Familienname Wieser

Hallo zusammen,

weiss vielleicht einer wo der Name seinen Ursprung hat und vor allem welche Bedeutung er hat?

Von der Region her ordne ich den Namen eher im Süden Deutschlands ein (zumindest laut http://christoph.stoepel.net/geogen/v3/ gibt es dort wohl die größte Namensdichte) allerdings hab ich auch auf einer amerikanischen Seite viele „Wiesers“ gesehen, die im 2. Weltkrieg gefallen sind

Naja vielleicht kann mir ja jemand mehr Infos zum Namen geben

grüße

Hallo Sportsman,

uff, das wird einiges an Tipparbeit. Nicht, weil er so schwer zu deuten wäre, sondern weil er so uneindeutig ist. Getreu Deinem Nicknamen: Auf die Plätze - fertig - los:

Der Familienname „Wieser“ dürfte eine Vermischung aus verschiedenen Ursachen haben. Das bezeichnet man als eine sogenannte „Bedeutungskreuzung“: Ein Name heute - früher verschiedene Ausgangsbegriffe.

Beginnen wir wieder - wie so oft - mit formalen Aspekten.

Der Name scheint eingliedrig zu sein.
Er hat die Namensendung „-er“. Diese kennen wir aus Berufen (Müller, Mayer, Metzger, Schuster etc.), aus Herkunftsbezeichnungen (Münchner, Kölner, Stuttgarter etc.), aus Übernamen (das sind so etwas ähnliches wie Spitznamen; Langer, Kleiner, Schwarzer etc.). Und wie ist es mit der 4. Gruppe, aus der Familiennamen entstanden sind? - Aus den Rufnamen? Gibt es dort „-er“? Aber natürlich: die bekanntesten dürfte der WernER und WaltER sein. Aber darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl alter Rufnamen, welche heute nicht mehr in Gebrauch sind, die aber ebenfalls mit „-er“ endeten.

. :frowning:((( Also, die Endung bringt uns offenbar nicht weiter.
Sonstige formale Auffälligkeiten im Namen? - vielleicht das „-ie-“: gedehnt, aber geschrieben mit zwei Vokalen(i+e). Wenn Du andere Beiträge aufmerksam gelesen hast, so weißt Du, dass ein Doppelvokal (ohne ein Diphthong zu sein) ein Hinweis auf gedehnte Sprechweise ist (Boot, See, liegen, Kevelaer etc.) und dass dies ein Hinweis auf das Alter des Familiennamens sein kann (bzw. fast immer ist).
Sonstiges Formales? „W“: Ein stimmhafter Konsonant. Kommt aber ebenfalls im gesamten deutschen Sprachraum vor - vielleicht mit einer ganz leichten Häufigkeitstendenz zum Norden hin (BeethoVen vs. PfaffenhoFen; Video und Wilhelm klingt im Anlaut gleich). Aber dieser geographische Unterschied ist zu gering, um aussagekräftig zu sein.
Bleibt noch das „s“: Es ist ein Buchstabe, der ohne Konsonantencluster (fast) nur südlich der sogenannten Benrather Linie auftaucht. Die Benrather Linie ist die Sprachgrenze, die den hochdeutschen (= ober- und mitteldeutschen) Sprachraum vom niederdeutschen Bereich abteilt. Sie verläuft etwa von Dünkirchen/Frankreich über Brüssel/Belgien - Maastricht/NL - Düsseldorf-Benrath (die Stelle, an der der Rhein gequert wird) - Hagen/Westfalen - Kassel - Wittenberg - Frankfurt/Oder nach Posen/Polen. Also kann man schon mal ins Auge fassen, dass der Name südlich dieser Linie beheimatet sein dürfte (Wasser im Vgl. zu Waterkant = Wasserkante = Küste im Norden).

Voraussetzung für diese Aussage ist, dass in der alten Sprache der Vokal (gemäß damaliger Gewohnheit) kurz gesprochen wurde: daz -> das; waz -> was, wazzer -> Wasser, wizzan -> wissen etc.

Liegt aber in der alten Sprache ein gedehnter Vokal zu Grunde, so ist heute mit einem Diphthong zu rechnen: wi[:]san -> weisen, aufzeigen (unser „anweisen“, „überweisen“, „hinweisen“ etc.). Aber auch das gilt vorrangig südlich der Benrather Linie. Nördlich davon erhielt sich in vielen Fällen der gedehnte Selbstlaut (in diesem Fall „-ie“).

