Hallo AmunRa,
Deine Zwerifel sind berechtigt, Demokratie heisst doch
eigentlich dass alle Macht vom Volk ausgeht? Oder nicht?
Doch, wenigstens ein Punkt, dem ich zustimmen kann. Aber das ist sehr abstrakt und in der Frage, wie man das praktisch verwirklichen kann, gibt es eben unterschiedliche Vorstellungen, direkte Demokratie, repräsentative Demokratie, Basisdemokratie usw. Offenbar bist Du ein Anhänger der direkten Demokratie, aber das heisst ja noch lange nicht, daß die anderen Formen keine Demokratie darstellen. Das Perfekte, Vollkommene ist ja anstrebenswert, aber da wir Menschen nun mal unvollkommen sind, auch nur asymptotisch zu erreichen.
Ich habe 35 Jahre in einem Land gelebt, das zwar den Begriff „demokratisch“ in seinem Namen trug, aber in Wahrheit nur eine Diktatur war. Insofern bin ich etwas allergisch gegen solche Interpretationen, demokratischen Ländern ihren Demokratiecharakter abzusprechen. Ja, die Demokratien sind unvollkommen und fehlerhaft. Es gibt Korruption, Vetternwirtschaft, Lobbyismus und manchmal sogar mafiöse Zustände, keine Frage. Durchaus keine paradiesichen Zustände und es lohnt sich, für deren Verbesserung zu kämpfen. Aber diesen Kampf kannst Du führen, ohne befürchten zu müssen, im Gefängnis zu landen, eben weil Du in einer Demokratie Grundrechte besitzt. Du kannst in Zeitungen oder auf der Straße heftigste Kritik an der Regierung üben, Mißstände anprangern, Demonstrationen veranstalten und dabei rote oder schwarz-weiss-rote Fahnen schwenken, Ministern Plagiate nachweisen und ihn damit letztendlich zum Rücktritt zwingen usw. Alles Dinge, die nur in einem demokratischen Staat möglich sind.
direkt oder indirekt Einfluß auf die politischen
Entscheidungen ausüben kann. In welchem Grad das geschieht
und/oder geschehen sollte, darüber kann man streiten.
Ebender Grad der Einfussnahme IST das entscheidende! DIREKTE
DEMOKRATIE, Beispiel: Schweiz!
Das entscheidende für deine Zufriedenheit, aber nicht dafür, ob Demokratie existiert oder nicht (s.o.) Und ehrlich gesagt, direkte Demokratie nach Schweizer Muster mag erstrebenswert sein, aber manchmal kommen mir Zweifel, ob das nun tatsächlich das Gelbe vom Ei ist. Sei es, daß die zu entscheidenden Dinge viel zu kompliziert sind, als daß ich mir ein Urteil darüber bilden könnte, sei es, daß ich manchmal befürchte, das da das „gesunde Volksempfinden“ (bzw. dumpfe Vorurteile, von Demagogen geschürt) zu sehr reinspielen. Da muß es sich nicht mal um ein Verbot des Baus von Moscheen handeln, es genügt mir vorzustellen, daß die Bürger abstimmen sollten, ob und wieviel Steuern bezahlt werden.
Davon abgesehen wird auch in diesem Modell immer Unzufriedenheit herrschen, nämlich genau bei den Leuten, die zu der bei der Abstimmung unterlegenen Minderheit gehören.
Ich will ja auch nicht die einzelnen Teilstaaten der EU
kritisieren,
Es klang aber so, wenn Du fragst
ob es in Europa eine Demokratie gibt?
sondern die EU als solches. Ist die EU
Demokratisch?
Dann hättest Du lieber die Frage so gestellt. Und der Zusammenhang deiner zweiten Anmerkung
Mir scheint Gewalt an Jugendlichen und Frauen und Kindern nicht Demokratisch zu sein?
mit der EU erschliesst sich mir immer noch nicht so recht.
Aber auch diese Frage kann ich mit den gleichen Argumenten wie oben diskutieren und wahrscheinlich werden wir uns nicht einig werden. Zumal mit der Größe auch die Schwierigkeiten, gerade einer direkten Demokratie, wachsen. Kannst Du dir vorstellen, was bei einer europaweiten Abstimmung z.B. über Agrarsubventionen an portugiesische oder holländische Bauern rauskommen würde? Aber wenn ich mir z.B. die Wahlbeteiligung an den Europawahlen betrachte, dann wird mir klar, daß solche wichtigen Sachen den Bürgern sonstwo vorbeigehen und sie erst wieder aufwachen und unzufrieden werden, wenn ihnen irgendwas nicht passt.
Wenn es was zu kritisieren gibt (außer den schon oben genannten Mißständen, wie Korruption usw.), dann ist es auf jeden Fall der Umstand, daß Europa fast nur noch unter ökonomischen Kriterien gesehen wird (was kostet mich Europa und was bringt Europa mir für finanzielle Vorteile) und der usprüngliche Gedanke, daß sich Völker, die sich vorher als Kartoffelfresser, Franzmänner, Polaken u.ä. beschimpft und bekämpft haben einander verstehen sollen, nur als rhetorische Phrase auftaucht. Jüngstes Beispiel Merkel, die in populistischer Manier plötzlich entdeckt und verkündet, daß die Südeuropäer eh zu wenig arbeiten, zuviel Urlaub machen und überhaupt zu früh in die Rente gehen.
Aber um auf die Demokratie zurückzukommen, wahrscheinlich sind solche Gebilde wie Staaten und Staatenbündnisse zu groß, um dein demokratisches Ideal auszuüben. Es würde möglicherweise deinen Vostellungen näher kommen, wenn es gar keine Staaten mehr gäbe (damit auch keine wie auch immer gearteten Nationalismen), sondern kleine selbstverwaltete autonome Regionen, die sich locker zusammenschliessen und zusammenarbeiten und so von unten nach oben ein neues vereintes Europa ohne engstirnige nationalen Interessen und Vorurteile zu bilden.
Ok, der Text ist eh schon zu lang, deshalb nur noch
viele Grüße
Marvin