Eudaimonia

Hallo!

Ich habe heute einen Artikel gelesen über den philosophischen Weg zum Glück, basierend auf Aristoteles und seinem Buch „Nikomachische Ethik“. Er war – zum Glück – sehr verständlich geschrieben, also auch für einen Nicht-Philosophen geeignet. :wink:

In der siebten Bestimmung des Glücks war die Rede von dem „guten Dämon“ als Mittler zwischen Gott (als kosmisches Prinzip) und Mensch und davon, dass – wenn man diesem Prinzip Raum in sich selbst gibt – das endliche Wesen an der Erfahrung der Unendlichkeit teilhaben kann, dass sein Leben durchdrungen wird von einer Kraft, die umfassender ist als die des Individuums.
So weit - so gut.

Abgeschlossen wurde dieser Punkt mit dem Satz: „Eine gelassene Wohlgestimmtheit, eine abgründige Heiterkeit ist damit verbunden.“

Abgründige Heiterkeit. Ist damit so was wie Galgenhumor gemeint? Humor ist, wenn man trotzdem lacht? Oder wie ist das zu verstehen?

Gibt es über den „guten Dämon“ noch mehr zu sagen (zu wissen)?

Es fragt und grüßt der philosophische Laie

Birgit

Glück
Hi Birgit

In dem erwähnten Artikel scheint die N.E. des Aristoteles tatsächlich nur einer von vielen angesprochenen Glückskonzeptionen der Antike zu sein. Denn zu dieser Zeit wurde das Wort (eu-daimonia) nicht mehr aus seinem etymologischen Hintergrund verwendet. Eudaimonia ist nicht mehr das „gute Daimonion“, jedenfalls nicht im Sinne eines vom Menschen abgesonderten externen immateriellen Wesens, sondern Glück (im Sinne angenehmer Lebensumstände) und Glückseligkeit (im Sinne eine Wohlgestimmtheit, also mit euthymia, Wohlgemutheit, verwandt).

Beide, Glück und Glückseligkeit, wurden dann in verschiedenen Schulen verschieden interpretiert. Das, was du weiter zitierst, hört sich eigentlich zunächst eher nach Platon an, bei dem Glück soetwas wie ein transzendenter Bezug auf die „Idee des Guten“ ist (die oberste der Ideen, sofern man bei Platon eine Vielheit von Ideen annehmen kann, ansonsten wäre es überhaupt „die“ Idee).

Aristoteles faßt in der N.E. das Glück vielmehr im Kontext einer Untersuchung der verschiedenen „Tüchtigkeiten“, die als auf das Zusammenleben in der „Polis“ bezogene praxis (die damit die ethische Valenz von Tugenden hat) gesehen werden. Bei ihm hat das also weder etwas mit der Ideenwelt zu tun, noch mit dem Menschen wohlgesonnenen Geistern, noch mit einer Wohlgestimmtheit.

Deine Andeutung der Heiterkeit („Eine gelassene Wohlgestimmtheit, eine abgründige Heiterkeit“) könnte sich nun beziehen auf zwei nicht ganz unähnliche Konzeptionen von Glück (und dann auch von Glückseligkeit), die sich später in der Stoa und bei Epikur finden: Die apathia (ungefähr = Leidenschaftslosigkeit) der Stoa meint eine durch Lebenswandel erreichbare Freiheit von Affekten (Trauer, Wut, Lust, Furcht), und die ataraxia (ungefähr = Gelassenheit, Ruhe) der Epikureer, die vor allem Freiheit von Angst vor Tod, Krankheit usw. beinhaltet.

Dein Zitat:

und davon, dass ? wenn man diesem Prinzip Raum in sich selbst gibt ? das
endliche Wesen an der Erfahrung der Unendlichkeit teilhaben kann, dass sein
Leben durchdrungen wird von einer Kraft, die umfassender ist als die
des´Individuums …

bezieht sich ganz sicher nicht auf antike Glückskonzeptionen, da dabei kaum eine individuelle innerpsychische Verfassung eine Rolle spielt. Es klingt darin vielmehr eher eine Haltung bestimmter Strömungen in der christlichen Mystik an (ich denke an Teresa de Avila oder auch Therese de Lisieux). Damit wäre allerdings die eudaimonia als vermittelnder „guter Dämon“ nicht vereinbar, da dieser wieder eine andere Richtung von Glücksbegriffen andeutet, und zwar einen mythologischen, bei dem Glück auf den rechten Umgang mit guten und schadenden Dämonen beruht.

