Argumentative Nebelbomben
Hi Ralf.
bei einem ernsthaften Versuch, islamische und jüdische Ethik zu vergleichen ist die Problemstellung deutlich komplexer, als Du sie hier entwirfst.
Das ist sicher richtig, aber der Hinweis auf „Komplexität“ kann die ethische Problematik vor allem des Islam auch verschleiern (…) statt erhellen. Ich habe den Eindruck, dass deine folgenden Ausführungen das bestätigen.
Sowohl Koran als auch Tora sind zwar wichtige Quellen der Ethik von Muslimen und Juden, aber beileibe nicht die einzigen.
Zunächst etwas Grundsätzliches:
Nach unseren heutigen menschenrechtlichen Kriterien ist jede Ethik, die sich auf monotheistische Dogmen stützt, nicht akzeptabel. Das gilt für alle drei monotheistischen Ethiken. Ethik hat nach modernen Maßstäben viel mit Vernunft zu tun. Genau diese aber hat keinen Anteil an monotheistischen Offenbarungen. Diese Offenbarungen entspringen angeblich dem Willen des jeweiligen Gottes, dessen Motive nicht hinterfragbar sind. Aufgabe des Menschen ist es nur, die Inhalte der „göttlichen“ Offenbarung zu erkennen und umzusetzen. Ein derart sklavisches Ethikverständnis steht im denkbar krassesten Gegensatz zu unserem heutigen Ethikverständnis.
Ich betone das, weil du das in deinen folgenden Ausführungen nicht wirklich berücksichtigst.
In Bezug auf die Tora wurdest Du ja bereits darauf hingewiesen; vergleichbares trifft auf den Koran zu. Bei einem Vergleich der Quellen der jeweiligen religiös bestimmten Ethik ist es unsinnig, sich auf Tora und Koran zu beschränken…
Natürlich wieder dein Lieblingswort „unsinnig“. Damit walzt du gerne missliebige Aussagen nieder. Aber egal. Aus Zeitgründen beschränke ich mich auf den Islam. Hier ist der Koran definitiv d i e Basis der islamischen Ethik. Andere Texte sind sekundär. In deiner nivellierenden Darstellung kommt diese Hierarchie nicht zum Ausdruck.
Des weiteren sollte man sich bewusst machen, dass Tora und Koran fixierte historische Texte sind, während die Ethik bestimmter religiöser oder ethnischer Gruppen stets historischem Wandel unterworfen ist, also auf veränderte wirtschaftliche, soziale, politische … usw. Bedingungen reagiert.
Die faktisch praktizierte Ethik vielleicht, aber nicht die dogmatisch Fixierte, und allein die zählt in den jeweiligen Religionen. In diesem Brett wurde in Bezug auf das Christentum doch schon mehrmals die Frage debattiert, ob man die heutzutage praktizierte christliche Ethik als authentisch christlich bezeichnen kann (Christentum vs. Menschenrecht). Meine These war, dass das Christentum die ihm eigentlich fremden menschenrechtlichen Werte nur importiert hat, und zwar nicht freiwillig, sondern als Anpassung an den aufklärerischen Zeitgeist. Mein Eindruck ist nicht der, dass du dem damals widersprochen hättest.
Jetzt aber, wo es um Islam und Judentum geht, behauptest du, dass Ethik einem „Wandel“ unterworfen ist und implizierst dabei offensichtlich, dass eine islamische Ethik islamisch bleibt, wenn sie sich von den ursprünglichen Normen des Koran entfernt. Im Falle des Christentums würdest du das sicher nicht behaupten.
Noch ein Beispiel deiner Inkonsequenz:
Das betrifft insbesondere auch die Art und Weise, wie die erwähnten religiösen Quellen rezipiert, also verstanden und angewandt werden. Insofern ist es, wenn man versucht eine islamische oder jüdische Ethik zu bestimmen, deutlich sinnvoller, sich aktuelle Handlungsmuster (und deren theoretische Begründung) von Personen anzuschauen, die den jeweiligen Religionsgemeinschaften angehören, statt in deren diversen heiligen Schriften zu suchen
Da haben wir´s. Die Offenbarungsschriften zählen plötzlich nicht mehr, sondern nur noch die „aktuellen Handlungsmuster“.
Wie aber werden Handlungsmuster aktualisiert? Doch nur, indem sie sich teilweise nach Normen ausrichten, die mit den ursprünglichen Normen nichts zu tun haben. Das kann in Bezug auf die in Rede stehenden Religionen, inbesondere Islam, nur bedeuten, dass die Menschenrechte die korrektive Norm bilden. Denn es geht dir ja um „aktuelle“ Handlungsmuster.
Außerdem steht deine These, dass ethisches Verhalten im Islam auf individuellen Entscheidungen von Personen beruht, im Widerspruch zu der Tatsache, dass islamische Ethik allein und nur allein auf der Offenbarung durch Allah gründet. Deine subjektivistische These ist leider falsch.
Ethik ist immer eine höchst persönliche Angelegenheit; die sehr persönliche Antwort auf die sich der praktischen Vernunft stellende Frage: „Was sollen wir tun?“ (in Anspielung auf Kant).
In Bezug auf den Islam ist auch diese Aussage aber sowas von falsch. Verblüffend, wie locker du Kant mit der islamischen Ethik vermählst. Dabei könnte es keinen größeren Gegensatz geben.
Chan