Hallo und Guten Tag,
nachdem die Medien aus Anlass der Brüderle-Himmelreich Affäre und der „#Aufschrei“-Aktion bei „Twitter“ sich mit der Frage von Sexismus beschäftigen, möchte ich mal nach den Motiven der Männer fragen - gerade weil ich selber einer bin.
Ich stelle jetzt mal folgende These in den Raum.
Sexuelle Belästigung einer Frau durch einen Mann kann m.E. Gründe haben:
I.) Der Mann will gar nicht wirklich Sex mit der Frau, sondern es geht ihm darum, die Frau zu entwerten, zu demütigen, zu beschämen.
- Beispiel: Ein Männer-Stammtisch in einer Kneipe, die weibliche Bedienung bringt eine Runde Bier, nachdem die Kellnerin das Bier serviert und sich umgedreht hat, klatscht ihr einer der Männer auf den Hintern.
2.Beispiel: Ein Mann sagt zu einer neu eingestellten Kollegin: „Ich hoffe ja, dass Sie im Kopf genauso viel haben wie in Ihrer Bluse.“
- Beispiel: Männer - dem Klischee nach die dafür angeblich berüchtigten Bauarbeiter - pfeifen einer Frau auf der Straße hinterher.
In all diesen Fällen geht der Mann - oder gehen die Männer - ja nicht davon aus, dass die Frau sich umdreht und sagt: „Ok. Wann und wo wollen wir miteinander schlafen?“ - sondern es geht dem Mann darum, sich durch das Beschämen und Demütigen der Frau selbst zu erhöhen. Der Mann will, oft vor versammelter oft vor versammelter _Mann_schaft seiner Freunde, durch die Demütigung der Frau sein eigenes Ego erhöhen.
II.) Der Mann will nicht die Frau demütigen sondern flirtet „wohlwollend“ mit ihr.
Das kann bedeuten:
II. Er flirtet nur mit ihr.
A. Er flirtet (scheinbar?) unverbindlich mit ihr. Dies scheint z.B. in Brasilien zur Alltagskultur zu gehören, wie man z.B. im „Spiegel“ 52/1998 lesen konnte:
_(…)
Die Debatte der US-Amerikanerinnen über sexuelle Belästigung verfolgen deren brasilianische Schwestern mit Erstaunen. Nicht, daß erzwungener Sex nur ein Kavaliersdelikt wäre: 255 „delegacias femininas“, „weibliche Polizeireviere“, wurden extra eingerichtet, um den zahlreichen Opfern beizustehen. Noch immer zählen zu den heimlichen Pflichten vieler der 17 Millionen Hausmädchen des südamerikanischen Landes auch ziemlich unheimliche körperliche Dienste am Hausherren.
Doch die Idee, gleich die gesamte Erotik zwischen fremdem Mann und fremder Frau zu verteufeln, ist Brasilianern gleich welchen Geschlechts so fremd wie ein „cafezinho“ ohne Zucker. Zwischen den Wasserfällen von Iguaçu und dem Amazonas ist jede Begegnung zwischen Mann und Frau sexualisiert, jeder Blick voll Spannung - im Büro, auf der Straße, am Strand. Schon beim Kauf eines Bustickets knistert es: wenn die Augen des Verkäufers nicht aufhören wollen, den Körper der Kundin zu preisen, während er ihren Wunsch entgegennimmt.
Selma, 30jährige Studentin, empfindet das nicht als belästigend. „Brasilianer lieben Frauen, sie beten uns an“, sagt sie. So erklärt sie, warum das Verhältnis zwischen Mann und Frau so anders ist als in Berlin, wo Selma lebt. Sie hält sich für eine moderne Frau; das „Mulata-Image“ der Brasilianerinnen nervt sie. „Aber ich werde niemals ein Mannweib wie die deutschen Feministinnen“, sagt Selma.
(…)_
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8452685.html
B.) Er will ihr tatsächlich „näherkommen“, will entweder Sex von ihr, oder sie als Freundin/Geliebte - vielleicht sogar Ehefrau - gewinnen. Auf jeden Fall will er wirklich was von ihr (wobei mir natürlich klar ist, dass „A“, unverbindlicher Flirt, sehr schnell zu „B“, der Mann will tatsächlich was, werden kann).
Das besang z.B. der Franzose Michel Delpech im Jahr 1971 in seinem Chanson „Pour un flirt“
http://www.youtube.com/watch?v=raZoPxmHYrA
Grobe Übersetzung der ersten Strophe:
Für einen Flirt mit dir
würde ich alles tun
für einen Flirt mit dir
ich wäre zu allem bereit
für eine einfache Verabredung
für einen Flirt mit dir
für eine kleine Tour
einen Morgen
in deinen Armen
für eine kleine Tour
im Morgengrauen
in deinen Bettlaken
(usw.)
Nun ist mein Punkt der folgende: Natürlich gibt es einen Konsens, dass sexuelle Belästigung abzulehnen ist. Aber andererseits wird Männern eigentlich seit Jahrzehnten immer wieder gesagt: „Nur nicht so schüchtern. Wenn dir eine Frau gefällt, dann sprich sie doch einfach an.“ „Schüchternheit“ des Mannes wird als etwas Ungerechtfertigtes dargestellt, sogar verdammt, dabei wird verkannt, was für ein Drahtseilakt das Ansprechen einer fremden Frau für einen Mann sein kann, jedenfalls das Ansprechen mit „näher-kennenlern-wollender“ Absicht - immer dann, wenn der Mann eben gerade kein „Belästiger“ sein will.
