Ethik 'ex Negativo'

Hallo,

erst einmal danke für die Antwort. Sie ist übrigens in einigem
richtig, aber in einigen Begründungen völlig unschlüssig bzw.
leuchtet nicht ein.

Ja, an deinen Antworten sehe ich, dass es einige Missverständnisse
gibt. Woran das jetzt liegt, weiß ich noch nicht. Ich will mal
annehmen, dass ich mich in einigen Punkten nicht klar genug
ausgedrückt habe.

Naja, Erziehung darf man ja nicht so eng sehen, als dass da nur
Mutter und Vater einen Anteil haben.

So eng hatte ich das auch nicht formuliert, aber Erziehung ist
etwas, das auf den Erzogenen gerichtet ist. Wenn ich die ganze
Menschheit mit meinen Weisheiten anspreche, ist das im Prinzip
keine Erziehung, ich muss sie wenigstens selektieren und
unterscheiden, wen ich erziehe; ohne Blick auf die erzogene
Person gibt es keine Erziehung. Das ist eben auch (wie bei
Ethik) so ein hinkender Vergleich, wenn ich meine, ich könne
Frank genau wie Fritz und Franz erziehen, nur weil bei Fritz
und Franz beidemale der gleiche Kniff funktionierte.

Wie weit man Prägung durch die Umwelt jetzt speziell als Erziehung
bezeichnet und ab wann man von allgemeiner Sozialisation sprechen
sollte, halte ich in der Diskussion für nebensächlich.

„Gewissen“ kann auch nur Ergebnis des Zusammenwirkens einer
genetischen Programmierung und der Prägung durch die Umwelt
(Erfahrung) sein

Hm, gibt es dafür Belege?

Wofür?

Das kann man nicht wissen, es kann durchaus eine eigene
Identität geben, die zwischen diesen Einflüssen auswählt.

Lese noch mal richtig nach.
„… Ergebnis des Zusammenwirkens einer genetischen Programmierung
und der Prägung durch die Umwelt …“

Ich behaupte nicht, dass man beides irgendwie einzeln betrachten
müsste und schon gar nicht, dass man man zwischen irgend welchen
Einflüssen wählen könnte.
-> Wir sind das, was die Gesamtheit aller Einflüsse aus uns
gemacht hat.

Was soll eigene Verantwortung sein?

Alles Mögliche.

Im Rahmen einer Ethikdiskussion ist das als Konkretisierung
bisschen mager.

Du bist immer zuerst für dich verantwortlich um zu überleben

Meine Fragestellung geht dahin, was ist, wenn es eben um Ethik
geht. Dass wir „irgendwie“ den Trieb zum Überleben spüren, ist
wohl noch nicht so sehr ein Zeichen für „Ethik“.

Nein, aber es ist erst mal eine primäre Notwendigkeit.
Im weiteren habe ich weiter unten eine Meinung zu der Herkunft
der Ethik geschrieben.

Es kann zwar
Situationen geben, wo wir auch diese für nützlich zum
Überleben anschauen; die Existenz einer Ethik widerlegt nicht
etwa die Theorie, dass die meisten Handlungen von einem
Überlebenstrieb gesteuert seien; jedoch braucht die Ethik
nicht zwingend nur aus dem Überlebenstrieb zu kommen, sie
könnte auch andere Wurzeln haben (und sei es nur genetisch
gesprochen: z. B. nicht die immerwährende Vererbung, sondern
etwa die irgendwann eingetretene Mutation). Also macht der
Zusammenhang „verantwortlich um zu überleben“ wenig Sinn in
Bezug auf die Begründung von Ethik.

Es begründet keine Ethik, ist aber eine grundlegende Notwendigkeit
zum Überleben. Deshalb hat es einen ganze erblichen Einfluss
auf unser Handeln und damit auch auf Ethik.
Ethik kann man sich sowieso erst leisten, wen man nicht gerade eben
am verhungern ist, ansonsten gilt nur das Gesetz des Stärkeren.

Nürnberger Trichter

Andernfalls wäre z.B. nicht verständlich, warum
Kinder üblicherweise genau die Religiösität ihrer Eltern annehmen

Kopfschüttel. Wenn wir „Religiosität“ mal als „religiöse
Ethik“ nehmen, so ist der Löwenanteil „Vormachen-Nachmachen“

Ja und?
Was soll NÜRNBERGER TRICHTER sein? Ist eigentlich auch völlig egal.

planvolles Handeln nicht mit ethischem verwechseln?

Naja. Der Nomade, der stehlen gelernt hat, hat ja
nicht einfach „keine Ethik“.

eben.
Ich weiß auch gar nicht, was Normade mit stehlen zu tun haben soll.
Normaden dürfen innerhalb ihres Stammes sicher auch nicht stehlen.

Natürlich kommen dann noch ein paar abstrakte Normen dazu,
wie z.B. Anerkennung der Herrschenden

um diese Normen geht es weitgehend in der Fragestellung;

Aha. An anderer Stelle behauptest du das Gegenteil.

Ich war eh der Meinung, dass diese eher nebensächlich sind,
wenn man die Basis der Ethik ergründen will.

Alleinstellung des/der eigenen Gottheiten

Ethik als Religion ist vorerst nicht mein Thema, das war mit
der Fragestellung so nicht gemeint. Wir können eine Diskussion
in Bezug auf Religion auch führen, sie ist aber von der Frage
zunächst nicht erfasst.

Ich wollte auch nicht über Religion diskutieren.

Trotzdem denke ich, dass man Religion da nicht raus lassen kann,
weil diese eine ganz wesentliche Erscheinung in der Entwicklung
des Menschen von einem Rudeltier zur modernen menschlichen
Gesellschaft ist und Ethik immer in ganz erheblichem Maße
mitbestimmt hat.

Es gibt die These, dass Religion evolutionär eine gewissen Rolle
spielt. Ohne diese gäbe es keinen Übergang vom Clan der
Urgesellschaft zum modernen Staat.
Genau das hatte ich auch versucht darzustellen, nämlich dass
die Religiongemeinschaft als Ersatz für den urgesellschaftlichen
Clan herhalten müßte.

beziehen sich üblicherweise leider nur
auf Angehörige der eigenen Religionsgruppe

auch wieder die Frage von Religion statt Ethik. Schon die
Ethik der alten Römer und Griechen ging in Richtung auf
Verallgemeinern (vgl. Platon).

siehe oben.

