Fleisch hat keine Poren, aber eine Oberfläche, die beim Anbraten im Rahmen der Maillard-Reaktionen und weiterer chemischer Prozesse die Kruste bildet. Diese Kruste hat eine gewisse Festigkeit und Dichtigkeit, ist aber nicht wasserdicht. Solange der Braten im geschlossenen Ofen oder Topf liegt, ist er von Wasserdampf umgeben, der das Verdunsten weiteren Wassers auf der Fleischoberfläche reduziert, sobald die umgebende Luft mit Wasserdampf mehr oder weniger gesättigt ist. Trotzdem bilden sich unter der Kruste grundsätzlich zwei Bereiche. Direkt unter der Kruste ein Bereich, der schneller gart und eher trocken ist, weil aus diesem Bereich Wasser durch die Kruste verdunstet. Und der innere Bereich, der sehr langsam gart und Flüssigkeit hält, die nicht so schnell nach außen transportiert wird. Außerdem entstehen bei der Denaturierung von Proteinen Spannungen im Fleisch, die für einen gewissen Druck sorgen. Die Volumenzunahme des Wassers bei höheren Temperaturen mag da auch noch etwas rein spielen.
Schneidest Du jetzt das Fleischstück unmittelbar aus dem Ofen an, tritt Flüssigkeit aus dem inneren Bereich über die Schnittfläche in großem Maße aus. Lässt Du das Stück vor dem Anschneiden noch etwas ruhen, können sich die Temperaturunterschiede im Fleischstück etwas reduzieren, verteilt sich Flüssigkeit aus dem Inneren in den eher trockenen Bereich, bauen sich dadurch Spannungen ab, und tritt bestenfalls so gut wie keine Flüssigkeit beim Anschneiden aus. Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht auch während des Ruhens etwas Flüssigkeit durch die nicht wasserdichte Kruste entweicht. Aber in Summe macht das ggf. schon einen ganz erheblichen Unterschied.
Ich habe ein großes Fleischbrett mit Saftrinne, die schon eine Menge Flüssigkeit aufnehmen kann. Und wenn mir Job und Familie die Zeit lassen, einen Braten perfekt frühzeitig anzusetzen und vor dem Anschneiden ruhen zu lassen, was je nach Größe auch mal Richtung einer Viertelstunde gehen kann, dann findest Du hinterher in der Saftrinne kaum einen Tropfen. Wurschtelt man sich mal wieder durch und spielen alle in der Küche mit, und werfen alles auf den Tisch, kaum dass der Braten aus dem Ofen kommt, und muss man dann früh anschneiden, damit die Beilagen nicht schon kalt sind, kann die Saftrinne auch mal übervoll werden und landet das Fleisch eher trocken auf dem Teller.
Hier mal ein Bild von ein paar Scheiben eines perfekt gegrillten Wagyu-Steaks mit angemessener Ruhezeit, dass ich vor einiger Zeit mal zubereitet habe. Da siehst Du nur saftiges, glänzendes Fleisch und keinen Tropfen ausgetretene Flüssigkeit!