Fachwissen von Journalisten - Emsdetten

Hallo, Kai,

Denkst Du, dass das Angebot von Fachschulungen (in meinem
Beispiel über das Waffenrecht bzw. Waffen im Allgemeinen) bei
Jouralisten auf Interesse stossen würden ?

Ich stelle mir das aus folgenden Gründen schwierig vor:
Ein Journalist, der aktuelle Themen bearbeitet, muss Tag für Tag zu
mindestens 5 neuen Themen recherchieren. An sich sind Fachschulungen
keine schlechte Sache und würden bestimmt auch gern genutzt. Aber
wenn ich es mir konkret vorstelle, z.B. eben eine Fachschulung über
Waffenrecht u.ä. abzuhalten, dann muss irgendein fester Termin
einberaumt werden. Doch wird sich dieser Termin sicher überhaupt
nicht decken mit einem Ereignis, über das sich mit Hilfe dieses
Fachwissens berichten lässt.
Kurz gesagt: Ich kann nicht am Vormittag des Emsdettener Amoklaufs
mal eben schnell eine Fachschulung einberaumen. Und selbst wenn das
mit Zauberei klappen würde, würden alle anderen Sender in der Zeit,
in der meine Kollegen in der Schulung sitzen, über die aktuellen
Ereignisse berichten, und auf dem eigenen Sender herrschte
Funkstille, weil alles noch genauer recherchiert werden muss.
Der andere Weg wäre eine grundsätzliche Schulung zu irgendeinem
Termin. Dann bliebe die Frage, zu welchen Themen alles Schulungen
abgehalten werden müssten. Im Extremfall müssten alle Journalisten
dann jeden Tag rund um die Uhr in Schulungen sitzen und könnten sich
nicht um aktuelle Themen kümmern. Mal ganz abgesehen davon, dass sich
keiner, der eine Waffenrechtsschulung besucht hat, 2 Jahre später, wo
ein Fall wie Emsdetten vorliegt, an jedes Detail aus der Schulung
erinnern kann. Dafür strömen auf den Journalisten einfach jeden Tag
zu viele neue Fakten ein.

Es muss immer so schnell wie möglich gehen, da bleibt manches Detail
leider auf der Strecke. Doch wer das hier bemängelt, der frage sich,
ob es nicht vielleicht daran liegt, dass er selbst doch auch so
schnell wie möglich über alles informiert werden will.

Denn durch ein wenigstens oberflächliches FACHWISSEN könnte
m.E. die Qualität Ihrer Arbeit wesentlich verbessert werden.

Das ist richtig, doch irgendwo hat ein oberflächliches Fachwissen
natürlich Grenzen. Die meisten Medien bemühen sich sehr um
Richtigkeit, aber man kann nicht für jedes Spezialthema einen
Experten im Haus haben, der jedem der 50 Redakteure in ständigem
Kontakt steht.

Grüße,
Judith

* (owt)

Hallo Judith,

Die meisten Medien bemühen sich sehr um
Richtigkeit, aber man kann nicht für jedes Spezialthema einen
Experten im Haus haben, der jedem der 50 Redakteure in
ständigem
Kontakt steht.

ich habe wie schon geschreiben, ab und zu Kontakt mit den Damen und Herren der schreibenden Zunft, nämlich dann, wenn irgendwas in unserem Kreis mit Gefährlichen Stoffen und Gütern passiert ist (Brand, Havarie etc.)
Wir schreiben dann den Leutchen eine Zusammenfassung, in der möglichst alle Sachverhalte in leicht verdaulicher Form untergebracht sind. Da ich selber für einige (populärwissenschaftliche) Zeitschriften schreibe, nehme ich mir mal heraus, behauopten zu können, daß das auch einigermaßen Druckfähig ist was ich da schreibe.
Trotzdem wird an den Sachen herumverschlimmbessert, ohne nachzufragen und das macht mich regelmäßig böse.
Das nicht jeder alles wissen kann ist klar, aber herumkasperln sollte dann doch nicht sein.

Gandalf

Hi, Gandalf,

Trotzdem wird an den Sachen herumverschlimmbessert, ohne
nachzufragen und das macht mich regelmäßig böse.
Das nicht jeder alles wissen kann ist klar, aber herumkasperln
sollte dann doch nicht sein.