Ich bin eben der Meinung, dass durch die Religion die Basics
der (biol. begründeten ) Urethik in die höher entwickelten
Gesellschaften mit hinüber genommen wurden.

Angehörige anderer Religionen zu töten, zu bestehlen,
zu diskriminieren und zu unterdrücken ist ja nach wie vor üblich

heisst noch nicht, dass die Ethik der Religion dies auch nur
zuliesse.

War aber Jahrtausende ganz normales Handeln und ist auch heute
noch nicht viel anders.

Die Funktion der Sippe/Clan wurden in der moderneren Gesellschaft
z.B. durch Religion und später durch Staatenbildung übernommen

Warum „später“? Religion und Staat führen doch ein altes und
wechselvolles Nebeneinander (bisweilen Untereinander,

Weil es nicht von Anfang an Staaten gab.
Die Bildung von Staaten unter einer zentralen Herrschaft ist
noch gar nicht so lange her.

Übereinander, Ineinander usw., und dann - ja klar - gibt es
noch die, die meinen, Religion sei „überholt“ - dies ist aber
einfach nicht meine Frage!)

eine große kulturelle Lei s tung

nein, eine lange Leistung, bis Du endlich verstehst, welche
Frage ich überhaupt stelle!

Ja, das ist mir jetzt noch unklarer als vorher.
Ich weiß echt nicht, was du willst :frowning:

Ethik aus sich selbst heraus ist IMHO Nonsens.

Ethik macht nur Sinn im Rahmen gesellschaftlichen Zusammenlebens
und deshalb kann Ethik auch nur aus diesem Zusammenhang entstehen
und erklärt werden.
Ich hatte versucht, die Basis der Ethik aus der Tatsache zu erklären,
dass wir aus einer langen evolutionären Entwicklung eine gewisse
genetische Grundausstattung von Mutter Natur bekommen haben, damit
wir als Rudeltiere funktionieren.
Wie diese Basics z.B. mittels Religionsgemeinschaften zur modernen
Gesellschaft mit hinüber genommen wurden, hatte ich auch versucht
zu erläutern.
Dies ist meine persönliche Deutung der Herkunft von Ethik.

Deine Frage nach einer Ethik aus sich selbst heraus ohne
Berücksichtigung unserer genetischen Veranlagung und ohne
Sozialisation kann es nicht geben.
Gruß Uwi

Fragestellung
Hallo Uwi,

dass ich mich in einigen Punkten nicht klar genug ausgedrückt

dann scheinen diese Unstimmigkeiten wirklich Deine Meinung zu sein…

„Gewissen“ kann auch nur Ergebnis des Zusammenwirkens einer
genetischen Programmierung und der Prägung durch die Umwelt
(Erfahrung) sein

Hm, gibt es dafür Belege?

Wofür?

Gewissen könnte auch so betrachtet werden, als sei es bloss (nur) Ergebnis von genetisch entzifferbarer Programmierung einerseits und Umwelteinflüssen andererseits - was solange nicht weiterführt, als der genetische Code und die Umwelteinflüsse nicht abschliessend offenliegen.
Demzufolge wollte ich Belege für die Vernünftigkeit einer solchen Annahme in Bezug auf eine Analyse von „Gewissen“. Es gibt keine.

Wir sind das, was die Gesamtheit aller Einflüsse aus uns
gemacht hat.

Wir sind nicht nur das, denn der Mensch ist fähig, sich selbst zu beobachten. Mir fehlte diese Fähigkeit, hätte ich nicht auch ein „Mehr“ an mir als nur das, was aus mir gemacht worden ist.

Was soll eigene Verantwortung sein?

Alles Mögliche.
Im Rahmen einer Ethikdiskussion ist das als Konkretisierung
bisschen mager

Gemeint ist alles, was mich zu einem moralisch und ethisch relevanten Menschen macht. Das kann mein ganzes Leben sein, weil dieses mich ja zum Menschen macht und weil der Mensch schlechthin eben moralisch und ethisch relevant sein kann. Darum kann „alles Mögliche“ im Bereich der Verantwortung liegen, die eine Ethik mitträgt.
Dass die Verantwortung auch anderes mit einschliesst, kommt hinzu.

Ethik kann man sich sowieso erst leisten, wen man nicht gerade eben
am Verhungern ist, ansonsten gilt nur das Gesetz des Stärkeren

Wenn das einmal nicht stimmt, wird jeweils Ethik besonders sichtbar.

Nehmen wir eine Gruppe, die auf einer Bergspitze eingeschneit ist. Weil der Küchenchef besonders schlau ist, teilt er jedem seinen Bissen zu und isst nicht alles selber. Die Folge davon ist, dass die Gruppenmitglieder alle überleben und einen Plan zur Rettung aushecken können, der dem Küchenchef nicht eingefallen wäre.

Nürnberger Trichter

wenn der Lehrer dem Schüler einen Wissensinhalt eintrichtert, den der Schüler nachher auswendig weiss, aber nicht wirklich versteht. Oder in unserem Beispiel: Wenn der Küchenchef die Rationen vorsetzt, und keiner weiss, ob er genascht hat.

eigentlich auch völlig egal

Nur dass es ganz zentral zu meiner Frage gehört! Es ist das Problem des Autoritätsglaubens. Wenn die vorhin genannten eingeschlossenen Bergsteiger ihrem Küchenchef das Vertrauen schenken, sodass sie nicht kontrollieren, ob er Gift ins Getränk mischt, dann ist das eben Autoritätsglaube. Statt dessen könnten sie natürlich auch verlangen, dass er vor versammelter Mannschaft kocht, das wäre dann Kontrolle.

