Hallo, Zaphod,
ein paar Anmerkungen zu Deinem Statement möchte ich durchaus machen.
Sind „klassische Texte“ mit ebensolchen Inhalten und auch
Botschaften nicht sowieso grundsätzlich auf andere Epochen
anwendbar? Ist das nicht die Freiheit des Betrachters, das
Werk gedanklich auf seine Zeit umzusetzen - oder auch nicht?
Ich hatte gestern das ausserordentliche Vergnügen, Pucchinis
„La Boheme“ zu sehen, ohne das hier grosse Anpassung geleistet
wurde.
Ich glaube, das ist mitlerweile eine Aussnahme!
Für mich lebt die Oper dadurch, daß sie nicht nur Musikgenuß bietet, sondern auch Theater ist, also Inhalte anbietet.
Meine Meinung nach ist das Regietheater, indem ein Regisseur, in möglichst produktiver Zusammenarbeit mit Dirigent/ Bühnenbildner eine eigene, von seiten des Regisseurs aus subjektive Sicht zeigt, eine positive Sache.
Die Inhalte der Opern werden damit aktuell auf unsere heutige Zeit bezogen und gewinnen an Relevanz. Auch werden natürlich eingefahrene Muster durchbrochen (bei vielgespielten Opern) und damit für den Betrachter, der eine Oper vielleicht schon mehrfach gesehen hat, wieder neue Anstöße zum Nachdenken gegeben.
Ob das im Einzelfall gelungen ist, oder eben manchmal eher misslungen ist, ist eine andere Frage.
Ich muß dann auch für mich sehen, ob ich persönlich damit was anfangen kann (manche Themen berühren/ interessieren mich eben mehr, andere weniger). Wenn es mich thematisch nicht so stark berührt, kann ich mich ja immer noch an Musik und auch an der ästhetischen Qualität von Bühnenbild, Kostümen etc. erfreuen!
Wen die Inhalte nicht interessieren, sondern nur die Musik, der kann kann sich ja verstärkt auf konzertante Aufführungen ausrichten, oder er sucht sich halt gezielt traditionelle Inszenierungen aus.
Zum speziellen Fall nochmal (La Traviata):
Bühnenbild teilweise mit Kostümen aus dem 19ten Jahrhundert,
teils aber auch (zum Ende hin vermehrt bis nur
noch)Requisiten/Armeeuniformen aus dem WKII.
In allen Gebäuden - erst bei näherem hinsehen- steckt ein Fels
mit 2 m Durchmesser in der Wand…
In einem anderen Bild geht vertikal über Strasse, Meer und
Himmel eine rot-weisse Trennlinie, die auf den ersten Blick
nichts mit der Handlung zu tun hat.
Wäre es dem Verständnis des Betrachters nicht dienlich, hierzu
eine Erläuterung zu erhalten? Oder dies zu diskutieren (gibt
es entsprechende Foren?)
Als Forum bietet sich zum Beispiel www.wer-weiss-was.de an?
Natürlich sollte ein gut gemachtes Programmheft dem Besucher Hilfestellungen zur Interpretation geben, indem Angaben zum Inhalt, zur Entstehung des Werkes sowie eben auch Hinweise zur Interpretation des Regisseurs in dieser Inszenierung enthalten sein, sowie Assoziationsmaterial.
Viele Programmhefte sind jedoch für meinen Geschmack schlecht und oberflächlich gemacht.
Wenn Du Dich vorbereiten willst, dann gibt es an manchen Opernhäusern Einführungsveranstaltungen zu den Premieren, meist am Vortag oder am selben Tag vormittags, mit Regisseur.
Ebenso ist unbedingt zu empfehlen, zumindest den Inhalt der Oper vorher gut durchzulesen, wozu Du Dir vielleicht einen Opernführer zulegen solltest (z.B. Harenbergs Operführer oder vergleichbar, kostet aber ca. 100 DM). Wenn Du so gerüstet in die Oper gehst, mußt Du Dich nicht sosehr darauf konzentrieren, die Handlungsabläufe zu erfassen und kannst alles besser „einsortieren“.
Mir hilft es, die Besprechungen in den Tageszeitungen zu lesen (der Haken ist natürlich, daß die normalerweise nur nach der Premiere erscheinen, aber man kann ja teilweise online in den Archiven mancher Zeitungen blättern, z.B. Die Welt).
Oder ist alles erlaubt, was provoziert?
Lasse ich nicht schon mit dem Besuch der Oper meine
Bereitschaft erkennen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Ist es nich auch mein Recht, ein Stück nach meinem Dafürhalten
zu werten und auszulegen - gerne auch mit entsprechenden
Hilfen, aber nur was hinzuwerfen ohne Erklärung finde ich
nicht hilfreich…
Immerhin denkst Du ja länger darüber nach und suchst auch die Möglichkeit, diese Themen mit anderen zu diskutieren. Damit hat die Inszenierung immerhin schon erreicht, daß sie Dein Interesse geweckt hat.
Vielfach ist es aber so, daß ein Regisseur (ebenso wie Komponist/ Librettist) nicht nur eine einzige Interpretation geben wollen, sondern daß sie eben auch Fragen aufwerfen, wobei das Ziel ist, den Zuschauer zur eigenen Reflektion zu bewegen.
Wenn Du zu ganz anderen Auslegungen kommst, als eine Inszenierung nahelegt, dann ist das doch völlig legitim.
Gruss,
Bernd