Der ganze Artikel scheint mir also so etwas wie eine Kurzfassung der Geschichte von Glücksbegriffen in der europäischen Philosophie zu sein?

Grüße

Metapher

Sinnsuche
Hallo Metapher,

herzlichen Dank für Deine Antwort.
Wo ich gestern noch dachte, ich hätte vielleicht einen klitzekleinen Einstieg in die Welt der Philosophie mit Hilfe eines mir angenehmen Themas gefunden, fühle ich mich heute vom Autor des Artikels ganz unphilosophisch vergackeiert. :wink:

Der ganze Artikel scheint mir also so etwas wie eine
Kurzfassung der Geschichte von Glücksbegriffen in der
europäischen Philosophie zu sein?

Zur Erläuterung:
Quelle: Psychologie heute - compact, Nr. 8
Autor: Wilhelm Schmid, freier Philosoph etc., Berlin
Titel: „Aus dem Gegebenen immer das Schönste machen“
Zitat aus der Einleitung:
„Sieben Bestimmungen des Glücks, die sich bei Aristoteles in seinem Buch N.E. finden, sind hilfreich bei dem Versuch, eigenes Nachdenken über das Glück in Gang zu bringen.“

Dann die sieben Punkte …

  1. Das Glück ist ein wählbares Gut
  2. Das Glück ist eine spezifische Tätigkeit
  3. Das Glück ist etwas Göttliches

… mit jeweils erklärendem Text. Zum Abschluss Überleitung in die Moderne.
Nachdem ich Dein Posting gelesen hatte, war ich doch etwas verwundert und habe mich gefragt, wie es einem Laien wie mir gelingen sollte, den Inhalt eines solchen Artikels einzuordnen, wenn der Autor selbst offensichtlich solche Sprünge macht und irgendwie von allem etwas verwendet!?

Hast Du eine Empfehlung für mich, womit ich zum Thema „Glück“ einen Einstieg in die Philosophie finden könnte? Oder ist der Weg, den ich versuchen möchte, gänzlich der falsche?

Dank & Gruß
Birgit

*einmisch*
Hallo Birgit,

Hast Du eine Empfehlung für mich, womit ich zum Thema „Glück“ einen Einstieg in die Philosophie finden könnte? Oder ist der Weg, den ich versuchen möchte, gänzlich der falsche?

mit der Definition des Glücks hat sich u.a. auch die Literatur beschäftigt. Einen ganz guten Einblick gibt Ludwig Marcuses „Philosophie des Glücks.“ ISBN 3257200218 Buch anschauen

Marcuse hat btw eine lesenswerte Börne-Biographie verfaßt :wink:

Viele Grüße
Diana

Der Mut zur Konsequenz ist die Vorbedingung jeder große Antwort Ludwig Marcuse

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Hallo Diana,

mit der Definition des Glücks hat sich u.a. auch die Literatur
beschäftigt. Einen ganz guten Einblick gibt Ludwig Marcuses
„Philosophie des Glücks.“ ISBN 3257200218 Buch anschauen

Vorgemerkt für den nächsten Einkauf bei http://www.mayersche.de/html/essen.html . Ich bin gespannt.

Marcuse hat btw eine lesenswerte Börne-Biographie verfaßt :wink:

Und so schließt sich der Kreis! :wink:

Danke Dir!
Gruß
Birgit

Der Mut zur Konsequenz ist die Vorbedingung jeder große
Antwort
Ludwig Marcuse

Einstiege in die Philosophie

Hast Du eine Empfehlung für mich, womit ich zum Thema „Glück“
einen Einstieg in die Philosophie finden könnte? Oder ist der
Weg, den ich versuchen möchte, gänzlich der falsche?

