Hallo Merlin!
Einige Gedanken vorweg:
Der Begriff Terrorbekämpfung gehört in den USA und Europa zum Alltagsvokabular. Außer Militäreinsätzen geschieht aber nichts, obwohl klar sein sollte, daß sich dem Phänomen Terror mit militärischen Mitteln nicht wirksam begegnen läßt. Im Gegenteil, die vermeintlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrors ziehen insbesondere die hier lebenden Bürger und deren unbehelligte Freiheit in Mitleidenschaft. Ganze Armeen sind zum erheblichen Teil mit Terrorbekämpfung beschäftigt; die Bundeswehr bezieht inzwischen sogar ihre Daseinsberechtigung daraus. Die Ursachen des Terrors werden auf diese Weise nicht einmal berührt, bestenfalls unter erheblichen Gefahren und mit horrenden Kosten zeitlich und regional begrenzt klein gehalten, insgesamt aber eher gefördert. Auch wenn es für Militärs offenkundig immer wieder überraschend ist, sind Soldaten auf die Dauer in keinem Land der Erde eine Lösung, sondern eher Teil des Problems und gehören in aller Regel nicht zu den in der Bevölkerung gern gesehenen „Gästen“. Der Konflikt der Kulturen läuft uns auf diese Weise aus dem Ruder. Armut, fehlende Bildung, Ausgrenzung und Chancenlosigkeit liefern immer neuen Nährboden für Haß, für Rattenfänger, Extremisten und religiöse Fanatiker.
Ein erheblicher Teil der Rohstoffe dieser Erde liegt in Ländern, die uns kulturell eher fern sind. Politiker früherer Generationen lösten das Problem militärisch, wobei Ethik und Völkerrecht im Zweifel keine Rolle spielten und bis heute keine Rolle spielen. Der weltweite Hunger nach Rohstoffen macht solche Vorgehensweise inzwischen selbstmörderisch. Die Option, sich mit Gewalt zu holen, was auf Kosten des Rests der Welt zum Wohlstand gebraucht wird, ist ein Auslaufmodell.
Es kann heute keinen Zweifel mehr daran geben, daß die Geschwindigkeit des Klimawandels von Menschen gemacht ist. Wir müssen unser Energie-Verbrauchsverhalten grundlegend ändern, wir müssen unseren Energiebedarf senken und wir müssen unseren Energiebedarf von fossilen Energieträgern lösen. Wir dürfen Öl und Kohle nicht mehr in erster Linie als Brennstoffe, sondern als Rohstoffe begreifen, mit denen wir im Interesse des Klimas und zur Aufrechterhaltung industrieller Produktionen schonend umgehen müssen. Wir brauchen Zugriff auf sonnenreiche Gegenden der Erde. Die Sonne liefert das Vieltausendfache der Energie, die die Menschheit braucht. Vorhandene Technik muß weiterentwickelt und in den dafür geeigneten Regionen der Erde eingesetzt werden.
Was hat das alles mit dem EU-Beitritt der Türkei zu tun? Die Türkei kann das Modell eines prosperierenden, vom Islam geprägten und in die Wertegemeinschaft der EU aufgenommenen Landes sein. Solches Signal hätte Wirkung weit bis in den Nahost-Bereich und darüber hinaus, im gesamten Mittelmeerraum bis in den afrikanischen Kontinent. Das Beenden der Abgrenzung des christlich geprägten Europas zur überwiegend von Moslems bewohnten Welt in Nahost und rund um das Mittelmeer würde Vorbehalte auflösen, die z. T. begründet noch aus der Kolonialzeit rühren. Es wäre Terrorbekämpfung in den Köpfen und damit die vermutlich einzig wirksame Methode. Es wäre schließlich ein friedlicher Schlüssel mit der langfristigen Perspektive des Zugangs zu einigen Regionen der Erde, die wir noch dringend brauchen werden. Es gibt noch viele weitere, auch den aus meiner Sicht interessanten wirtschaftlichen Aspekt, aber für besonders erwähnenswert halte ich den Umweltaspekt. Innerhalb der EU herrschen einheitliche Umweltstandards und wir können uns nicht leisten, das absehbar bevölkerungsreichste Land Europas nicht in diese Standards einzubinden.
Derzeit wäre die EU mit ihren Strukturen und den noch nicht „verdauten“ Neumitgliedern Osteuropas gar nicht reif für die Aufnahme der Türkei und die Türkei hat noch einen weiten Weg zur Rechtsstaatlichkeit und deren Verankerung in der Bevölkerung vor sich. Ohne die Chance, Vollmitglied der EU zu werden, kann die Türkei diesen Weg nicht schaffen. Das mag 10, 15 oder mehr Jahre dauern. Es wird aber sehr schnell gehen, bis ein langjähriger Konfliktherd, nämlich Zypern, sich in Wohlgefallen auflöst, wenn die Beitrittsverhandlungen beginnen. Die Türkei wird genötigt, ihr Kurdenproblem in Einklang mit den Menschenrechten zu lösen. Zahllose Problemlösungen und Millionen Menschenschicksale hängen daran, daß die Türkei eine Perspektive in der EU bekommt. Die Einbindung der Türkei als Vollmitglied der EU ist eine Vision für die nächsten Jahrzehnte, die der EU politisches Gewicht und Einfluß weit über Europa hinaus bringt.
Ich finde es bedauerlich, daß die Vision und Chance für Europa in weiten Teilen unserer Bevölkerung und in vielen Beiträgen dieses Forums nicht gesehen wird und statt dessen Kleinkrämerisches und Vorbehalte durch die vor Jahrzehnten ins Land geholte Negativauswahl und deren versäumte Integration angeführt werden.
Gruß
Wolfgang