Glaubte man im Mittelalter an eine scheibenförmige Erde?
Es ist eine immer wieder zu hörende Ansicht, im Mittelalter habe man geglaubt, daß die Erde eine Scheibe sei, und insbesondere die Kirche habe dies gelehrt und sogar Leute verbrannt, die anderer Auffassung waren.
Eine derartige Lehre hat es aber im christlichen Mittelalter nicht gegeben.
Die Kirche behauptete wohl, in Anlehnung an die Lehre des Griechen Ptolemäus, daß die Erde in der Mitte des Weltalls stehe, aber daß sie eine Kugel ist, war unbestrittenes Allgemeinwissen und gehörte mit zum ptolemäischen Weltmodell.
Griechische Wissenschaftler hatten schon in vorchristlicher Zeit nicht nur den Nachweis geführt, daß die Erde eine Kugel ist, sondern sogar ihren Umfang gemessen. Von Aristoteles etwa gibt es eine Schrift, in der er darlegt, woran man die Kugelgestalt der Erde erkennt. Aristoteles galt in der Kirchenlehre des Mittelalters als grundlegende Autorität in naturkundlichen Fragen.
An Autoren des frühen Christentums, die tatsächlich eine Scheibengestalt der Erde vertraten, sind nur zwei (nach J.B. Russell) oder drei bis vier (nach R. Krüger) nachweisbar.
Die Scheiben-Thematik wird typischerweise mit zwei anderen Themen vermischt, mit denen sie historisch nichts zu tun hat:
Galilei, so wird oft gesagt, hätte gelehrt, daß die Erde eine Kugel ist, und sei deshalb von der Kirche verfolgt worden.
Dieses Märchen kann sich halten, solange es Leute gibt, die einfach nie auf die Idee kommen, nachlesen, worum es bei dem Streit zwischen Galilei und der Kirche wirklich ging. Es ging um die Frage, ob die Erde um die Sonne kreist oder die Sonne um die Erde.
Auch über Kolumbus wird gerne behauptet, er habe „bewiesen“, daß die Erde eine Kugel ist.
Doch das war für Kolumbus und seine zeitgenossen gar kein Thema.
Die Meinungsverschiedenheiten betrafen den Umfang der Erdkugel. Kolumbus’ Rechnung war falsch, er schätzte den Erdumfang zu kurz ein. Das machte ihm Mut, die lange Fahrt nach „Indien“ zu wagen. Bewiesen hat er höchstens, daß man den Atlantik mit dem Schiff überqueren kann.
Das Gerücht, daß man sich im Mittelalter die Erde als Scheibe vorgestellt hätte, stammt aus moderner Zeit. Der amerikanische Historiker J B Russell hat seine Herkunft erforscht. Das Ergebnis ist: Vor etwa 1830 glaubte niemand, daß die Menschen des Mittelalters sich die Erde als Scheibe vorgestellt hätten. Die Urheber der Scheibenlegende waren Autoren, denen es darum ging, die Christen als Dummköpfe hinzustellen.
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Quellen:
[1]
http://www.geo.de/GEO/kultur_gesellschaft/geschichte…
Interview mit Rudolf Simek, Skandinavist an der Uni Bonn
GEO: Herr Professor Simek, wie kommen Sie dazu, die Lehrmeinung anzuzweifeln, dass für die Menschen im Mittelalter die Erde flach gewesen sei?
Rudolf Simek: Als ich meine Habilitationsschrift über „Altnordische Kosmographie“ schrieb, ging auch ich von dieser gängigen Überzeugung aus. Nur: Bei allem Bemühen fand ich keine einzige Quelle, nach der die Erde nicht als kugelrund galt. Das hieß: Entweder waren die zuweilen als rückständig verschrieenen Skandinavier der restlichen Welt weit voraus, oder etwas war faul an unserer Schulweisheit.
…
[2]
http://home.t-online.de/home/fiksleer/columbus/seite…
Das Weltbild des Columbus
Columbus und der Globus. Das Gemälde ist von Emile Lassalle (1839).
Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass Columbus 1492 mit seiner Entdeckungsfahrt nach Amerika die Kugelgestalt der Erde bewiesen und damit der Vorstellung, die Erde sei eine Scheibe, ein Ende gemacht habe.
[3]
http://homepage.mac.com/kvmagruder/flat_earth.htm
Hier geht es um das bekannte Bild, auf dem ein Wanderer den Rand der Erdscheibe erreicht hat und durch die Halbkugel des Himmelsgewölbes hindurchkriecht, um in die jenseitigen Sphären zu schauen. Gern wird das Bild gebraucht, um „mittelalterliches Denken“ zu veranschaulichen.
Die älteste Quelle, in der dieses Bild nachzuweisen ist, stammt aus dem Jahre 1888.