Ich denke, es gibt keine „falschen“ Wege in die Philosophie, höchstens solche, die am Anfang zu wenig die Neugier wecken und dadurch die Frustrationsgrenze herausfordern. Aber das ist bei jedem anders - klar, denn die Philosphie befaßt sich ja mit allem …

Am besten ist es tatsächlich so wie du es im Sinn hast: Es gibt einen Themenbereich und mit diesem Einstieg hangelst du dich durch die Geschichte der Philosophie durch, solange bis du deine Faszinosa findest …

Zusätzlich zu disem Weg würde ich jedem empfehlen, mit Aristoteles anzufangen zugleich mit einer guten, aber kurzgefaßten Philosophiegeschichte.

Zu der Letzteren ist immer gut:

Hans Joachim Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3596144329/qid…

und unbedingt Hegels Einleitung zur
Vorlesung über die die Geschichte der Philosophie
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3518282182/qid…

Zu Aristoteles:
Fast möcht ich sagen, daß tatsächlich die Nikomachische Ethik ein guter Einstieg wäre, allerdings mit einer guten Kommentierung. Diese Ausgabe von Dirlmeier
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3050008008/qid…
ist nach wie vor hervorragend.

Aristoteles sagt selbst in diem Text [Buch II.2 = 1103b] in der Übersetzung von Dirlmeier:

Der Teil der Philosophie, mit dem wir es hier zu tun haben, ist nicht wie die anderen rein theoretisch - wir philosophieren nämlich nicht um zu erfahren, was ethische Werthaftigkeit sei, sondern um wertvollere Menschen zu werden. Sonst wäre dieses Philosophieren ja nutzlos.

Insgesamt ist Aristoteles einer der fasznierendsten Philosophen, weil es fast kein Gebiet gibt, mit dem er sich nicht befaßt hat, und das er nicht mit äußerst scharfsinniger und kritischer Reflexion seiner eigenen Gedanken und ihrer Formulierungen durchgeackert hat.

Seine logischen Schriften, zu denen auch die Metaphysik und die Physikvorlesung gehört, sind ohne begleitendes Studium nicht zu bewältigen, aber die psychologischen Untersuchungen („Über die Seele“ und auch ethischen Schriften) sind mit einer gut kommentierten Ausgabe sehr spannend. Und sie liegen deinen Interessen ja auch wohl näher.

Direkte Klassiker über das Thema „Glück“, wie z.B.
Epikur:
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3760817319/qid…
Seneca:
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3458331573/qid…
sind sicher ebenfalls sehr gewinnbringend. Aber als Einstiege in die Philosophie liegen sie nicht auf dem direkten Wege. Du hast doch eine Uni-Bib in deiner Nähe? Dort könntest du mal das Historische Wörterbuch der Philosophie
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3796506925/qid…
unter dem Stichwort „Glück“ befragen …

Irgendein „Daimonion“ (aber jetzt eher so eins wie das, von dem Sokarates metaphorisch sprach) sagt mir - und ich weiß nicht, ob es im Kopf oder im Herz spricht *smile* - daß für dich Kierkegaard eine Fundgrube sein könnte …

Grüße und schönes WE

Metapher

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sagt mir - und ich weiß
nicht, ob es im Kopf oder im Herz spricht *smile*

…hihi… wo wir schon wieder beim Thema waeren… :wink:

sorry fuers Einmischen. smile

nikisha

so wars ja auch gemeint :wink:

sagt mir - und ich weiß
nicht, ob es im Kopf oder im Herz spricht *smile*

…hihi… wo wir schon wieder beim Thema waeren… :wink:

aber du brauchst dich mit „einmischen“ gar nicht zurückzuhalten, Nikisha. Das Schöne am w-w-w ist ja gerade, daß es keine privaten Diskussionen gibt und du kannst dich einmischen, wann und wo immer du magst …

schöne Grüße

Metapher

Viele Wege!
Hallo Metapher,

nach zwei anstrengenden Tagen in heimatlichen Gefilden - die Gegend ist Dir ja ebenfalls sehr gut bekannt :wink: -, habe ich gerade mit großer Freude Dein Posting gelesen. Vielen Dank!

… Kierkegaard eine Fundgrube sein könnte …

Na, dann werde ich doch mal herausfinden, ob ich mich mit Søren K. anfreunden kann. Vielleicht kann ich Dir dann auch sagen, von wo’s zu Dir gesprochen hat. *g*

Schönen Abend!
Birgit