Wenn nun einer „Ethik“ ruft, der zufällig gerade zu Geld gekommen ist und modische Kleidung trägt, ist seine Ethik oft doch nichts wert. Die Frage der Methode kann also egal sein. Dennoch pflegt der mit den schöneren Kleidern und dem Geld, der Werbung usw. eben mehr Erfolg zu haben. Gerade wenn das die philosophische Frage nicht kümmert, muss es eben gekennzeichnet werden, damit es sie nicht stört.

dürfen innerhalb ihres Stammes sicher auch nicht stehlen

Es gibt durchaus Völker, bei denen z. B. die „Entwendung zum Gebrauch“ (Fahrrad ungefragt nehmen und am Abend wieder hinstellen oder ähnlich) weit weniger sanktioniert wird als bei andern. Ethnologisch betrachtet sind das für gewöhnlich eher Völker, die nicht so sesshaft sind wie andere, oder auch die nicht-sesshaften Teile des gleichen Volkes, dessen sesshafte Teile eher härtere Bestrafung für solche Entwendungen zu fordern pflegen. Das ist im übrigen nur ein Beispiel.

Anerkennung der Herrschenden

um diese Normen geht es weitgehend in der Fragestellung;

Gegenteil

Ich weiss nicht, welche Stelle Du meinst. Durch Anerkennung einer Ethik mache ich normalerweise überhaupt erst einen Mitmenschen zum Herrschenden über mich. Natürlich beginnt das schon vorher, nämlich mit der Anerkennung seiner Sprache. Aber dann kommen eben seine Normen

Ich war eh der Meinung, dass diese eher nebensächlich sind,

Meine Fragestellung: Kann jemand durch die Weitergabe fremder Normen an Dritte noch ethisch sein? Zerstört nicht die Übermittlung die ethischen Inhalte? Die abstrakte Formulierung konkreter Lebensweisen, also das Festgiessen in abstrakte ethische Normen, ist doch von selbst extrem anfällig dafür, dass der Inhalt (die konkrete Situation, welche dem Normgeber vorschwebt) verlorengeht, weil die Ethik aus einer bestimmten Perspektive entstanden ist, welche nur für Adressaten taugt, die den Urheber sehr gut kennen. Die wahrgenommene Sprache ist vor menschlichen Ohren und Augen zu mehr nicht fähig.

Angehörige anderer Religionen zu töten, zu bestehlen,
zu diskriminieren und zu unterdrücken ist ja nach wie vor üblich

heisst noch nicht, dass die Ethik der Religion dies auch nur
zuliesse.

War aber Jahrtausende ganz normales Handeln und ist auch heute
noch nicht viel anders

Mag sein. Dann ist das ja gerade ein Beleg dafür, dass die Ethik einen gewissen Abstraktionsgrad nicht erreichen konnte. Also belegt es meine Grundhypothese (die Frage bleibt: inwieweit), dass Ethik nur ab einer bestimmten Konkretion Sinn macht. (Natürlich fallen einem hier die edlen „weltethischen“ Imperative wieder einmal ein - tue dem andern wie deinesgleichen usw. -, ich komme im Folgenden dazu. Sie bedürfen in Bezug auf meine Frage der näheren Untersuchung.)

Die Bildung von Staaten unter einer zentralen Herrschaft ist
noch gar nicht so lange her

spätestens

Platon

Ich weiß echt nicht, was du willst

Die Abstraktionsmöglichkeiten (bzw. Grenzen) von Ethik untersuchen. Dabei ist der kantsche Imperativ natürlich ein schönes Beispiel für einen eher abstrakten bis (inwiefern?) universalen Satz. Ich erlaube mir aber, auch ihn zu prüfen. Wann und wo ist es eigentlich klug, dem andern so zu tun, wie ich es erleben möchte? Kant würde natürlich sofort sagen „immer und überall“. Nun gut, ich schicke also einem Dürstenden in der Wüste ein paar Handschuhe, wenn mich gerade friert, und einem Erfrierenden ein frisches Eis, weil mich danach gelüstet.

Ethik macht nur Sinn im Rahmen gesellschaftlichen Zusammenlebens
und deshalb kann Ethik auch nur aus diesem Zusammenhang entstehen
und erklärt werden

Das heisst aber nicht unbedingt, dass sie Sinn macht, wenn die Gesellschaft Vorschriften generiert.

Wie diese Basics z.B. mittels Religionsgemeinschaften zur modernen
Gesellschaft mit hinüber genommen wurden, hatte ich auch versucht
zu erläutern

Naja, Du hast wenigstens darauf hingedeutet, allerdings nicht für mein Verständnis. Ich kann Kant nicht schlechthin folgen, keine Ahnung, was an seinem kategorischen Imperativ abstrakter einleuchten sollte als an der „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu“-Regel fast aller Religionen und einiger weiterer Gesellschaften.

Deine Frage nach einer Ethik aus sich selbst heraus ohne
Berücksichtigung unserer genetischen Veranlagung und ohne
Sozialisation kann es nicht geben

Meine Frage verbietet nicht die Berücksichtigung genetischer Veranlagung oder die Berücksichtigung von Sozialisation, im Gegenteil sind diese Dinge ja geradezu Anzeichen dafür, dass die Ethik nicht von selber universal ist, vielmehr sucht die Philosophie bisweilen beinahe verzweifelt nach Verallgemeinerungsfähigkeit ethischer Sätze. Ich gehe mit auf diese Suche. Dass uns dabei Kant begegnet, ist noch kein Unglück, er gibt mir aber nicht genügend klare Antwort.

Gruss,
Mike

Hallo,

Gewissen könnte auch so betrachtet werden, als sei es bloss
(nur) Ergebnis von genetisch entzifferbarer Programmierung
einerseits und Umwelteinflüssen andererseits - was solange
nicht weiterführt, als der genetische Code und die
Umwelteinflüsse nicht abschliessend offenliegen.

???
EDas habe ich doch die ganze Zeit gesagt und dass es nicht
weiterführt, weil es nicht offen liegt, liegt nun mal in der Sache.
Mehr ist daszu IMHO nicht zu sagen.

Wir sind das, was die Gesamtheit aller Einflüsse aus uns
gemacht hat.

Wir sind nicht nur das, denn der Mensch ist fähig, sich selbst
zu beobachten. Mir fehlte diese Fähigkeit, hätte ich nicht
auch ein „Mehr“ an mir als nur das, was aus mir gemacht worden ist.

