Fehleinschätzungen von Eltern behinderter Kinder

Hallo, teilt jemand meine Ansicht, daß Eltern behinderter Kinder manchmal überzeugt von Krankheitsbildern, bzw. Symptomen ihrer Kinder sind, die nicht existent sind? Ein fiktives Beispiel: Eine geistig behinderte erwachsene Frau soll auf Wunsch ihrer Eltern in eine Einrichtung für Autisten untergebracht werden, obwohl sowohl Ärzte, als auch Mitareiter der Werkstatt für Behinderte und anderer Instanzen einhellig der Meinung sind, daß kein Autismus vorliegt. Die Eltern suchen letztlich aber so lange, bis sie einen Arzt gefunden haben, der ihrer Tochter Autismus bescheinigt. Dabei geht es den Eltern nicht um die Unterbringung in dem speziellen Heim, sondern nur um die Bestätigung ihrer eigenen Annahme, daß ihre Tochter autistisch ist.
Ich möchte anmerken, daß es mir nicht darum geht, Eltern behinderter Kinder zu kritisieren, sondern ich möchte nach Gründen suchen, warum in Einzelfällen aufgrund von elterlicher Fehleinschätzung beispielsweise jahrelang unnötige Medikamente verordnet und verabreicht werden.
-Meine Fragen dazu lauten: gibt es Studien oder Artikel, die sich mit dem Phänomen schon auseinandergesetzt haben?
-Gibt es eine Bezeichnung für das beschriebene Verhalten von Eltern?
Danke und viele Grüsse

Hi,
ich weiß nicht, ob es dazu Studien gibt oder ob das bei Eltern behinderter Kinder öfter vorkommt.
Ich kenne das Verhalten von Eltern von „ADHS-Kindern“. Dort ist es aber, meiner Erfahrung nach, eher ein vertuschen wollen von eigenen Fehlern.
So weiß ich viele Beispiele wie Eltern die eigenen Erziehungsfehler, die zu den Problemen des Kindes führen hinunterspielen und leugnen bis sie jemanden finden, der ADHS diagnostiziert was nun der Sündenbock für alles ist.
So weiß ich erst kürzlich einen Fall, in dem die Kinder in total verwahrlosten Verhältnissen aufwachsen, Berge von Müll und Wäsche, von der keiner mehr weiß ob sie schmutzig oder sauber ist, Essensreste die nur von dem Topf notdürftig entfernt werden, der gerade gebraucht wird usw. Die Kinder natürlich auch ohne einen Platz für ihre Sachen, an Schreibtisch oder so nicht zu denken.
Selbstverständlich haben sie ihre Hausaufgaben nicht ordentlich erledigt, wie denn. Und das in dem Chaos kein Kleber oder Stift zu finden ist, ist auch klar.
Aber sowohl Jugendamt als auch Schule haben sofort Ruhe gegeben als der alleinerziehende Vater es geschafft hat bei beiden Kindern ADHS diagnostizieren zu lassen. Nun bekommen sie Medikamente und an der häuslichen Lage hat sich nichts geändert.
Ich kann mir vorstellen, dass das eine allgemeine Problematik nicht nur bei Eltern behinderter Kinder ist. Man muss sich nicht selbst ändern oder mit dem tatsächlichen Problem, dass dahinter steht auseinandersetzen und das Kind hat einen Namen, mit dem man leben kann.

Ja, das klingt auf jeden Fall interessant, aber es ist doch etwas anderes, als das, was ich meine. Bei Deinem geschilderten Fall liegt ganz klar eine Schuld bei den Eltern. Ich meine aber, Eltern behinderter Kinder, die sich durchaus bemühen, das Beste für ihr Kind zu tun. Da haben sie nun ein behindertes Kind und können dies auch akzeptieren, aber dann wird beispielsweise beim EEG die Disposition zu epileptischen Anfällen festgestellt. Aufgrund dieser Feststellung versteifen sich die Eltern dann darauf, daß das Kind Epileptiker ist und in der Anamnese beim Neurologen wird dies auch so dargestellt, daß dem Arzt nichts anderes übrigbleibt, als eine hohe Dosierung antiepileptischer Medikamente zu verschreiben, was dann letztlich Jahrzehntelang geschieht, ohne, dass jemals ein epileptischer Vorfall stattgefunden hat.
Es ist klar, daß es Eltern behinderter Kinder gibt, die diesen zuwenig Freiraum einräumen, je länger die Kinder bei ihren Eltern im Haus wohnen, desto unselbständiger sind sie häufig. Meine Erfahrung ist, daß Erwachsene, leicht geistig behinderte Menschen, die mit 40 Jahren und älter von den Eltern in eine Wohngruppe ziehen, sich beispielsweise nicht einmal selbst ein Brot schmieren können, obwohl sie körperlich und geistig vielmehr als diese Fähigkeit besitzen. Dies lässt sich meiner Ansicht nach auch erklären, aber die Sache mit dem „falschen Verschlimmern“ des Behinderungsstatus des eigenen Kindes versteh ich nicht. Vielleicht kann mir noch jemand dazu etwas schreiben.

