Ich schreibe in Kürze meine Zwischenprüfung, u.a. über die Grundlagen und Entwicklung der Europäischen Union. Meine Unterlagen sind vom Sommer 2009 und darin steht noch, dass der ER zurzeit kein Organ der EU ist, was sich aber mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ändert. Was ja am 1.12.2009 passiert ist. In Wikipedia steht, dass der ER durch den Vertrag formal den anderen Organen gleichgestellt wird. Ich bin verwirrt! Also, ist er jetzt ein Organ, oder nicht? Würde mich über eure Hilfe freuen. Danke schonmal im voraus. LG
Hallo,
ad hoc kann ich dir nicht sagen:
Schau mal unter:
http://ec.europa.eu/youreurope/nav/en/citizens/servi…
oder direkt hier anrufen (die müssen deutsch sprechen)
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Hallo Flintenweib,
das erste Statement ist richtig. Es besagt, dass der ER ein offizielles Organ ist
insofern, als dass er zu der berühmten Liste der Institutionen gehört, die offiziell
als Organe gelten. Der Unterschied ist rein europarechtlicher Natur:
***Nachdem der Reformvertrag von Lissabon in Kraft trat, wurde der Europäische
Rat offiziell zu einem Organ der Europäischen Union. Die Staats- und
Regierungsspitzen der EU und der Kommissionspräsident, die den Europäischen
Rat bilden, wählten mit dem Belgier Herman Van Rompuy den ersten
Ratspräsidenten der EU. Er hat am 1. Dezember 2009 sein Amt angetreten.***
Wirklich Aufklärung über die Implikationen dieser Änderung wird Dir nur ein Blick
in die Fachliteratur verschaffen. Ich empfehle „Constitutional Law of the European
Union von Koen Lenaerts, Piet Van Nuffel, und Robert Bray von Sweet & Maxwell“.
Quasi die Bibel des EU-Rechts. Hab leider die aktuelle Ausgabe nicht hier. Was da
steht, gilt.
Guten Erfolg,
BK
Vielen Dank für die Mühe!
Hallo,
wie der Jurist sagen würde: ein Blick ins Gesetz erleichtert die Urteilsfindung.
Tatsächlich besagt der Lissabon-Vertrag in Titel III, Art. 13, dass der Europäische Rat ein Organ der EU ist (s. „Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union“, zu finden unter
http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2008:115…, der direkte Link wäre http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?ur…).
Bevor dieser Vertrag in Kraft treten konnte, mussten ihm jedoch alle EU-Mitgliedsstaaten noch zustimmen, und das passiert nach den jeweiligen nationalen Regelungen (sog. „Ratifizierungsverfahren“). In Deutschland passierte das per Zustimmung des Bundestags, in Irland wurde er erst im 2. Anlauf per Volksabstimmung am 2.10.2009 angenommen, in der Tschechischen Republik war die Entscheidung des Verfassungsgerichts maßgeblich, welches die Klage der ODS-Fraktion des tschechischen Senats gegen den LV am 3.11.2009 abgewiesen hat.
Insofern stimmen Deine Unterlagen: Im Sommer 2009 hatten noch nicht alle EU-Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert, und erst nachdem nun alle zugestimmt haben, konnte der Vertrag auch wirklich zum 1.12.2009 in Kraft treten – und damit die Neuregelung über den Organstatus des ER.
Folgende Hinweise noch:
Für ganz wesentlich halte ich aktuell
- die durch den LV festgeschriebene Ausweitung des Mitentscheidungsverfahren (das „ordentliche Gesetzgebungsverfahren“) auf 95 % der Politikbereiche, in denen die EU Gesetzgebungskompetenzen hat, was die Mitgestaltungskompetenzen des Europäischen Parlaments erheblich erweitert … das EP wird damit nämlich grundsätzlich gleichberechtigter Mitgesetzgeber neben dem Rat,
- die durch den LV festgeschriebene Ausweitung des Verfahrens der qualifizierten Mehrheit, welches die Blockade europäischer Entscheidungsprozesse durch einzelne Mitgliedstaaten verhindern soll (Stichwort: Eurosklerose),
- die Stärkung des EP gegenüber der KOM im Hinblick auf legislative Initiativen – s. http://www.europarl.de/view/de/Aktuell/pr-2010/Aktue…
– Bislang hatte nur die KOM das Recht, neue Gesetze zu initiieren – und nur wer dieses Recht hat, kann die Ausrichtung von Politik überhaupt direkt beeinflussen und lenken. Durch die Vereinbarung von KOM und EP muss die KOM nun auf Initiativen des EP verbindlich reagieren! … Diese Entwicklung könnte man übrigens auch so interpretieren, dass sich Barroso mit dieser Vereinbarung die Zustimmung zu seiner im Vorfeld stark kritisierten Kommission „erkauft“ hat respektive das EP ihm diese Vereinbarung abgepresst hat.
Auf jeden Fall verändern die Regelungen des LV und die Frage des Initiativrechts das interinstitutionelle Gefüge wirklich ganz grundsätzlich in Richtung eines größeren Gleichgewichts zwischen den verschiedenen EU-Organen – wie auch immer man das finden mag.
Bei solchen komplexen Themen stößt Wikipedia meiner Erfahrung nach übrigens schnell an seine Grenzen und sollte besser nur als Einstieg benutzt werden, für die weitere Recherche sollte man dann auf die EU-Seiten gehen oder wissenschaftliche Literatur nutzen (über Google scholar oder bspw. IDEAS http://ideas.repec.org/).
Links:
Seite des ER = http://www.consilium.europa.eu/showPage.aspx?id=1296…
Seite von Eur-Lex = http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2008:115…
Lehrstuhl Europäische Integration am OSI der FU bzw. Jean-Monnet-Center: http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/int…
Centrum für Europäische Politik: http://www.cep.eu/
Viel Erfolg!