Somit haben wir zwei Wurzeln:

südlicher: altes, kurzes „i“ - > bleibt in heutiger Sprache „i“, allerdings aufgrund der „Mode“ wird es heute gedehnt gesprochen (und oft auch so geschrieben: „-ie“.
nördlicher: altes, gedehntes „i“ - > wurde im Süden zu einem Diphthong „-ei-“, im Norden wurde altes, gedehntes „i“ behalten. Dabei wurde die heutige Schreibnorm angewandt, weshalb auch in diesem Fall in aller Regel ein „-ie-“ erscheint.
Also wieder nichts :frowning:((( ---- oder doch??? :wink:
Genau damit ist nämlich die Bedeutungskreuzung erklärt, die die Grundlage ist für die beiden unterschiedlichen Hauptnamenserklärungen.

Also kommen wir zum Inhalt:

Unsere Ohren hören das Wort „Wiese“. Unser geistiges Auge sieht eine Grünfläche, je nach dem mit spielenden Kindern oder grasenden Kühen.
aber wir wissen durch die Analyse des Namens „Schäfersküpper“, dass man sich weder auf sein Ohr noch auf sein geistiges Auge verlassen darf. So ist es nämlich auch hier.

Das „w“ können wir bei der Kurzanalyse als konstant (= unverändert gegenüber der Ausgangsform) annehmen.

so erhalten wir „wi[:]s“ bzw. „wi[:]san“ -> weise bzw. weisen in der heutigen Sprache
oder es liegt althochdeutsch „wisa“ (gesprochen wissa) vor -> heutige Sprache: Viehweide, Wiese. Was seinerseits möglicherweise mit den Lautwandelgesetzen irgendwie mit „äsen“ und letztlich mit „essen“ zu tun haben dürfte.

Habe ich „weise“ als Adjektiv als Bedeutung, so ist ein „weiser“ Mann jemand, der viel weiß (Zusammenhang mit dem Wort „wissen“). Im Süddeutschen wird daraus natürlich der Familienname „Weiß“. Im Norden unter Umständen „Wieser“.
Habe ich das Verb „weisen“ (hinweisen, anweisen), so liegt der Verdacht an eine höherrangigere Person, die WEISUNGSrecht hat, nahe. Auch hier könnte im Norden ein „Wieser“ daraus geworden sein (und übrigens auch im alemannischen Süden, z.B. Schweiz: Aawiisig = Anweisung).

Nun haben ja Rufnamen in der Frühzeit auch einen bedeutungstragenden Sinn gehabt. Letztlich sind die Rufnamen ja die Vorläufer der Familiennamen und haben genau so zur Unterscheidung gedient, wie heute die Familiennamen oder seit ca. 30 Jahren die „Kundennummer“. Und dieser bedeutungstragende Sinn der Rufnamen (insbesondere der germanischen Rufnamen) äußert sich in der Verwendung von Wörtern aus der Alltagssprache. Oft handelt es sich um Verben oder Adjektive, aber auch Substantive kommen in Rufnamen vor.
So hatten die Germanen etliche Rufnamen, welche den Begriff „weise“ (= klug, wissend) beinhalteten: Wisbraht (wäre heute ein Wiesbrecht), Wisichart (= Weishart), Wis(i)man (= Wiesmann), Wisamar (= Wissmar; vergleichbar mit unserem „Dietmar“).
Ja, und eben Wisheri, unser heutiger „WIESER“ q.e.d.
Er setzt sich zusammen aus ahd. „wis“ (= weise, klug) bzw. „wisan“ (= an-/weisen, befehlen) und ahd. hari (= Heer, Gruppe) und könnte somit (theoretisch) als „Mitglied der Gruppe der weisen Leute“ übersetzt werden. Aber deutlich gesagt: germanische Rufnamen übersetzt man nicht. Warum? ->
Ein paar kurze Anmerkungen zum germanischen Rufnamenssystem:
Diese Rufnamen waren fast immer zweigliedrig, wobei jedes Namensglied in aller Regel sowohl als Erstglied als auch als Zweitglied auftreten konnte. In der sehr frühen Frühzeit (Etwa bis zur Völkerwanderungszeit) waren die einzelnen Namensglieder sinnhaft aufeinander bezogen (Beispiel: Wolfgang: Der Waffengang = Jagd auf den Wolf). Aber schon früh wurde diese Sinnverknüpfung aufgegeben und man kombinierte die einzelnen Namensteile nach Lust und Laune (= Gefallen). -> Rufnamen sollte man nicht übersetzen wollen.
Beispiele für die Namensgliedkombination:

Hart-Man
Mann-Fred
Fried-Rich
Rich-Hart

Lut-Ger
Ger-Not
Not-Her
Herr-Man
usw.