Ich kann schon verstehen, dass dich das auf die Palme bringt. Und
klar sollte es eigentlich nicht vorkommen, dass der Sachverhalt
anschließend nicht mehr stimmt.
DASS Texte redigiert werden, ist jedoch normal. Die Medien sind auch
bemüht, alle Texte in dem Stil zu halten, der zu ihrem Medium passt.
(Wie oft habe ich früher hören müssen: „Das klingt nicht nach unserer
Welle!“ Jetzt arbeite ich für weitaus „hochwertigere“ Wellen und höre
eine Beschwerde dieser Art komischerweise nie mehr.)
Ich selbst bin auch hauptsächlich in der Situation, dass ich den
Stationen frei zuarbeite und jedes meiner Manuskripte erst redigieren
lassen muss. So sehr ich mittlerweile weiß, was jeder einzelne
Redakteur gerne lesen will - es wird jedesmal zur Genüge
herumgekrittelt. Das ist schließlich auch die Aufgabe der Redakteure,
würden sie das nicht tun, fühlten sie sich möglicherweise
verzichtbar. Und natürlich gibt es auch einige (ich hoffe, wenige)
Redakteure, die Sachen „verschlimmbessern“, wo es nicht nötig gewesen
wäre. Sich über die aufzuregen, bringt aber nichts, es funktioniert
halt so, und auch Redakteure sind nicht perfekt.

Ich habe im Übrigen die Erfahrung gemacht: je qualitativ besser das
Medium ist, desto mehr lässt es auch einen sogen. „eigenen Stil“
durchgehen, desto verschiedener dürfen die Texte ausschauen, die sie
abdrucken. Dagegen stehen andere Medien, die um Gleichheit aller
Texte bemüht sind, um, kurz gesagt, „den Sound unserer Welle“.
Lustigerweise haben eben diese Medien auch mehr Konsumenten. Ihr
Konzept scheint also durchaus aufzugehen.

Grüße,

Judith

Hi
die bringen selbst Revolver und Pistolen nicht auseinander…
HH

Hallo Judith,

natürlich dürfte es schwer sein, alle Journalisten soweit „allwissend“ zu kriegen, dass sich keine Wissenslücken mehr ergeben, aber was teilweise für ein Müll (tut mir leid, muss ich so deutlich sagen) gedruckt und gesendet wird, geht auf keine Kuhhaut!

Ein gerne von „Journalisten“ genommenes „Opfer“ ist die Chemie; kein Wunder, dass die Bevölkerung Chemie immer als was schlimmes, giftiges und explosives sieht, wenn man von z.B. „hochexplosiver Schwefelsäure“, „stark ätzendem Aceton“ und ähnlichen Hirngespinsten liest.

Das absolute Highlight war natürlich dieses Blatt mit den 4 Buchstaben was leider die Meinung Deutschlands bildet (zumindest zu einem beachtlichen Teil), als der Flüssigsprengstoffanschlag in London verhindert wurde.
Auf die Frage was denn Flüssigsprengstoffe sein könnten, kam dann unter anderem so etwas heraus:

Der Londoner Sprengstoff könnte aus Holzkohle und Gasruß bestanden :haben, das durch Nitrobenzol gelöst und dann in flüssigem Sauerstoff :getränkt wird

Der Suchbegriff „Sauerstoff“ in der Wikipedia hätte die Info geliefert, dass Sauerstoff bei -183°C siedet! Die wahrscheinlichkeit mit einem tiefkalten Gas inklusive entsprechendem Behälter an Bord einer Maschine zu kommen, dürfte geringer sein, als einfach einen „normalen“ Sprengsatz durch die Kontrollen zu bringen. Absolut unpraktikabel, mal abgesehen davon dass sich Holzkohle nicht in Nitrobenzol löst und der Flüssig-Sauerstoffeintrag in eine Nitrobenzol-Lösung lediglich dazu führen dürfte, dass das Nitrobenzol gefriert.
Da hat ganz offensichtlich ein Schreiberling mal tief im Gedächtnis gekramt: „Hm, mit flüssigem Sauerstoff und ner Zigarre kann man schweissen, hab ich mal im Fernsehen gesehen…brauchen wir noch was mit Nitro, aber nicht Nitroglycerin, das kennt man ja…Benzol war doch auch mal in den Schlagzeilen, nehmen wir also Nitrobenzol…und Holzkohle ist ja n Bestandteil von Schwarzpulver, das weiss ich noch aus der Schule…das ist bestimmt n Sprengstoff wenn man das zusammengibt“
Anders kann ich mir so etwas nicht erklären…

Der gleiche Artikel:

konzentrierte, verflüssigte Salpetersäure in luftdichten Gefäßen

Auch hier hätte einmal Google/Wikipedia erklären können, dass a) Salpetersäure grundsätzlich flüssig ist und b) Salpetersäure nicht explosiv ist sondern ätzend!

