Fichte - Rede an die dt. Nation ?

Die Reden an die deutsche Nation von Johann Gottlieb Fichte wurden in den Jahren 1807-1808 gehalten und 1808 publiziert. Es kommentiert http://dasathenaeum.wordpress.com/2013/06/03/die-red…

Wer hat dem eine entsprechende oder
ggf. andere Interpretation dieser Fichte-Rede zu bieten?

Doppelmoral?
Wie passt denn Fichtes Philosophie, in der das „Ich“ als zentraler Denkansatz seines Systems dient zur Kritik seiner angeblich nationalen „Selbstsucht“? Ist das nicht Doppelmoral?
Punk-Evchen

Keine Doppelmoral
Hi Punk-Evchen.

Wie passt denn Fichtes Philosophie, in der das „Ich“ als
zentraler Denkansatz seines Systems dient zur Kritik seiner
angeblich nationalen „Selbstsucht“? Ist das nicht Doppelmoral?

Nein, warum sollte es? Für Fichte ist das „Ich“ (das Subjektive) ein rein formale Kategorie, noch mehr: Subjektivität ist die absolute Basis allen Seins. Die Inhalte der Welt entspringen den Setzungen dieses quasi kosmischen Prinzips. Das ist etwas ganz anderes als die Selbstbezogenheit eines empirischen Ichs, welches zu unterscheiden ist vom absoluten Ich, welches namen- und eigenschaftslos ist. Schon Kant differenziert zwischen einem transzendentalen Ich und einem empirischen Ich. Das transzendentale funktioniert rein unbewusst, das empirische reflektiert auf seine empirischen Inhalte (Namen, Passionen, Gewohnheiten, Erinnerungen usw.). Der Psychoanalytiker Lacan, ein Kant-Fan, übertrug diese Unterscheidung auf seine Subjekt-Theorie: Das wahre Subjekt ist unbewusst („je“), das empirische, also bewusste Subjekt („moi“) ist imaginär (es konstruiert sich via Identifikation mit Namen, Körper, Passionen, Gewohnheit, Erinnerungen usw.), es objektiviert sich also.

Chan

Lacan vs. Fichte?
Deshalb bietet Lacan (für meine Sicht) ein besseres Selbstmodell als Fichte. Es ging hier in diesem Beitrag doch um die Kritik der „Selbstsucht“, die Fichte der „deutschen Nation“ vorwirft. Dieselbe Moralisierung würde Lacan, soviel ich von ihm kenne, nicht tun, wenn es, wie wir wissen, trotz allem Idealismus, jedem Menschen zuerst mal um sein nacktes Überleben geht. Jeder braucht Geld, um zu überleben. Deshalb muss man dafür arbeiten. Das Unbewusste wäre ein Ideal darüber hinaus, das „absolutes Ich“ ist also idealistisch. Das kann man aber nicht als Ersatz des „Ich“, wenn man kein Geld hat und vor Hunger krepieren muss, durch Fichtes General-Moral für die „deutsche Nation“ weg-idealisieren. Oder meinte Fichte mit seiner Kritik der „Selbstsucht“ den Wahn der Deutschen, die in ihrem übersteigerten GROSSMACHTGEHABE begeistert waren und lauthals schrien: „Hurra! Kaiser befiehl, wir folgen dir in den Krieg, um für Gott und Vaterland zu sterben!“?

In diesem Falle würde ich Fichtes Moralisierung der „Selbstsucht“ natürlich vollkommen zustimmen!
Punk-Evchen