Nicht verpflichtend
Hi
Fatwas können so irrsinnig sein, weil sie nicht bindend sind.
Dazu muss ich mal kurz ein Wenig in Sachen islamisches Recht ausholen:
Es gibt folgende Quellen für die islamische Rechtssprechung:
Primär: Koran und Sunna (mündliche Übertragung, Leben des Propheten)
In diesen Quellen gibt es widersprüchliche Aussagen die ausgelegt in definitiv (hasim) und präsumtiv (zanni) unterschieden werden, außerdem gibt es allgemeine Bestimmungen und spezielle Bestimmungen (z.B. Erbrecht) sowie Verordnungen zur Mensch-Gott ('ibadat) und Mensch-Mensch (mu’amalat) Beziehung
Dann gibt es die Sekundärquellen:
* Ijma (Konsens) --> Ein Rechtsbeschluss einer geschlossenen Gesellschaft z.B. einer Rechtsschule, die Beteiligten müssen qualifiziertsein und ihre Zustimmung zu einer Sache dokumentierbar niederlegen.
*Figh (Akademie für islamisches Recht, Rechtswissenschaft), ab den 1980ern, da die Globalisierung dafür sorgte, dass die Ijma Legitimationsprobleme bekamen.
Der Fiqh befindet über Verbot oder Erlaubnis neuer Erfindungen/Entdeckungen u.ä.
Fern gibts auch noch die Qiyás (Analogieschluss), den 'aql (gesunder Menschenverstand) und die vorislamischen Traditionen (ádát) als Einfluss, bla.
Jedenfalls gab es keine Rechtsreformen, ähnlich wie in den USA wird das Recht immer nur erweitert und Ziel des Rechts ist es grundsätzlich das Gemeinwohl und die schützenswerten Interessen (malasha) zu bewahren.
Ferner gab es in muslimischen Staaten häufig drei Parallele Rechtsformen, nämlich das islamische Recht, das Minderheiten Recht und das Staatsrecht (früher bzw. heute in Saudi amr maliki (Königsbefehl), heute häufig westliches (Zivil)Recht)
So.
Es entstanden nun auf noch nicht völlig geklärtem Wege die verschiedenen Rechtsschulen (Malikiten, Hanafiten, Hanbaliten, Schafiiten) sowie später vereinzelte Rechtsgelehrte mit Gefolge die aber nicht immer gut legitimiert sind.
Nun zu den Fatwas:
Der Ursprung einer Fatwa liegt im muslimisch-gläubigen Laien.
Dieser Laie hat nämlich eine Frage bezüglich X.
Antworten auf Frage X darf nur ein Rechtsgelehrter geben. Ein Rechtsgelehrter gilt erst als solcher wenn er oft Jahrzehnte (plural!) entsprechend studiert hat. Diese Antwort ist eine fatwa.
Die Fatwa ist kein Urteil, sondern eine Rechtsmeinung. Als solche ist sie nicht bindend. Jeder Muslim kann für sich annehmen, ob er einer solchen Fatwa folgt. Die Beschlüsse des Fiqh genießen da wesentlich mehr Autorität als die irgendwelcher außenstehenden Rechtsgelehrten, aber auch diese werden nicht immer und schon gar nicht überall angenommen, da der Islam und auch dessen Recht extrem regional bestimmt ist (v.a wegen der vorislamischen Traditionen).
ANDERS ist das bei den Schiiten:
Hier sind die Aussagen der Imâme Heilsbringend, da der letzte Imam aber in der Verborgenheit lebt (google: Mahdi) sind die Rechtsgelehrten dessen Vertreter für die Gläubigen. Somit sind ihre Worte wesentlich mehr legitimiert als bei den Sunniten.
Jeder gläubige Schiite darf einen (!) Rechtsgelehrten auswählen (!) dem er dann folgt. Er MUSS diesem dann aber auch kosnequent für den Rest dessen Lebens folgen.
Die von dir benannten Fatwas sind dabei unterschiedlicher Qualität, die über den „Ehebruch“ basiert auf einer ad absurdum geführten Vorschrift des Koran, irgnoriert aber einen der wichtigsten Grundsätze des islamischen Rechts: Gott macht es den Gläubigen einfach. Er will sie nicht quälen oder in die irre führen (denn Allah ist groß und barmherzig etc.) eine Fatwa wie die zitierte aus Kairo hat dies nicht bedacht.
Die Fatwa über die Brustmilch unter Arbeitskollegen dagegen basiert auf der Logik von Qiyas, denn es geht eigentlich um eine alte Bestimmung des Familienrechts, dass die Beschränkung einer Frau gegenüber eines Adoptivsohns (der ja nicht Blutsverwand ist) aufhebt (was aus praktischen Gründen des Zusammenlebens ja vorteilhaft wäre) wenn dieser ihre Muttermilch bekommen hat (später symbolisch) also sprich, wenn ein mütterliches Verhältnis besteht (und so ein sexuelles ausgeschlossen werden kann). Diese Adoption funktioniert auch im Erwachsenenalter.
Gegen die Fatwa spricht eigentlich nichts, abgesehen davon, dass sie biologisch nicht praktikabel ist und gegen die allgemeine Ethik sowohl im muslimischen wie im westlichen Raum verstößt, weshalb bisher auch noch nicht von großen Brustmelkaktionen in arabischen Büros zu hören war.
lg
Kate