Mag sein das ich es nicht ganz getroffen habe, aber meiner Erfahrung nach gibt es ein starkes Bedürfnis, dem Kind einen Namen zu geben. Ich habe oft festgestellt das Eltern lieber eine unter Umständen stärkere Behinderung in Kauf nehmen als weitere Untersuchungen auf sich zu nehmen.
Wenn die Behinderung einen Namen hat führt das zu einer Erleichterung, man hat das Gefühl nun, da man weiß was es ist, kann man auch gezielt handeln. Die lange Untersuchung und das hin und her bedeutet für die Eltern oft eine lange Wartezeit, führt zu Unsicherheit und dem Gefühl der Hilflosigkeit.
Wenn die Krankheit benannt ist ist diese Unsicherheit vorbei und dafür nehmen viele eine größere Behinderung in Kauf als es vielleicht tatsächlich ist.
Meinst du nicht, dass das hier der Fall sein kann?

Ja, ich glaube, Du hast Recht. Ich könnte mir vorstellen, daß Du damit den Punkt getroffen hast. Das hilft auf jeden Fall, das Verhalten der Eltern zu verstehen. Jetzt wäre es noch schön, dem Kind einen Namen zu geben, um ggfs. Eltern auf ihr mögiches Fehleinschätzen aufmerksam machen zu können, ohne, daß sie sich dabei zu sehr überrumpelt fühlen. Danke auf jeden Fall schonmal.

Guten Tag,

in den beschriebenen Fällen habe ich den Verdacht, dass die Eltern ein Attest haben wollen - zu Recht oder nicht - um sich und das Kind abzusichern. Nach dem Motto: Kein Fünfer in Deutsch wenn Legastenie-Attest. Kein Schulverweis wegen Prügeleien oder Sonstigem wenn „Zappelphillip“, usw.
Wir leben in einem Land, in dem das Papier einen extrem hohen Stellenwert hat. Wer ein Gutachten hat, der hat Recht.

Liebe Grüße
Hagzussa

Moin!

-Meine Fragen dazu lauten: gibt es Studien oder Artikel, die
sich mit dem Phänomen schon auseinandergesetzt haben?
-Gibt es eine Bezeichnung für das beschriebene Verhalten von
Eltern?

Münchhausen Stellvertreter Syndrom
http://rechtsmedizin.uni-leipzig.de/home/content/wis…

Trifft aber auf das von dir geschilderte Beispiel wohl weniger zu.

Mit Grüßen
Simone

Selektive Wahrnehmung?

Hallo, teilt jemand meine Ansicht, daß Eltern behinderter Kinder manchmal überzeugt von Krankheitsbildern, bzw. Symptomen ihrer Kinder sind, die nicht existent sind?

Das geht doch generell einher mit der Überzeugung der Eltern, ihre Kinder besser zu kennen als jeder Andere.
Auch wenn das Kind schon 18 Musiklehrer in die Klapse gebracht hat, glauben die Eltern, dass Junior mal der 2. Mozart wird…

Im Endeffekt ist es nichts weiter als selektive Wahrnehmung.

Wenn man sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dass dies oder jenes „wahr ist“, dann wird das auch durchgezogen: alle Indizien, die darauf hinweisen werden akribisch nachgehalten, sämtliche entgegengesetzten Indizien werden ignoriert oder sogar bewußt diskontiert.
Ob es sich dabei um eine angebliche Krankheit oder um ein angebliches Talent handelt, tut hierbei m.E.n. weniger zur Sache.
Gruß,
Michael

Hallo,
das Problem das viele Eltern behinderter Kinder haben ist einfach das je nach behinderung des Kindes nicht immer geeignete Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

Gerade im Bereich Autismus haben Betroffene oft einen langen Leidensweg zu bewältigen weil nicht alle Ärzte in dem Bereich Erfahrung haben.

So halten sich fehleinschätzungen bei Autismus zum teil recht hartnäckig.
z.B. Kind hält Blickkontakt also kann es kein Autist sein

Das gerade Autisten sich mit steigendem Lebensalter immer besser anpassen „können“ (nicht zwingend!!!) und Blickkontakt z.B. eines der Dinge ist die leichter betroffene durchaus erlernen können wird hierbei völlig außer acht gelassen.

Es gibt sprechende, normal intelligente Erwachsene Autisten die einfach nur als Eigenbrötlerisch oder Schrullig gelten und nicht als Autisten diagnostiziert oder wahrgenommen werden.

Rainman und ähnliche Filme haben Autisten im allgemeinen einen Bärendienst erwiesen.

Um beurteilen zu können ob das in Ihrem Fall betreffende Mädchen tatsächlich Autistisch ist oder nicht müßte man es schon in einem Autismuszentrum diagnostiziert haben.

Gerade bei den gleitenden Übergängen der Autismusspektrumsstörung können Laien oder Fachfremde Mediziner kaum präzise Diagnosen stellen.

(Autismusspektrumsstörung ist die Klassifizierung nach neuesten Wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Unterscheidung zwischen Kanner-, Asperger- und Atypischem Autismus wird spätestens mit dem ICD 11 als überholt gelten)

Wie man Eltern überzeugen kann die ein schwerbehindertes Kind haben das das Kind nicht die Behinderung hat die für sie am meisten Sinn ergibt - gar nicht.
Aber jede Einrichtung wird sich das Kind und die Diagnosen anschauen.
Wenn die Diagnose Autismus nicht zutrifft dann wird es nicht in der Einrichtung verbleiben können bzw. erst gar nicht aufgenommen werden.

Gruß