Schon vor Jahren kaufte ich mir, als gerade zum Teenager gewordener „Jungmann“, die erste Auflage des Buches „Wie man eine Frau aufreißt“ von Constanze Elsner - einer Frau also! - worin ich u.a. folgende „Tipps“ fand: „Wenn Ihnen z.B. im Kaufhaus oder Supermarkt eine fremde Frau gefällt, dann wäre es falsch diese Frau mit der Frage anzusprechen: ‚Wissen Sie, wo ich das gefrorene Broccoli finde?‘ - das würde Sie nur zum Broccoli führen, aber nicht der Frau näherbringen. Besser wäre die Frage: ‚Entschuldigen Sie, was muss ich einkaufen, wenn ich Sie heute Abend zum Essen einladen will?‘“
Bereits damals staunte ich bei der Lektüre des Buches Bauklötze, dass so etwas funktionieren soll. Für mich glich die Aufforderung, ein fremdes Mädchen bzw. eine fremde Frau mit so einem Spruch anzusprechen der Aufforderung, im Zoo die Hand durch Gitterstäbe eines Löwenkäfigs zu stecken. Aber wenn’s doch sogar eine Frau schreibt?
Inzwischen allerdings hat sich ja eine weltweite Gemeinde von sogenannten „Pick-Up-Artists“, zu deutsch „Aufreißkünstlern“ gebildet, die in Büchern, Seminaren usw. Tipps austauschen, wie man Frauen, gerade auch völlig fremde Frauen, manipuliert, um sie rumzukriegen - was mir, auf Grund der unverfrorenen Anwendung von „Psychotricks“, auch wieder „unappetitlich“ vorkommt:
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/pick-up-arti…
http://www.spiegel.tv/#/filme/pick-artist/
Allerdings: Die allergrößte Frustration für einen Mann ist es, wenn er aus - ja wohl, wie gesagt, nicht ganz unberechtigter - Schüchternheit sich nicht traut, eine fremde Frau anzusprechen, aber dann beobachtet, wie ein anderer Mann genau das tut - nämlich die fremde Frau anzusprechen - und damit Erfolg hat, wie das schon Volker Lechtenbrink 1981 in seinem Lied „Zugbekannschaft“ besang:
_Sie sitzt hier im Abteil schon eine Weile
an manchen Städten fuhren wir vorbei
der Alte gegenüber schnarcht jetzt leise
der Zug, er rattert leise über die Gleise
So fahr’n wir in die Nacht hinein wir drei
Ich muss jetzt unbedingt gleich etwas sagen
sonst steigt sie aus, bevor ich ein Wort sprach
sie hat so schöne Augen und so lange Beine
ich suche Fehler, aber finde keine
Was soll ich sagen, denke ich und denke nach
Red’ ich über’s Wetter - nein das wär’ banal
über ihre Beine - das wäre fatal
oder über’s Leben - dann lacht sie mich aus
setz ich mich daneben - flieg ich sicher raus
Für fünf Sekunden kreuzt ihr Blick den Meinen
jetzt hält der Zug, doch sie bleibt im Abteil
auf dem Bahnsteig draussen Lautsprecher die dröhnen
der Alte dreht sich um mit leisem Stöhnen
und mir, mir fällt nichts ein, es ist zum Schrei’n
Mach ich Komplimente - hält sie mich für dumm
oder aber Scherze - bleibt sie sicher stumm
lad’ ich sie zum Drink ein - lehnt sie sicher ab
frag’ ich nach der Uhrzeit - schweigt sie wie ein Grab
Der Zug fährt ab, noch hab’ ich eine Chance
jetzt kommt ein neuer Fahrgast zu uns 'rein
Er lacht sie an, beginnt sofort mit ihr zu plaudern
und sie geht ein auf alles, ohne zaudern
Ich denke mir, das kann und darf nicht sein
Er redet über’s Wetter - sie findet’s amüsant
über ihre Beine - sie findet’s galant
er lädt sie zum Drink ein, sie geht mit ihm hin
da endlich wird mir klar, dass ich ein Trottel bin_
http://www.youtube.com/watch?v=t8LCOZOnG5Q
Jetzt meine Frage: Können Frauen (und auch andere Männer, vor allem aber Frauen) verstehen, was für ein Drahtseilakt es für einen Mann ist, einerseits immer wieder zu hören, man(n) solle gefälligst „nicht so schüchtern sein“ und eine fremde Frau - oder eine Frau, die man vielleicht schon ein bisschen oberflächlich kennt, wie z.B. die Frau, die im Fitnessstudio immer hinter der Theke steht - „einfach ansprechen und auf einen Kaffee einladen“ soll, andererseits immer wieder Gefahr läuft, sich zu blamieren und als „Belästiger“ dazustehen?
Vielen Dank im Voraus für Antworten und Meinungsäußerungen,
Jasper