Bei „Wieser“ liegt also „Weise + Her“ vor. Da das alte „i“ von ahd. „wis“ gedehnt ist, wird im Süden ein „-ei-“-Diphthong draus, im Norden bleibt altes, gedehntes „-i(e)-“ erhalten. Diese Ursache ist also im niederdeutschen Sprachgebiet zu finden.

Lege ich die „wisa“ zugrunde, so ist damit eindeutig eine Örtlichkeit beschrieben, nämlich das grüne Etwas, auf dem Kühe grasen.

Hier benötigen wir dann das „-er“ der heutigen (Familien-)Namensendung. Diese ist nur südlich folgender Linie üblich: Dünkirchen/Frankreich - Brüssel/Belgien - Lüttich/Belgien (ab hier abweichend von der Benrather Linie!) - Koblenz - Gießen - Fulda - Hof - Leipzig - Hoyerswerda - Breslau/Polen
Nur südlich dieser Linie heißen die Leute AdenauER, SchweinsteigER, LeuthäusER-SchnarrenbergER, StraßburgER (ein Biochemiker) etc. Nördlich dieser Linie fehlt das -er: Effenberg, Laufenberg, Cölln, Steinbrück, etc. Somit konnten wir die (südliche) Namensherkunft weiter als nur zur Benrather Linie einschränken.

Aber was heißt jetzt „Örtlichkeitsname“? Das ist eben sicher NICHT GANZ ALLGEMEIN diese grüne Etwas für Kühe, sondern etwas SPEZIELLES: Namen sind IMMER zur Unterscheidung da. Und eine (allgemeine) Wiese kann von der anderen (allgemeinen) Wiese eben NICHT unterschieden werden. Daher muss es entweder ein Flurname sein (dann ist er vermutlich in jüngerer Zeit verkürzt worden, z.B. „Bergwiese“, Sumpfwiese) oder es ist ein kleiner Ort, der „Wies“, „Wiese“ oder „Wiesen“ heißt. Solche Kleinorte gibt es in Süddeutschland zu Hunderten. Und da sind dann die (gekürzten) Flurnamen, die diese Bezeichnung tragen, noch gar nicht mit eingerechnet.
Also, wieder nichts :frowning:((((((((((( — oder doch?? Nicht so schnell aufgeben!
jetzt kommen die Dialekte ins Spiel. die Familiennamen haben die Sprache der Zeit eingefroren, in der die Familiennamen entstanden sind. Und zur damaligen Zeit (spätes Mittelalter, frühe Neuzeit) waren die Dialekte deutlich unterschiedlicher als heute. Weil es gerade so schön passt:
Wie heißt das größte Volksfest/Kirmes der Welt?
Und welchen Namen hat die gleiche Veranstaltung in Stuttgart?

In München ist es die „Wiesen“ = Oktoberfest.
In Stuttgart ist es die „Cannstatter Waasen“.

Was sagt uns das für „Wieser“? - Richtig.

„Wieser“ kann nicht in einer Region entstanden sein (in der Bedeutung des Herkunftsnamens als Wohnstättenbezeichnung), in der man für die „Wiese“ z.B. „Waas“ oder „Waasen“ sagt. Damit scheiden große Teile von Württemberg schon aus. So müsste man nun Dialekt für Dialekt durchgehen und nachsuchen, wie in der jeweiligen Mundart zur „Wiese“ gesagt wird. Dies erspare ich mir aber. Wenn ich statt dessen meine elektronischen Landkarten befrage, nach Orts- und Flurnamen, welche die Buchstabenfolge „-wies-“ beinhalten, so ist eine mehr als auffällige Ansammlung zu sehen im deutschen Alpenvorland und in Ostbayern (Linie etwa Rosenheim bis hoch nach Regensburg und dann zur tschechischen Grenze rüber). Noch viel massiver wird es in Österreich. Dort wimmelt es regelrecht von entsprechenden Stellen.

Neben dem Oktoberfest ist ein sehr bekanntes Beispiel die „Wieskirche“ im Voralpenland. Aber auch Orte wie Bischofswiesen gehören dazu.