Auch die Selbstreflektion basiert nur auf der Genetik und der
Interaktion mit der Umwelt. In meinen Augen ist das keine
eigene Kategorie in dieser Diskussion.

Was soll eigene Verantwortung sein?

Gemeint ist alles, was mich zu einem moralisch und ethisch
relevanten Menschen macht.

Also wieder die genetische Programmierung und die Summe
aller Umwelteinflüsse.
Mehr ist da IMHO nicht. Unser Geist ist nichts losgelöstes imaginäres.

Ethik kann man sich sowieso erst leisten, wen man nicht gerade eben
am Verhungern ist, ansonsten gilt nur das Gesetz des Stärkeren

Wenn das einmal nicht stimmt, wird jeweils Ethik besonders
sichtbar.

Ja, mag sein. Natürlich werden wir auch in Krisensituationen
von unserer Genetik und den vormaligen Erfahrungen gesteuert.

Nehmen wir eine Gruppe, die auf einer Bergspitze eingeschneit
ist. Weil der Küchenchef besonders schlau ist, teilt er jedem
seinen Bissen zu und isst nicht alles selber. Die Folge davon
ist, dass die Gruppenmitglieder alle überleben und einen Plan
zur Rettung aushecken können, der dem Küchenchef nicht
eingefallen wäre.

Naja, das Thema planvolles Handeln hatten wir schon.
Was das Beispiel kompliziert macht, ist die Kombination aus
egoistischem Handeln wegen Hunger und notwendiger Teamarbeit
für eine Rettung.

Nürnberger Trichter

wenn der Lehrer dem Schüler einen Wissensinhalt eintrichtert,
den der Schüler nachher auswendig weiss, aber nicht wirklich
versteht.

Ach, das meiste was wir lernen, verstehen wir nicht. Oder meinst
du das alles was man durch sehen und nachmachen erlent, dann auch
gleich analysiert und einen Sinn darin sucht?
Da sehe ich qualitativ keine großen Unterscheide.

Nur dass es ganz zentral zu meiner Frage gehört! Es ist das
Problem des Autoritätsglaubens.

???
Es ist ein evolutionär extrem gut erprobtes Modell, dass es in
Rudeln, Herden, Clans usw. immer Alphatiere gibt und einen
Haufen Mitläufer.

dürfen innerhalb ihres Stammes sicher auch nicht stehlen

Es gibt durchaus Völker, bei denen z. B. die „Entwendung zum
Gebrauch“ (Fahrrad ungefragt nehmen und am Abend wieder
hinstellen oder ähnlich)

Und das soll stehlen sein???Ich würde das ausborgen nennen.

Ich weiss nicht, welche Stelle Du meinst. Durch Anerkennung
einer Ethik mache ich normalerweise überhaupt erst einen
Mitmenschen zum Herrschenden über mich.

Hä??? Konfus.
Was hat Ethik mit Herrschaft zu tun? - rein gar nix!

Natürlich beginnt das
schon vorher, nämlich mit der Anerkennung seiner Sprache.

Was hat das mit Sprache zu tun??? Ich sehe da keinen Sinn.

Meine Fragestellung: Kann jemand durch die Weitergabe fremder
Normen an Dritte noch ethisch sein? Zerstört nicht die
Übermittlung die ethischen Inhalte? Die abstrakte Formulierung
konkreter Lebensweisen, also das Festgiessen in abstrakte
ethische Normen, ist doch von selbst extrem anfällig dafür,
dass der Inhalt (die konkrete Situation, welche dem Normgeber
vorschwebt) verlorengeht, weil die Ethik aus einer bestimmten
Perspektive entstanden ist, welche nur für Adressaten taugt,
die den Urheber sehr gut kennen. Die wahrgenommene Sprache ist
vor menschlichen Ohren und Augen zu mehr nicht fähig.

Ich denke, Ehtik ist wegen seiner Grundlagen relativ universell.
Wir sind alle Menschen und haben gleiche Grundbedürfnisse.
Deshalb sind auch die ethischen Vorgaben aller Kulturen und
Religionen rel. ähnlich, wenn nicht sogar voreinander abgeschrieben.

Natürlich werden aus Tradition irgendwann auch alte überkommene
Normen weitergeführt, aber das ist IMHO nur ein kleiner Teil.

Die Bildung von Staaten unter einer zentralen Herrschaft ist
noch gar nicht so lange her spätestens

Platon

In 1Mio. Jahren Entw. des Homo Sapiens sind die 4-5T Jahre seit
der Entstehung erster Stadtstaaten eher nur ein sehr kurze Zeit.

Wann und wo ist es eigentlich klug, dem andern so zu tun, wie
ich es erleben möchte? Kant würde natürlich sofort sagen
„immer und überall“. Nun gut, ich schicke also einem
Dürstenden in der Wüste ein paar Handschuhe, wenn mich gerade
friert, und einem Erfrierenden ein frisches Eis, weil mich
danach gelüstet.

Naja das ist ja nun sinnlose Wortspielerei.
Es geht ja nicht darum Geschenke zu machen, sondern um soziales
Zusammenleben.

Es geht also primär nicht darum jemanden etwas zu geben, sondern
zuvorderst dem anderen nicht den Schädel einzuschlagen, ihm
nicht sein Hab und Gut wegzunehmen und sein Frau und Kinder zu
verschleppen usw.

Ethik macht nur Sinn im Rahmen gesellschaftlichen Zusammenlebens
und deshalb kann Ethik auch nur aus diesem Zusammenhang entstehen
und erklärt werden

Das heisst aber nicht unbedingt, dass sie Sinn macht, wenn die
Gesellschaft Vorschriften generiert.

Kommt natürlich auf die Vorschriften an. Gesellschaftlichen Normen
und Ethik sind nicht das Gleiche.

Wie diese Basics z.B. mittels Religionsgemeinschaften zur modernen
Gesellschaft mit hinüber genommen wurden, hatte ich auch versucht
zu erläutern

Naja, Du hast wenigstens darauf hingedeutet, allerdings nicht
für mein Verständnis.

Kann ich nicht ändern.