Ein letztes Beispiel(wir reden immer noch von „Flüssigsprengstoffen“):

Methan-Luft-Gemisch

Um zu wissen dass Methan ein Gas ist, sollte man selbst als größter Drömel kein Lexikon, Internet oder sonstwas brauchen…und selbst wenn, wäre man auch hier sofort fündig geworden

Du siehst, das sind Beispiele die ganz klar auf, schlechte/keine Recherche, reisserische Artikel etc. hinweisen! und das ist das, worüber sich jetzt hier viele Leute (zu Recht) aufregen.
Um mal auf den Emsdetten-Fall zurückzukommen: In den meisten Medien wurde auch berichtet, dass „ResistantX“ sich Infos zum Bombenbau in einem Forum geholt hat und dort mit Gleichgesinnten über Bombenbau diskutiert hat. Was natürlich komplett verschwiegen wird ist, dass er
dort keinerlei Infos bekommen hat, die Threads geschlossen wurden.
Klar, macht sich ja besser für die Auflage/die Website wenn er sich von gleichgesinnten wahnsinnigen Hobbyterroristen auf einem Selbstbau-Bombenleger-Chemie-Forum die letzten Tipps geholt hat, als wenn man schreibt dass er dort nicht fündig wurde, weil sowohl Moderatoren als auch User keinerlei verwertbare Informationen rausgegeben haben…

Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Journalisten die einen guten Job machen, aber gerade bei solchen „Großereignissen“ wird sehr schnell, sehr reißerisch und schlecht recherchiert berichtet (nicht nur von Boulevardblättern sondern auch von „seriösen“ Quellen wie in diesem Fall)

Gruß
George

Hi, George,

sorry, aber es geht für mich nicht wirklich zusammen, dass man die 4-
Buchstaben-Zeitung liest, aber hochwertigen Journalismus erwartet.
Das ist nun wirklich Teil des Allgemeinwissens, dass sich dies in
jenem Fall ausschließt.

Um mal auf den Emsdetten-Fall zurückzukommen: In den meisten
Medien wurde auch berichtet, dass „ResistantX“ sich Infos zum
Bombenbau in einem Forum geholt hat und dort mit
Gleichgesinnten über Bombenbau diskutiert hat. Was natürlich
komplett verschwiegen wird ist, dass er
dort keinerlei Infos bekommen hat, die Threads geschlossen
wurden.

Und woher weiß du das? Nicht aus den Medien? Und wie sicher ist
dieses Wissen wiederum?

Judith

Hi Judith,

sorry, aber es geht für mich nicht wirklich zusammen, dass man
die 4-
Buchstaben-Zeitung liest, aber hochwertigen Journalismus
erwartet.

Ich bin mir nicht sicher, ob Du da nicht irrst. Ich höre immer wieder, dass Journalisten, die bei der Blöd gearbeitet haben, alle Türen offenstehen, da dort Journalismus in Reinkultur geübt wird. Auch wenn ich selbst diese Zeitung mal lese (wenn ich z.B. eine zurückgelassene in der S-Bahn finde), schüttelt’s mich - aber man kann ihr eines nicht absprechen: dass sie nämlich ihr Ziel, Stimmungsmacher eines Großteils der Bevölkerung in Deutschland zu sein, mittels manipulativer Taktiken wie Sprache, Wahl der Überschriften (tägliche Headline-Konferenz) Layout etc. erreicht.

Schlag’ mich ruhig…

Anja

Hi, George,

Hi Judith!

sorry, aber es geht für mich nicht wirklich zusammen, dass man
die 4-
Buchstaben-Zeitung liest, aber hochwertigen Journalismus
erwartet.
Das ist nun wirklich Teil des Allgemeinwissens, dass sich dies
in
jenem Fall ausschließt.

