Feindbild "Herkunft aus Ulm"?

Hallo zusammen;

in einem Bericht aus dem Jahr 1900 aus dem Dorf Grabenstetten auf der Schwäbischen Alb (nahe Bad Urach, Kreis Reutlingen), findet sich eine Auflistung von lokalen Sprichwörtern und Redensarten, darunter die folgenden:

" Uf en, er ischther von Ulm!"
= „[Stürzt euch] Auf ihn, er ist aus Ulm!“

Im Weiteren ist dann noch der Spruch "Der wird adankt [= abgedankt] wia der Ulmer Kürassier" aufgeführt.

Ulm liegt etwa 50 Kilometer westsüdwestlich von Grabenstetten an der Donau, dem Grenzfluss zu Bayern.

Gibt es für die oben zitierten Sprüche einen möglichen historischen Hintergrund? Irgendwelche Nickeligkeiten / Zwistigkeiten zwischen Schwaben und Bayern?
(Vermutlich war ich gerade Kreide holen, als wir das dereinst im Geschichtsunterricht durchgenommen haben. :unamused:)

Danke im Voraus für Eure Mühe!

Es grüßt
Renardo

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Den Ursprung würde ich eher im Bereich der Kirchweihe und Wochenend-Tanzvergnügen auf dem Dorf suchen.
Das waren noch die Zeiten, in denen eine zünftige Rauferei zum Gelingen solcher Veranstaltungen gehörte.
Und auf dem Land waren Fremde (das waren schon die aus dem Nachbardorf) in der Nähe der „eigenen“ Mädchen ungern gesehen. Da genügte die geringste Kleinigkeit als Zündfunke.

Ulm war bis 1918 (evtl. sogar bis 1945) Reichsfestung, also Truppenstandort.
Soviel ich weiß, gab es die offizielle Bezeichnung Kürassier bis 1918.
Vermutlich ergibt sich die Redensart im Hinblick auf die Verabschiedung/Entlassung aus dem Dienst.

Aber vielleicht gibt es ja auch noch andere Meinungen oder sogar gesichertes Wissen.

Hallo Cook;

Danke für Deine Antwort!

Das stimmt schon, aber dafür war Ulm m. E. viel zu weit entfernt!
Grabenstetten hatte Marktverkehr mit dem etwa 8 km entfernten Urach (heute Bad Urach), dem etwa 20 km entfernten Nürtingen und dem ebenfalls etwa 20 km entfernten Kirchheim unter Teck.
Träfe Deine Vermutung zu, dann hätte man sich wohl eher mit den Urachern gekloppt als mit den 50 km entfernten Ulmern, mit denen man wohl eher selten in Berührung kam.
50 Kilometer, das war im 19. Jahrhundert eine recht weite Strecke!

Es grüßt
Renardo

Dann wäre da noch die kleinteilige politisch/religiöse Zerstückelung. Ulm war als Freie Reichstadt, vermutlich evangelisch. Wohin gehörte Grabstetten?
Und da sollte man durchaus bis nach 1648 zurückschauen, solche Redensarten halten sich lange.

Hallo,

Ulm hatte als freie Reichsstadt immer ein relativ großes Territorium. Bei der Inbesitznahme durch Bayern 1802/3 betrug es immerhin 1260 qkm (nach Köbel, „Historisches Lexikon der deutschen Länder“, München 1988).
Südwestlich von Ulm gehörte dazu auch das obere Filstal rund um Geislingen, Süßen und Kuchen.
Da sich die württembergischen Herzöge gerne mit den relativ mächtigen schwäbischen freien Reichsstädten - insbesondere Esslingen, Ulm, Reutlingen, Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Hall etc. - befehdeten und Grabenstetten als Teil der Herrschaft Neuffen bereits ca. 1301 zu Württemberg kam, könnte es sehr wohl sein, daß hier alte Konflikte im Gedächtnis haften geblieben sind.
Auch der Begriff des „Kürassiers“ ist relativ alt und entwickelte sich als militärische Bezeichnung ab ca. 1500 für gepanzerte schwere Reiterei.
Da Ulm nicht nur eine flächenmäßig große, sondern auch idR sehr wohlhabende Reichsstadt war, war das Ulmer Kontingent bei den Auseinandersetzungen mit Württemberg wohl auch relativ groß und gut ausgestattet. „Ulmer Kürassier“ könnte sich daher auch als Synonym für reichsstädtische Truppen insgesamt gehalten haben.

Grundsätzlich gibt es in Württemberg einiges an Sprüchen und Bezeichnungen, die ihre Wurzel in den alten Auseinandersetzungen bzw. gegensätzen zwischen Württemberg und den Reichsstädten haben.

&tschüß
Wolfgang

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Hallo Wolfgang,

Danke für Deine Antwort!
Sehr interessant!

Grüße
Renardo

Hallo Wolfgang,

danke Dir für die schöne Erläuterung - bloß

täte ich durch Nordwestlich ersetzen. Südwestlich von Ulm liegen u.a. die eher kleinen Gebiete von Vorderösterreich, die seit dem 14. Jahrhundert bis 1806 tatsächlich zum Habsburgischen gehörten (und nicht in dem Flickenteppich des gestiefelten Katers, der do doba herrschte, zu irgendwelchen Partikularherrschaften, dem Deutschen Orden, irgendwelchen reichsunmittelbaren Klöstern usw.).

Schöne Grüße

MM

Asche auf mein Haupt

:woozy_face:

Jedenfalls war es bei Fehden oder sonstigen kriegerischen Auseinandersetzungen vom Filstal nach Grabenstetten eine erheblich kürzere Wegstrecke - durchaus im Rahmen eines mehrtägigen Reit-„Ausflugs“ zum damals üblichen gepflegten Plündern und Brandschatzen.

&Tschüß
Wolfgang

Der Spruch „Der wird adankt [abgedankt] wia der Ulmer Kürassier“ spiegelt wohl ebenfalls eine zurückliegende negative Erfahrung (eine als unzureichende empfundene Abfindung) wider.

Auf welchem Weg hat eine Freie Reichsstadt wie Ulm denn dereinst ihre Soldaten rekrutiert? - Über Werber im Umland?
Könnte auf diese Weise ein junger Mann aus einem 50 Kilometer entfernten Dorf auf der Alb in den militärischen Dienst der Stadt Ulm getreten sein? - Vielleicht sogar tatsächlich als Kavallerist?

Es grüßt
Renardo

Ulm war dem Territorium nach eine der bedeutendsten, wenn nicht die bedeutendste unter den Freien Reichsstädten und besaß neben Geislingen, Albeck und Leipheim noch über 50 Dörfer, konnte also sein Militär ganz mit „eigenen“ Leuten aufstellen, ohne für Schweizer oder andere Berufssoldaten zahlen zu müssen.

Er bezieht sich möglicherweise auf das traurige Ende von Ulms Bedeutung mit dem Schmalkaldischen Krieg 1546, der für Ulm mit gewaltigen Kriegskosten und nach der Niederlage an den katholischen Kaiser zu zahlender Kriegsentschädigung verbunden war - die noch nicht lange vorher recht reiche Stadt war so gut wie pleite und konnte den Truppen, die sie dem Schmalkaldischen Bund zur Verfügung gestellt hatte, wohl kein Handgeld zur Demobilisierung mehr bezahlen.

Schöne Grüße

MM

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Vielen Dank!
und schöne Grüße

Renardo