Ich kann Kant nicht schlechthin folgen,
keine Ahnung, was an seinem kategorischen Imperativ abstrakter
einleuchten sollte als an der „Was du nicht willst, das man
dir tu, das füg’ auch keinem andern zu“-Regel fast aller
Religionen und einiger weiterer Gesellschaften.

Der Unterschied ist wahrscheinlich der, dass alle Religionen
und Gesellschaften solche Regeln bis dahin nur für ihren eigenen
Geltungsbereich für gültig erklärt haben.

Menschen anderer Religionen und Völker durften immer getötet,
versklavt und beraubt werden.

Kant propagiert seine Ethik aber für den „Menschen“, nicht für
den Gläubigen oder Staatsangehörigen oder Untertan.

Meine Frage verbietet nicht die Berücksichtigung genetischer
Veranlagung oder die Berücksichtigung von Sozialisation, im
Gegenteil sind diese Dinge ja geradezu Anzeichen dafür, dass
die Ethik nicht von selber universal ist, vielmehr sucht die
Philosophie bisweilen beinahe verzweifelt nach
Verallgemeinerungsfähigkeit ethischer Sätze.

Die hat Kant doch längst gefunden und in der heutigen Zeit wird
diskutiert, in wie weit die Ethik auf Bereiche erweitert oder
auch Eingeschränkt wird (z.B. Tierschutz, Schutz ungeborener,
Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aber auch Anerkennung
von individulellen Bedürfnissen usw.)

Ich gehe mit auf diese Suche.
Dass uns dabei Kant begegnet, ist noch kein Unglück,
er gibt mir aber nicht genügend klare Antwort.

Ich finde, klarer kann man es nicht formulieren.
Gruß Uwi

Die scheinbar klare Unklarheit
Hallo Uwi,

ich glaube, dass Du jetzt einen Widerspruch nicht wahrnimmst, den Du selber servierst. Aber vorweg zu einigen Einzelsätzen:

was wir lernen, verstehen wir nicht

Es ist nicht das Gleiche, ob wir uns etwas aneignen (eher verantwortlich) oder nur davon hören. Insofern ist „Lernen“ und „Lernen“ eben zu unterscheiden. Das meiste, von dem wir hören, können wir nicht überprüfen und verstehen also wenig davon, aber das, was wir uns aneignen, versuchen wir auch zu verstehen; dasjenige, das wir nicht verstehen können, obwohl wir es uns aneignen und also dauernd oder immer wieder zu verstehen versuchen, ist wohl unserer Religion zuzurechnen und hier wenigstens zunächst nur indirekt relevant, da wir die Frage der Ethik philosophisch angehen. Mir geht es darum, gerade da zu fragen, wo einige Leute sich der ethischen Autorität noch so gerne beugen.

und das soll stehlen sein

im Strafgesetzbuch fällt es unter die Definition von „stehlen“.

Was hat Ethik mit Herrschaft zu tun

sehr viel, solange sie nicht völlig durchdacht, souverän und angeeignet ist. Da magst Du im Himmel und ich nur auf der Erde sein, indem Du (anscheinend - auf den Widerspruch komme ich noch) Kants Imperativ so leicht annehmen kannst, als wäre es Dein eigener. Ich habe da wesentlich mehr Mühe und versuche ihn zwar zu verstehen, komme aber immer nur bis an seinen Rand. Denn worin kann ich in meinem Mitmenschen Vergleichbares erblicken wie in mir, und was vernachlässige ich statt dessen? Das ist a priori völlig offen. Erst im konkreten, gegenwärtigen Verteilkampf weiss ich z. B., was das knappe Gut ist, oder erst im konkreten, gegenwärtigen Volk weiss ich, ob die Bedürfnisse der Leute auch meine Bedürfnisse sind oder nicht. Alles, was ich sagen kann, ist, dass jeder in gewissem Sinn (man muss dann auch noch sagen in welchem jeweils) gerne Zuwendung/Liebe hat und also mit Kant formulieren, ich habe den Mitmenschen Zuwendung/Liebe zu geben. Das ist alles, mehr kann ich abstrakt nicht sagen. Dann hätte Kant also rufen können „liebet einander“ - und wer ihm zuhört, ist sein Adressat. Statt dessen schreibt er „handle so, dass dein Handlungsziel auch das Handlungsziel eines andern sein könnte …“ und behauptet, das sei für alle Menschen universal. Diesen gedanklichen Schritt kann ich nicht tun. Man mag sagen „liebet einander ist universal“ - ja, aber man hat nur zu denen gesprochen, die zu einem gehören (wollen). Eine zwingende Logik ist da nicht.

was hat das mit Sprache zu tun

z. B. dass ich überhaupt von Ethik rede und mir dabei denke, ich müsse mir nun einen Ideal-Normenkodex zusammenfügen, aus dem dann ein Real-Normenkodex namens Moral herausfliesst, was ich aber lustigerweise heutzutage kaum sagen kann, ohne (im Gegensatz zu dem, der dauernd von Ethik labert) angefeindet zu werden. Wenn ich sprachliche Normierungen übernehme, ist das ein erster Schritt dazu, auch ethisch-moralische Normierungen (relativ unreflektiert und unbefragt) zu übernehmen. Natürlich kann ich mich für ethische Normen entscheiden, aber nicht schon wegen einer Norm. Also selbst wenn ich (vergleichsweise allgemeingültig) sage „liebe den Menschen“, was ich als Norm sage, dann muss es spezielle Gründe ausserhalb dieser Norm geben, welche den Mitmenschen veranlassen, den Menschen seinerseits so zu lieben, wie ich es meine, und nicht etwa unter dem, was ich als Hass bezeichnen würde, „Liebe“ zu verstehen. Denn damit dieses Missverständnis nicht aufkommt, braucht es mehr als die reine Vokabel, es braucht die Interaktion der Übermittlung, das ist die Sprache.

Wir sind alle Menschen und haben gleiche Grundbedürfnisse

Aber von daher ist eben noch keine Ethik begründet, der Koch in meinem Beispiel mit den Bergsteigern könnte ja sowohl ethisch als auch unethisch handeln und hätte in beiden Fällen seine Grundbedürfnisse als oberste Maxime gehabt. Nur trägt er eben auch in beiden Fällen ein gewisses Risiko, dass er untergeht (im einen Fall, dass er ebenso schnell wie die andern verhungert, im andern Fall, dass er keinen Rettungsplan entwickeln kann).