[4]
http://www.stephan-selle.de/Lesefruchte/Kolumbus/Kol…
Auszüge aus:
Frederico di Trocchio, Newtons Koffer. Querdenker und ihre Umwege, Reinbek 2001
„Kolumbus entdeckte Amerika aufgrund eines gravierenden, aber glücklichen Fehlers: Er dachte, die Erde sei viel kleiner als in Wirklichkeit, und überquerte daher den Atlantik, um erst Japan und dann China zu erreichen.“
[5]
http://www.fortunecity.de/lindenpark/schwitters/149/…
ZUR ARCHÄOLOGIE DES GLOBALEN RAUMBEWUSSTSEINS
- Erdkugelvorstellungen in Literatur, Philosophie, Kunst, Musik und Kosmologie
von Antike und Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert -
In diesem Aufsatz gibt Reinhard Krüger einen detaillierten Abriß der mittelalterlichen Vorstellung von der Erde als Ganzheit und von ihrer Kugelgestalt - es gab bereits eine Form von globalem Bewußtsein.
"…Die verzerrenden Vorstellungen vom mittelalterlichen Raumbewußtsein kumulieren in der These, daß man im Mittelalter der Überzeugung war, die Erde weise die Gestalt einer Scheibe auf. Nichts davon trifft zu. Vielmehr handelt es sich bei dieser Vorstellung um ein wissenschaftsgeschichtliches Gerücht… "
[6]
http://www.uni-frankfurt.de/fb10/romsem/katalanistik…
Auf dieser Seite befindet sich u.a. der Aufsatz
von Reinhard Krüger:
Kosmologisches Wissen, das Konzept des Universums
und die Kugelgestalt der Erde bei Ramon Llull (1232-1316)
Hiervon bes. intersssant in Abschnitt 1:
„Die Namensliste derer, von denen aus Spätantike und Mittelalter schriftliche Quellen über die Kugelgestalt der Erde erhalten sind, kommt einer Lektüreliste der wichtigsten Exponenten der mittelalterlichen Philosophie und mehr noch, der wichtigsten Exponenten der frühen und mittelalterlichen Kirche und Theologie gleich: Ambrosius von Mailand, Basilius von Caesarea, Augustinus, Calcidius, Macrobius, Martianus Capella, Boethius, Cassiodor, Bischof Jornandes (oder Jordanes), Isidor von Sevilla, der Westgotenkönig Sisebut, der irische Mönch Dicuil, Bischof Virgil von Salzburg, Beda Venerabilis, Theodulf von Orléans, Hrabanus Maurus, Remigius von Auxerre [d.i. Rémy d’Auxerre], Erzpriester Leo aus Neapel, Notker der Deutsche von Sankt-Gallen, Gerbert d’Aurillac (Papst Sylvester II), Hermann der Lahme, Adam von Bremen, Guillaume de Conches, Pierre Abélard, Honorius Augustodunensis, Hildegard von Bingen, Abu-Idrisi, Bernardus Sylvester, Petrus Comestor, Thierry de Chartres, Gautier de Châtillon, Alexander Neckam, Alain de Lille, Ibn-Rušd (Averroes), Mose ben Maimon (Maimonides), Lambert de Saint-Omer, Gervaise de Tilbury, Robert Grosseteste, Johannes de Sacrobosco, Thomas de Cantimpré, Gautier de Metz, Jean de Meung, Peire de Corbian, Vincent de Beauvais, Brunetto Latini, Alfonso el Sabio, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Robertus Anglicus, Juan Gil de Zámora, Perot de Garbelei, Berthold von Regensburg, Roger Bacon, Meister Eckehardt, Ristoro d’Arezzo, Marco Polo, Dante Alighieri, Cecco d’Ascoli, Brochard der Deutsche, Fazio degli Uberti, Jean de Mandeville, Konrad von Megenberg, Nicole Oresme, Geoffrey Chaucer, Christine de Pizan, Pierre d’Ailly, Alfonso de la Torre, Enea Silvio Piccolomini (Papst Pius II), William Caxton, Toscanelli, Martin Behaim, Christoph Columbus.(76) Nicht genannt sind hier die zahlreichen Urheber entsprechender bildlicher Erddarstellungen des Mittelalters.(77) Es fehlen hier ebenso die Mathematiker des Mittelalters, die sich mit der Kalenderberechnung und dem Gebrauch des Astrolabiums befaßt haben.(78) Ohne das Konzept von der Erdkugel hätten sie ihre Untersuchungen überhaupt nicht anstellen können.“
In Abschnitt 8 bringt Krüger eine Passage aus dem Bericht des Asienreisenden Marco Polo, aus dem hervorgeht, wie selbstverständlich er und seine Reisegefährten von der Kugelgestalt der Erde ausgingen.
[7]
http://www.uni-muenster.de/GeschichtePhilosophie/Ges…
Aus dem Vorlesungsverzeichnis der Ubi Münster im Fach Geschichte im WS 2003/2004,
hier werden etliche Literaturtitel genannt.
[8]
Jeffrey Burton Russell
Inventing the Flat Earth
Columbus and modern historians
1991 Praeger, New York / Westport / London
XIV+117 Seiten
Preis EUR 19,38
[9]
http://www.id.ucsb.edu/fscf/library/RUSSELL/FlatEart…
Russells Webseite
[10]
Hiob 26:7
Er breitet aus die Mitternacht über das Leere und hängt die Erde an nichts.