Es gibt allein in Bayern etwa 20 Orte, die „Wiesen“ heißen, etwa 40 Orte, die „Wies“ heißen. Die gleiche Menge existiert etwa in Österreich, während es in anderen süddeutschen Regionen eher spärliche Anzahlen sind.

Somit haben wie die Bedeutung und die Entstehungsregion erarbeitet.

Räumlich sind sowohl Familiennamen aus Rufnamen als auch aus Örtlichkeitsnamen (Wohnstättennamen für Einheimische) überwiegend auf dem Land entstanden.

Der Familienname „Wieser“ ist sowohl mit dem Ursprung aus einem alten Rufnamen als auch mit dem Ursprung als Wohnstättenname eingliedrig.

Als Richtlinie kann die 100-km-Regel gelten: Dort wo die Familie um 1900 gelebt hat, von dort ist der Name in aller Regel nicht weiter entfernt entstanden als 100 km (Luftlinie).

Familiennamen, welche in südlicheren Gegenden entstanden sind, sind älter als solche, welche weiter nördlich beheimatet sind. Ländliche Familiennamen sind jünger als städtische, eingliedrige Familiennamen sind älter als mehrgliedrige, östliche sind jünger als westliche. Alles in allem ergibt sich damit für „Wieser“
mit dem Ursprung als Rufname eine erstmalige Verwendung von etwa 1550 bis 1650,
mit dem Ursprung als Herkunftsname nach der Wohnstätte für einen Einheimischen eine erstmalige Verwendung (als Familienname) von ca. 1350 bis 1450.

Zusammenfassung:
Es sind mehrere Ursachen gleich wahrscheinlich (Bedeutungskreuzung):
Er kann aus dem germanischen Rufnamen Wisheri entstanden sein oder aus einem Herkunftsnamen nach einer Wohnstätte für einen Einheimischen (in aller Regel nach einem kleinen Ort Wies oder Wiesen; evtl. einem Ort, welcher mit diesem Ortsnamensteil endet).
Formales: altes, gedehntes „i“ konserviert sich im germanischen Rufnamen, altes, kurzes „i“ wird im Süden aufgrund der Neuhochdeutschen Vokaldehnung des 14. Jh im Süden gedehnt und bringt so den Wohnstättennamen hervor.
geographische Herkunft: mit der Ursache im Rufnamen im niederdeutschen Sprachraum, mit der Ursache im Herkunftsnamen in Südbayern/Österreich
räumlicher Ursprung: ländlich
Alter: der Herkunftsname ca. 1350 bis 1450 erstmals als Familienname verwendet, der Rufname erstmals ca. 1550 bis 1650 erstmals als Familienname verwendet.
Sonstiges, Besonderheiten: 100-km-Regel beachten, Ursache für die entsprechenden Ortsnamen „Wies“, „Wiesen“ sind Örtlichkeiten, welche letztlich auf die grüne „Wiese“ (= Viehweide) zurückgehen. Möglicherweise hängt dieses Wort mit „äsen“ und „essen“ zusammen. Die Ursache des germanischen Rufnamens ist in „weise“ (bzw. „weisen“) + Heer, Gruppe zu suchen.

So, das war zumindest das Wichtigste. Du siehst, auch ein einfach klingender Name kann ganz schön umfangreich sein.

Von der Region her ordne ich den Namen eher im Süden
Deutschlands ein (zumindest laut
http://christoph.stoepel.net/geogen/v3/ gibt es dort wohl die
größte Namensdichte)

stimmt

allerdings hab ich auch auf einer
amerikanischen Seite viele „Wiesers“ gesehen, die im 2.
Weltkrieg gefallen sind

Dir ist hoffentlich bekannt, dass der zweite Weltkrieg von 1939 bis 1945 war? Dazwischen, bis zum Zeitpunkt der Familiennamensentstehung liegen Jahrhunderte!

Einen schönen Abend wünscht

Alexander

Vielen Dank für die ausführliche Antwort Alexander.
einiges davon wusste ich noch nicht
ich hab auch gedacht es hat mit einer örtlichkeit in bayer bzw im süden deutschlands zu tun, einen ort der so ähnlich klingt etc

mal schauen wie weit ich meine wurzeln so zurück verfolgen kann :smiley:

Hallo Sportsman,

Deine Großschreib-Taste ist offenbar defekt.

Danke, dass Du sie reparieren lässt.

Einen schönen Abend wünscht

Alexander