Es geht ja nicht darum Geschenke zu machen, sondern um soziales
Zusammenleben

Also neues Beispiel: Ich gehe zu zwei Frauen und küsse sie. Die eine macht Party mit mir, die andere haut mich. Ich habe mich doch bei beiden gleich benommen, und „alle Menschen sind gleich“ gilt doch universal - oder übersehen die beiden Frauen irgendwas? Und bevor Du fragst: ja, es gibt auch noch weitere Beispiele, zuhauf.

dem anderen nicht den Schädel einzuschlagen, ihm
nicht sein Hab und Gut wegzunehmen

Also das Gebot, einander in Frieden zu lassen. Wohlgemerkt, jetzt haben wir einen (scheinbaren) entscheidenden Unterschied zum Liebesgebot. Denn jetzt geht es um das Negative, also eher „Du sollst den andern in Ruhe lassen“ und nicht „Du sollst ihn so und so gerne haben“. Drei kurze Fragen:

  1. Was ist der Unterschied, ob der andere wirklich absolut „in Ruhe gelassen“ werden will oder (eine Art) „Zuwendung braucht“
  2. Insofern als ich ihm nichts Böses tun soll, woher weiss ich, was das Böse ist? Wir haben zwar das Beispiel „nicht den Schädel einzuschlagen, ihm nicht sein Hab und Gut wegzunehmen und Frau und Kinder zu verschleppen“, jedoch finde ich immer gegenteilige Situationen, also etwa die Schlacht, wo jeder jedem den Schädel einschlägt (ich weiss, gilt heutzutage als unethisch, Du kannst meinetwegen auch den Operationssaal nehmen, wo der Chirurg verpflichtet ist, einem Mitmenschen den Schädel zu öffnen, oder die Extremsituation, in welcher jemand einem Serienmörder das Handwerk legt, indem er ihm den Schädel spaltet); oder die Freude, die jemand hat, wenn Du ihm sein Auto wegnimmst, es hundert Meter weiter parkierst und dann gemütlich zuschaust, wie der Baum auf den alten Parkplatz fällt, vor welchem Du den Besitzer nun bewahrt hast; und den Scheidungsrichter, der jemandem die Gegenwart von Frau und Kindern verbietet. Die Beispiele sind unendlich.
    Die Ethik stellt ja erst die Frage, was das Gute ist; ich kann es also nicht einfach voraussetzen, jedenfalls - wie ich hypothetisch mit meiner Anfangsfrage meine - nicht abstrakt.
  3. Wenn ich nun voraussetze, es sei gut, jemanden in Frieden zu lassen, und der Friede sei hinlänglich umschrieben, etwa seinerseits als Liebesgebot, nur eben mit negativer Formulierung, wer sagt mir, dass das „sozial“/„im Zusammenleben“ und nicht etwa mit Geschenken zu geschehen hat? Ich kann doch den Schüler Hans auch in Frieden lassen, indem ich ihm den Apfel nicht vorenthalte, den ich all den andern Schülern austeile?

Normen und Ethik sind nicht das Gleiche.

Das will ich meinen, habe aber dauernd das Gefühl, dass Du es bist, der die beiden gleichsetzt. Imperative sind eben auch Normen, also nicht besser begründet als alle andern Normen auch. Eine fundierte Ethik verlangt - ich wiederhole meine Grundfrage bzw. Grundhypothese - das konkrete Erlebnis, ihr Fundament zerbricht im rein Abstrakten.

Menschen anderer Religionen und Völker durften immer getötet,
versklavt und beraubt werden

Diesem Irrtum verfällst Du vermutlich deswegen, weil Du hörst, dass die Religionen Radikales fordern. Es ist nicht das Gleiche, etwas Radikales zu fordern und zu töten, zu versklaven oder zu berauben.

Kant propagiert seine Ethik aber für den „Menschen“

Ist also weder neu noch klarer begründet als vorher, auch nicht rein-philosophisch (wie Kant so gerne behaupten würde, um dann irgendwo „trotzdem“ der Religion ein Türchen zu öffnen). Geht es nur ums Propagieren, diskutieren wir also auch schon wieder über Religion.

Die hat Kant doch längst gefunden

Du siehst: Ich betrachte das als Irrtum. Wohl gibt es eine Grundforderung, dem Mitmenschen liebende Aufmerksamkeit zu schenken, dies jedoch ist weder von Kant entdeckt noch von ihm abstrakt begründet worden. Natürlich gibt es Begründungen, etwa in der Religion, diese ist aber von der Ethik aus betrachtet konkret und nicht abstrakt. Ein Christ, der wegen seiner Christusbeziehung Gutes tut, hat zwar einen (auch) philosophisch auffindbaren Grund für sein Handeln, dieser ist aber von seinem konkreten Glauben nicht getrennt.

Ein Atheist, der Wert darauf legt, Gutes zu tun, obschon er „nicht religiös“ sei (wie er behauptet), tut dies eben trotzdem aus Glauben (wenn auch z. B. aus Glauben an die Nichtexistenz der Existenz - oder weil er Kants Lehre zur göttlichen macht - oder Weiteres).

auf Bereiche erweitert

Wie kann man etwas Universales erweitern müssen! Daher mein Titel „die scheinbar klare Unklarheit“ und mein Eindruck, dass Du den Widerspruch servierst, den Du eigentlich selber längst entdeckt hast aber wohl irgendwie lieber nicht wahrnimmst.

Es scheinen sich gewisse Grundwörter als „konkret“ für die Begründung von persönlicher Ethik und zugleich Moral herauszubilden:

Der Glaube, den man mitbringt;
die urmenschlichen Grundbedürfnisse wie etwa der Wunsch nach Liebe;
das Mitgefühl (das z. B. stärker sein kann als der Überlebenstrieb).

Für (berechtigte) Erweiterungen bin ich dankbar.

