Und jahrelang hab ich mich auch vor dem Film „Der Vorleser“ gedrückt. Aber heute lief „nix besseres“ und so hab ich jetzt sicher ab der Mitte Rotz und Wasser geheult und war schwer beeindruckt … Obwohl Tränendrüse drücken ist ja einfach …
Als Michael Berg nach New York reist, um das Geld zu übergeben, in diesem Gespräch mit der Überlebenden, da kommt es mir so vor, als ob Hanna Schmitz Michael Berg etwas angetan hat, etwas, das man im Film nicht sieht (oder nur ich nicht mitbekommen habe).
Oder ist die sexuelle Beziehung zwischen den beiden per se als Missbrauch anzusehen?
Hat Hanna Schmitz dann also auch die Kinder im Lager missbraucht?
Ja, natürlich, schon wegen des Altersunterschiedes.
Und es kommt hinzu, dass er ja nichts weiß über sie, und ihre Launenhaftigkeit deshalb nicht verstehen kann.
Und dann ist sie eines Tages plötzlich weg, ohne dass er wüsste, wieso.
Sie hat sich von ihnen vorlesen lassen, bevor die dann ins Gas gingen. - Na ja, ob die Kinder in den Lagern missbraucht wurden, diese Frage stellt sich doch eigentlich gar nicht, natürlich wurden die alle missbraucht. - Allerdings geht es hier wohl nicht um sexuellen Missbrauch. - Hanna Schmitz war ja auch im Frauenlager, da gab es ja nur Frauen.
Das Problem ist, dass ich nicht genau weiß, ob ich den Film mal gesehen habe. Wenn überhaupt, dann im Fernsehen (d. h. nicht im Kino). Ich glaube, ich fand ihn nicht so gut und habe zum Schluss nicht mehr zugeguckt.
Ich hatte aber das Buch gelesen, und das fand ich sehr gut, und da wird auch alles verständlich.
Im Film hat die Beziehung zu Hanna den jungen Mann tief berührt und geprägt.
Eine erste Liebe, auch weil sie in dem Fall den Konventionen so sehr widersprach, vergessen manche Männer nie.
Was sie ihm „angetan“ hat war, dass er eine KZ-Aufseherin liebte, und ihn damit sein Leben lang in einen unvereinbaren und nicht integrierbaren emotionalen Konflikt setzte.
Dass die Aussage der Überlebenden eine unumstößliche Wahrheit ausdrücken soll, würde ich so nicht auffassen, auch sie hat ihren subjektiven Blick auf die Hanna Schmitz.
Der Film spielt ja auch ansonsten mit Falschaussagen, Schutzbehauptungen und dem Versuch, die politisch korrekte Position aufzuweichen.
Wie realistisch die überaus naiv-pflichtbewusste Rolle der Hanna Schmitz ist, sei dahingestellt.
Nach meinem Empfinden ist das zentrale Thema des Films also, welche Positionen lassen sich vereinbaren, und welche nicht.
So stellt Berg die Frage an Hanna Schmitz, was sie gelernt habe.
Sie antwortet, sie habe lesen gelernt.
Die Überlebende des Kirchenbrandes wird von Leuten gefragt, was sie im Lager gelernt habe.
Sie antwortet, das Lager könne einem überhaupt nichts geben.
So gibt es in der Beteiligung an einer ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzung nichts zu lernen, egal in welcher Position. Denn niemand kann sich der totalitären seelischen Perversion stellen, es gibt in den Köpfen keinen integrierbaren Umgang damit.
Versöhnlich am Ende herüber gebracht, die kleine Geste der Identifikation zwischen Schmitz und der Überlebenden des Holocaust, über die Teedose.
Leider gibt es in der Realität solche Gesten nicht, wenn man sieht, wie die aktuelle politische Wirklichkeit wieder aussieht, dann bleibt das Wunschdenken.