Natürlich ist das die Extremform von reisserischem Journalismus, dass dort alles gerne ein bissel übertrieben wird, ist auch klar, aber es ist nun mal das was „das gemeine Volk“ liest und dadurch mit Unwahrheiten vollgepumpt wird.
Und so wie Anja schon schrieb, ist die Blöd eine gute Referenz wenn es darum geht, auch in anderen Blättern/Medien schreiben zu dürfen (vor allem innerhalb des Springerverlags)

Eine Stilblüte hab ich noch, diesmal aus dem Bereich Sport (und wieder mangelnder Recherche in Form von blindem Abschreiben)
Ein Bekannter von mir spielt in der Regionalliga, hat bei einem Ligaspiel eine Vorlage in Form einer Flanke gegeben, eine anderer Spieler hat den Ball eingeköpft. So wars im Fernsehen klar zu sehen. Interessanterweise tauchte kurz darauf im Netz die erste Meldung auf, er (Bekannter) wäre der Torschütze…ein Tag später wurde das blind vom kicker (den man meiner Meinung nach ruhig als Referenz ansehen kann) übernommen…ist bis jetzt noch so, er hat angeblich das Tor gemacht obwohl einmal Sportschau gucken (die berichten ja jeden Samstag über 2 Spiele) ganz klar gezeigt hätte, dass es nicht so ist.

So entstehen völlige Falschmeldungen (auch wenns in dem Fall jetzt nichts schlimmes ist) die mit einmal recherchieren zu verhindern gewesen wären.

Um mal auf den Emsdetten-Fall zurückzukommen: In den meisten
Medien wurde auch berichtet, dass „ResistantX“ sich Infos zum
Bombenbau in einem Forum geholt hat und dort mit
Gleichgesinnten über Bombenbau diskutiert hat. Was natürlich
komplett verschwiegen wird ist, dass er
dort keinerlei Infos bekommen hat, die Threads geschlossen
wurden.

Und woher weiß du das? Nicht aus den Medien? Und wie sicher
ist
dieses Wissen wiederum?

Dieses Wissen habe ich zum einen aus Google, dieses Forum gehört zu den ganz wenigen Medien, die NICHT sofort alles gelöscht haben, was mit dem User „ResistantX“ (deswegen nutze ich dieses Pseudonym, das ist unter anderem mein Suchbegriff gewesen) zu tun hatte, sondern die Artikel sind immer noch im Forum zu finden, ausserdem findet man bereits gelöschte Themen dank des Google Caches immer noch.
Ist also nichts wo man sich auf Medien verlassen muss, sondern wo man selber einfach mal ein bissel im Netz recherchieren kann, wenn man sich denn mit dem Thema beschäftigen will.(Was ich vielen Journalisten dann absprechen muss…ein Pseudonym eintipseln und zwei Beiträge durchlesen ist für mich keine Recherche!)

Zum anderen bin ich selber auf diesem Forum angemeldet und aktiv und weiss daher ziemlich genau wie sehr darauf geachtet wird, keine Bombenanleitungen, Sprengstoffrezepturen etc. zu posten. Leute die wirklich wissen wollen wie so etwas geht, die werden diese Infos auch bekommen, es gibt schließlich auch frei verkäufliche Bücher zu exakt diesen Themen, vom allgemeinen Halb- und Viertelwissen im Internet auf (meist englischsprachigen) Seiten und Synthesevorschriften in Fachbüchern mal ganz abgesehen.

Gruß
George

Hi, Anja,

Ich höre immer
wieder, dass Journalisten, die bei der Blöd gearbeitet haben,
alle Türen offenstehen, da dort Journalismus in Reinkultur
geübt wird.

Das ist auch richtig.

aber man kann ihr eines nicht absprechen:
dass sie nämlich ihr Ziel, Stimmungsmacher eines Großteils der
Bevölkerung in Deutschland zu sein, mittels manipulativer
Taktiken wie Sprache, Wahl der Überschriften (tägliche
Headline-Konferenz) Layout etc. erreicht.

Eben gerade das bezeichne ich aber nicht als hochwertigen, d.h.
seriösen Journalismus.

Schlag’ mich ruhig…

Nee, nee, keine Sorge. Eine schlagende Zunft sind wir noch nicht…

Grüße,
Judith