Gruss an alle
Mike

Hallo,
mir wird das ehrlich mühselig und ich sehe in er Diskussion
keinen tiefen Sinn

Das meiste, von dem wir
hören, können wir nicht überprüfen und verstehen also wenig
davon, aber das, was wir uns aneignen, versuchen wir auch zu
verstehen;

??? von etwas hören und aneignen …

dasjenige, das wir nicht verstehen können, obwohl
wir es uns aneignen und also dauernd oder immer wieder zu
verstehen versuchen, ist wohl unserer Religion zuzurechnen

Solche Darlegungen halte ich für Nonsens.
Etwas nicht verstehen hat für den Einzelenen erstmal nichts
mit Religion zu tun.
Religion entsteht kaum, weil man selber etwas nicht versteht,
sondern weil es anerzogen wird und zur eigenen Kultur gehört.
Zum großen Teil ist es auch ein psychologischer Effekt
(Gruppenzwang).

Denn worin kann ich in meinem Mitmenschen Vergleichbares
erblicken wie in mir, und was vernachlässige ich statt dessen?

Der kategorische Imperativ von Kant verlangt ja gar nicht,
dass du dich mit anderen Menschen vergleichst.
Ich denke, allein die Tatsache, dass wir Menschen sind und mit
Vernunft versehen, reicht aus, um der allg. Handlungsmaxime
zu folgen.

Das ist a priori völlig offen. Erst im konkreten,
gegenwärtigen Verteilkampf weiss ich z. B., was das knappe Gut
ist, oder erst im konkreten, gegenwärtigen Volk weiss ich, ob
die Bedürfnisse der Leute auch meine Bedürfnisse sind oder
nicht. Alles, was ich sagen kann, ist, dass jeder in gewissem
Sinn (man muss dann auch noch sagen in welchem jeweils) gerne
Zuwendung/Liebe hat und also mit Kant formulieren, ich habe
den Mitmenschen Zuwendung/Liebe zu geben.

Ja und?
Da wir soziale Wesen sind und somit soziale Kontakte brauchen,
ist es auch nach Kant eine Maxime, sich so zu verhalten, dass
diese Bedürfnisse erfüllt werden.
Welche Handlungen dazu zweckmäßig und notwendig sind, muss
natürlich im Kontext ständig neu festgestellt werden.

Dagegen ist so eine Pauschalaussage wie
„Ihr müsst euch Lieb haben“ reine Schwafelei.
Ich kann auf die Liebe vieler Menschen gut verzichten, weil
Liebe eher eine Zwischenmenschliche Beziehung im intimsten
Rahmen der Familie ist.

Das ist alles, mehr kann ich abstrakt nicht sagen. Dann hätte
Kant also rufen können „liebet einander“

Nein!

  • und wer ihm zuhört, ist sein
    Adressat. Statt dessen schreibt er „handle so, dass dein
    Handlungsziel auch das Handlungsziel eines andern sein könnte
    …“ und behauptet, das sei für alle Menschen universal.

Ja richtig.

Diesen gedanklichen Schritt kann ich nicht tun. Man mag sagen
„liebet einander ist universal“

Ist es nicht. Ich liebe meine Frau und Kinder und gut isses.

  • ja, aber man hat nur zu denen gesprochen, die zu einem
    gehören (wollen). Eine zwingende Logik ist da nicht.

Du sagst es.

was hat das mit Sprache zu tun

z. B. dass ich überhaupt von Ethik rede und mir dabei denke,

eben, Sprache ist nur ein Werkzeug.
Ethisch handeln kann ich auch, wenn ich taub und stumm bin.

Wir sind alle Menschen und haben gleiche Grundbedürfnisse

Aber von daher ist eben noch keine Ethik begründet,

Im Prizip doch. Deshalb hat Kant auch keine weiteren Bedingungen
für die Gültigkeit seiner universellen Ethik formuliert…

der Koch in meinem Beispiel mit den Bergsteigern könnte ja sowohl
ethisch als auch unethisch handeln und hätte in beiden Fällen
seine Grundbedürfnisse als oberste Maxime gehabt.

???
Mit der Bewertung „ethisch“ und „unethisch“ hast du ja schon
klar festgestellt, welches Handeln du gerne als allg. Gesetz
haben wolltest. Damit fällt das unethische Handeln logisch weg.

Wenn eine Handlung eben nur dazu dient den persönlichen Vorteil
zu suchen, dann kann man nicht wirklich wollen, dass dieses
Handeln als allg. Gesetz deklariert werden sollte, denn
beim nächsten mal ist man dann evtl. der Leidtragende.

Also neues Beispiel: Ich gehe zu zwei Frauen und küsse sie.
Die eine macht Party mit mir, die andere haut mich.

Also kann nur die Konsequenz sein, dass solches Tun nicht zur
allg. Maxime wird, weil es eben Menschen gibt, die das nicht wollen
und du dir dadurch Ärger einhandeln kannst.

Ich habe mich doch bei beiden gleich benommen, und „alle Menschen :sind gleich“ gilt doch universal

Quatsch! So was hat noch niemand ernsthaft behauptet.

  1. Was ist der Unterschied, ob der andere wirklich absolut „in
    Ruhe gelassen“ werden will oder (eine Art) „Zuwendung braucht“

Mit der Fragestellung beantwortest du die Frage schon.
Gebe dem Zuwendung, der sie haben will und lasse den in Ruhe,
der in Ruhe gelassen werden will.
Genaus so wirst du es selber auch haben wollen, oder?

  1. Insofern als ich ihm nichts Böses tun soll, woher weiss
    ich, was das Böse ist?

Wenn es dir weh tut, dann kannst du erst mal annehmen, dass es
anderen auch wehtut.

Wir haben zwar das Beispiel „nicht den
Schädel einzuschlagen, ihm nicht sein Hab und Gut wegzunehmen
und Frau und Kinder zu verschleppen“, jedoch finde ich immer
gegenteilige Situationen, also etwa die Schlacht, wo jeder
jedem den Schädel einschlägt

Und deshalb ist Krieg per se eine extrem unethische Sache!
Was will man da noch um Ethik labern.

(ich weiss, gilt heutzutage als
unethisch, Du kannst meinetwegen auch den Operationssaal
nehmen, wo der Chirurg verpflichtet ist, einem Mitmenschen den
Schädel zu öffnen,

Wenn du willst, dass man dir im Falle eines Unfalls hilft, dann
wirst du solches Handeln gerne akzeptieren.
Ansonsten wird man normalerweise nicht gegen seinen eigenen
Willen operiert.

