Behinderungen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.