Der Einstieg in eine Wissenschaft ist am einfachsten, wenn man selbst konkrete Fragen hat. Die Fragen, mit denen sich die Philosophie beschäftigt, fallen aus meiner Sicht grob in drei Gruppen:
Was kann man überhaupt wissen? (Was ist erkennbar, was ist Erkenntnis und so weiter…) - dieses Gebiet ist die Epistemologie.
Was ist Sache? - Ontologie. (Das hängt natürlich in mancher Hinsicht mit der Frage, was überhaupt erkennbar ist, zusammen.)
Was soll man tun? - Ethik.
Je nachdem, welche Arten von Antworten gegeben werden, und mit welchen Methoden das geschieht, unterscheiden sich die philosophischen Ansätze (und nicht alle interessieren sich für alle Fragen).
Bekanntlich unterscheiden sich die Natur- und die Geisteswissenschaften ganz grundlegend in der Frage, wie sie mit dem Beobachter umgehen. Während man in den Naturwissenschaften den Beobachter wegabstrahiert und formale Theorien entwickelt (die z.B. als Computermodelle ablaufen und den Urknall oder die Chemie einer Zelle oder die Wechselwirkungen in einer Volkswirtschaft abbilden), kann man auf das Subjektive in den Geisteswissenschaften oft nicht verzichten. Z.B. gibt es zwar Kriterien dafür, was ein guter Roman ist, aber die werden ständig weiterentwickelt, und zwar gemeinsam mit den Literaturwissenschaftlern und Lesern selbst.
Dieser Riss zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft geht quer durch die Philosophie durch. Die „naturwissenschaftliche“ (analytische) Philosophie wurde vor allem in England und Amerika vorangetrieben, und die „subjektivistische“ vor allem in Mitteleuropa.
Besonders interessant ist das bei der Philosophie des Geistes (also der Frage, wie Denken funktioniert, was ein Geist ist usw.). Das ist ja eigentlich eine naturwissenschaftliche Frage, und dementsprechend ist die meiste Philosophie des Geistes naturwissenschaftlich. Die geisteswissenschaftliche Philosophie des Geistes (meist „Phänomenologie“ und ihre Nachkommen) bekämpfen sich munter mit der naturwissenschaftlichen Philosophie des Geistes (Funktionalismus, informationstheoretischer Strukturalismus usw.).
Einige „traditionelle“ Fragen der Philosophie, z.B. ob Geist oder Materie primär sind (Idealismus oder Materialismus) spielen heute keine große Rolle mehr (es ist aber selten, dass irgendein Zweig völlig ausstirbt).
Wenn Du einen Einstieg und Überblick und einen Weg in die Philosophie suchst, dann ist es das Wichtigste, dass Du auf dem Weg die Lust nicht verlierst, sondern Deine Fragen und Interessen immer im Blick behältst. Philosophie dient dazu, Deine Neugier zu befriedigen (es gibt wenige ausreichend bezahlte Jobs in dem Feld), also such Dir die Teile aus, auf die Du neugierig bist.
Einen sehr guten, sehr knappen Gesamtüberblick findest Du hier: http://www.amazon.de/Philosophie-Eine-Bildergeschich…
Das ist zwar auf den ersten Blick „bloß“ ein Comic, aber fachlich sehr anspruchsvoll. Er schafft es tatsächlich, viele von den wichtigsten Gedanken und Konzepten der Philosophiegeschichte kurz anzureißen. Kürzer geht nicht. Im Zweifelsfalle vereinfacht er aber nicht, sondern schreibt brutal irgendeine Kernidee hin, und wenn man die verstehen will, muß man selbst weiterrecherchieren. Das geht aber heutzutage prima, weil es ja Wikipedia, die Stanford Online Encyclopedia of Philosophy und viele andere Quellen gibt, die einem Zusammenfassungen geben.
Ein weiteres gutes Einstiegsbuch ist z.B. Popper und Eccles: „Das Ich und sein Gehirn“. Die Theorie, die die beiden entwickeln, halte ich zwar für nicht haltbar (aber sehr interessant, um drüber nachzudenken!) In der ersten Hälfte des Buches gibt Popper aber einen sehr gut lesbaren Überblick über die Philosophiegeschichte, der richtig Spaß macht.
Überhaupt liest Popper (bescheiden, freundlich, exakt, angriffslustig und klar) sich sehr toll, übrigens auch Bertrand Russel und Friedrich Nietzsche (Nietzsche ist immer so prima größenwahnsinnig und schlechtgelaunt).
Kant ist für den Einstieg nicht so gut. Ich habe zwar auch damit angefangen, aber er schreibt aus didaktischer Sicht grauenhaft (es war ihm einfach egal, ob man ihn gut versteht - ihm ging es nur darum, dass er seine Gedanken irgendwie in die Sätze gequetscht kriegt). Kant hat so gut wie immer recht, aber er hat praktisch viel weniger Einfluß, als man denkt, weil ihn halt kaum einer versteht. Die Leute, die sich mit Kant beschäftigen, brauchen letztlich das halbe Leben dafür, ihn komplett zu durchdringen, und dann stehen sie oft soweit außerhalb der anderen Diskussionen, dass sie sich dort nicht mehr verständlich machen können.
Wenn Du Lust hast, dann kannst Du ja auch mal „Sophies Welt“ lesen. Ich fand das Buch aus vielen Gründen scheußlich, aber vielleicht hilft es beim Einstieg?
Übrigens werden manche philosophischen Fragen in der Literatur (z.B. bei manchen Science Fiction-Autoren) auf extrem hohen Niveau behandelt und weiterentwickelt. Ich finde, dass z.B. viele Bücher von Stanislaw Lem (Sterntagebücher, Der Futurulogische Kongress, Die Stimme des Herrn) Pflichtlektüre sein sollten, oder z.B. Permutation City von Greg Egan (auf deutsch „Cyber-City“).
Ganz egal, wohin Du in der Philosophie wanderst: versuche, Dir die Neugier und das Zweifeln nicht kaputt machen zu lassen. Also geh vor allem in die Bereiche, die Dinge behandeln, die Dich selbst grade beschäftigen, und hole Dir von da aus alles weitere durch Zusatzrecherchen hinzu.