Dass sich hier aber Fälle finden lassen, die sich im Grenzbereich
der Ethik befinden (z.B. Sterbehilfe und unendliche Lebenserhaltung,
auch Abtreibung usw.) will ich zugeben. Darüber kann man diskutieren.

oder die Extremsituation, in welcher jemand
einem Serienmörder das Handwerk legt, indem er ihm den Schädel
spaltet);

Da auch der Serienmörder extrem unmoralisch und unethisch handelt,
muß er sich der Konsequenzen bewußt sein und Selbstverteidigung
war noch nie ein wirkliches Problem in Ethik und Moral.

oder die Freude, die jemand hat, wenn Du ihm sein
Auto weg nimmst, es hundert Meter weiter parkierst und dann
gemütlich zuschaust, wie der Baum auf den alten Parkplatz
fällt, vor welchem Du den Besitzer nun bewahrt hast;

??? Wenn man so handelt, dass anderen Menschen Schaden und Leid
erspart bleibt, ist das auch zutiefst ehtisch.
Genau dies ist eine Maxime, die weitgehend sogar in viele
Gesetzestexte aufgenommen wurde.

und den Scheidungsrichter, der jemandem die Gegenwart von
Frau und Kindern verbietet.

Auch er hat nach besten Wissen und Gewissen auf Basis der Gesetze
zu entscheiden. Genau das sollte auch oberste Maxime sein.
Dass bei Interessenabwägung nicht jedem alles recht gemacht werden
kann, ist keine ethische Diskussion wert.

Die Beispiele sind unendlich.
Die Ethik stellt ja erst die Frage, was das Gute ist; ich kann
es also nicht einfach voraussetzen, jedenfalls - wie ich
hypothetisch mit meiner Anfangsfrage meine - nicht abstrakt.

Doch, indem man unabhängig von irgend welchen Randbedingungen
konkret fragt, würdest du es wollen, dass man so oder so handelt,
kann man sich dem Problem annähern.

In dem Sinne ist es eben nur dämlich, wenn man dem erfrierenden
ein Eis schickt und dem verdurstendem eine Winterjacke.

Eine fundierte Ethik verlangt - ich wiederhole meine
Grundfrage bzw. Grundhypothese - das konkrete Erlebnis, ihr
Fundament zerbricht im rein Abstrakten.

Natürlich muß das konkrete Handeln im Kontext überprüft werden.
Deshalb gibt es für Ethik außerdem dem kat. Imp. von Kant auch
keine Sammlung von Kochrezepten.

Menschen anderer Religionen und Völker durften immer getötet,
versklavt und beraubt werden

Diesem Irrtum verfällst Du vermutlich deswegen, weil Du hörst,
dass die Religionen Radikales fordern.

Hä??? Welcher Irrtum?
Kriege, Bürgerkriege und sonstige Scheußlichkkeiten wurden
seit je mit dem Seegen der Kirchen geführt und religöse Dogmen
dienen auch heute noch dazu, Brutalitäten gegen die sogenannten
„Ungläubigen“ /„Andersgläubigen“ zu begründen.

Es ist nicht das Gleiche, etwas Radikales zu fordern und zu
töten, zu versklaven oder zu berauben.

Es wird doch in der Welt getötet, verklavt, beraubt usw.
In welcher Welt lebst du?

Kant propagiert seine Ethik aber für den „Menschen“

Ist also weder neu noch klarer begründet als vorher,

Wo soll da je was klar begründet gewesen sein?

Z.B. die christlichen Gebote gelten nur für Christen und das
Christentum kennt den Begriff „Kreuzzug“ dafür, dass man gegen
andere Völker in brutaler Art vorgeht.

Die Weltkriege wurden damit propagandistisch begründet, dass der
„Engländer“ und der „Franzose“ böse Menschen sind, gegen dir man
zu Felde ziehen müsse.
Der Krieg gegen den Kommunismus und der kalte Krieg wurden von
beiden seiten mit ähnlichen Argumenten begründet.

Haute gibt es auch weider den „heiligen Krieg“ der Mulime und die
Scharia und Koran dienen als propagandistische Basis.

Die hat Kant doch längst gefunden

Du siehst: Ich betrachte das als Irrtum. Wohl gibt es eine
Grundforderung, dem Mitmenschen liebende Aufmerksamkeit zu
schenken, dies jedoch ist weder von Kant entdeckt noch von ihm
abstrakt begründet worden.

Liebende Aufmerksamkeit? Bist du Anhänger der PowerFlower-Bewegung?

Ein Atheist, der Wert darauf legt, Gutes zu tun, obschon er
„nicht religiös“ sei (wie er behauptet), tut dies eben
trotzdem aus Glauben (wenn auch z. B. aus Glauben an die
Nichtexistenz der Existenz - oder weil er Kants Lehre zur
göttlichen macht - oder Weiteres).

Immer wenn Leute das Wort Glauben in Beliebigkeit verwenden und
dann als Steigerung irgend einem Quark Göttlichkeit angedichtet
wird, stäuben sich mir die Haare.
Die Spitze des Nonsens ist es dann, wenn behauptet wird, dass
der Atheismus nur eine „andere Art von Religion“ wäre.

Ums klar zu sagen. Die Ethik Kants kommt einfach und allein aus
der Vernunft und das einzige was man dazu braucht ist Aufklärung
und Selbstbestimmtheit.
http://de.wikipedia.org/wiki/Aufkl%C3%A4rung
Gruß Uwi

auf Bereiche erweitert

Wie kann man etwas Universales erweitern müssen! Daher mein
Titel „die scheinbar klare Unklarheit“ und mein Eindruck, dass
Du den Widerspruch servierst, den Du eigentlich selber längst
entdeckt hast aber wohl irgendwie lieber nicht wahrnimmst.

Das war Verkündigung eines Exklusiv-Glaubensdogmas
Darum schliesse ich die Diskussion ab.
Ohne Groll, aber auch ohne folgen zu können.

Gruss,
Mike