FPÖ und die Wahl

Hallo,

ZEIT ONLINE: Was ist die Lehre aus Österreich?

Leggewie: Die Lehre gilt für CDU und CSU genauso wie für die SPD und übrigens auch die Linke, dass man den Rechten keine Wähler streitig macht, indem man ihren Jargon, ihre Weltbilder, ihre Themen, ihre problematischen Lösungsvorschläge übernimmt. Man muss sich scharf dagegenstellen und darf nicht nachgeben.

Ist das eine mit Fakten belegbare These oder nur Nonsens im Mantel angeblicher Wissenschaftlichkeit (Politologe) um lediglich zu verhindern, dass überhaupt Themen übernommen werden?

Bevor Kurz Spitzenkandidat wurde, führte die FPÖ immerhin über Monate die Umfragen an. Und selbst im direkten Vergleich zwischen 2013 und 2017 nahm die ÖVP, die die Themen der FPÖ stärker aufgriff als die SPÖ, der FPÖ satte 72.000 Stimmen ab http://www.sueddeutsche.de/politik/wahl-in-oesterreich-so-sind-die-waehler-in-oesterreich-gewandert-1.3710268-3.

Und wieso haben die Grünen sich geradezu zerlegt? Denn immerhin dürften sie die Partei (von nennenswerter Größe) gewesen sein, die am allerwenigsten die Themen der FPÖ übernahm? Tatsächlich aber wanderten zuhauf Wähler zur SPÖ ab, die ebenfalls rechte Themen (abgeschwächt) adaptierte. Tatsächlich aber wanderten zuhauf Wähler zur Liste Pilz ab, der sich klar antiislmaistisch und zuwanderungskritisch positionierte.

Also: Gibt es Fakten zur These des Politologen?

Gruß
vdmaster

Servus,

Die Analyse der SZ greift etwas zu kurz. Sowohl Team Stronach als auch BZÖ traten dieses Jahr nicht mehr an. Die knapp 430.000 Wähler von 2013 wanderten hauptsächlich zur FPÖ, aber auch zur ÖVP. Zumindest bei der FPÖ lässt sich damit das Gros des Zugewinns erklären. Nicht umsonst hat die FPÖ dem ehemaligen Klubobmann des TS Robert Lugar (laut Strache ein „Verräter, der nichts in der FPÖ zu suchen hat“) kurz vor der Wahl doch noch aufgenommen.

Das hat mehrere Gründe:

  • Der Präsidentschaftswahlkampf von VdB war teuer. Die Grünen steckten 3 Millionen rein und hatten Ende 2016 ca. 5 Millionen € Schulden. In Österreich gibt es keine Wahlkampfrückerstattung und das Geld fehlte jetzt natürlich für diesen Wahlkampf.
  • Nach der Wahl kam es zu einem ‚Braindrain‘ bei den Grünen. Manche wie Bundesgeschäftsführer Wallner verließen die Partei ganz, andere (die maßgeblich am Wahlkampf beteiligt waren) wechselten mit VdB in die Hofburg.
  • Mitte Mai 2017 ging dann die Grünen-Chefin Glawischnig. Zuvor hat sie es aber noch geschafft, die Jungen Grünen loszuwerden.
  • Die Nachbesetzung durch die Doppelspitze Felipe/Lunacek war auch eher suboptimal. Felipe kennt man (wenn überhaupt) nur in Tirol und Lunacek kam in den Diskussionen als bedingt sympathische Technokratin rüber. Ihren internen Machtkampf mit Voggenhuber, den sie 2009 als EU Delegationsleiter beerbte, haben ihr einige sicher nicht verziehen.
  • Mit Pilz verloren sie dann das letzte noch bekannte Zugpferd. Dessen Wahlprogramm lässt sich bequem auf zwei Seiten zusammenfassen. Im Grunde geht es aber Peter Pilz nur um Peter Pilz.
  • Die Wählerstromanalyse zeigt auch sehr schön, dass viele ehemalige Grünwähler aus taktischen Gründen die SPÖ wählten. Man war sich wohl sicher, dass es die Grünen eh schaffen werden…

Die Grünen sind damit so ziemlich am Ende. Die Parteienförderung in Österreich ist zwar großzügig, aber nur, wenn man den Einzug ins Parlament geschafft hat. Es werden jetzt magere fünf (oder weniger) Jahre auf sie zukommen.

Die Frage nach den Wahlmotiven zeigt deutlich, dass bei der ÖVP das Wahlprogramm eine eher untergeordnete Rolle spielte. Natürlich hat die FPÖ im Wahlkampf keine Gelegenheit ausgelassen so zu tun, als hätte die ÖVP deren Politik 1:1 übernommen. So extrem sehe ich es aber nicht. Für mich steht die ÖVP nicht viel rechter als 2013.
Dass 54% Kurz als wichtigstes Motiv angeben spricht imho Bände und dass in ihm 21% eine Veränderung sehen, ist nach sechs Jahren als Regierungsmitglied eine beachtliche Leistung. Umgekehrt waren bei der FPÖ nur für jeden Vierten Lösungen in der Asylpolitik von großer Bedeutung. Man sollte dieses Motiv also eher nicht überbewerten, zumal nur 17% das Wahlprogramm angaben. Dass nur 16% HC Strache erwähnen, sollte dem Guten auch zu denken geben.

Lg,
Penegrin

Dazu muss man aber auch sagen, dass die FPÖ an Sitzen mehr zugelegt hat als alle anderen Parteien (inlusive der ÖVP) und zudem das zweitbeste Ergebnis ihrer Parteigeschichte eingefahren hat.

Die These „rechtsextreme Parteien können entzaubert werden durch Aufgreifen ihrer Themen“ ist jedenfalls bei dieser Nationalratswahl grandios widerlegt worden.

Zudem sehe ich sowieso keinen Sinn darin, dass eine schwarze Partei mit rechtsextremen Parolen einer blauen Partei mit rechtextremen Parolen Stimmen abhängt. Das ist keine Schwächung, sondern eine Stärkung des rechtsextremen Lagers.

Auf die These vom Leggewie möchte ich gar nicht eingehen, weil sie in dieser verkürzten Form sinnlos ist: Selbstverständlich kann man, wenn man „glaubwürdig“ rechtsextreme Themen aufgreift, rechtsextremen Parteien Wähler streitig machen. Wer sollte das denn leugnen wollen?

Der (Doppel)Punkt ist schlicht und einfach der: a) welche Wähler verliere ich damit gleichzeitig? b) wie kann ich das machen ohne meine Gesamtausrichtung ad absurdum zu führen und so die Partei zu spalten, meine langfristige Glaubwürdigkeit zu beschädigen, meine Einbettung in eine Wählermilieu zu verlieren usw.?

Gruß
F.

Für mich beißen sich die beiden markierten Aussagen.

Irgendwo sind beide richtig, irgendwo ist es aber doch so, dass Kurz eben das personifizierte Wahlprogramm war. Das funktioniert dann, wenn ein Wahlkampf so extrem auf ein Themenfeld zugeschnitten ist, wie es der NRW 2017 war.

Ein Kurz, der einfach nur schwarz zu türkis und sonst irgendwie alles neu machen hätte wollen, hätten diesen Erfolg ganz sicher nicht gehabt. Kurz hat, zugespitzt, funktioniert als der Ohrban mit seiner langen Balkanrute. Das ist „Wahlprogramm“.

Gruß
F.

1 Like

Hallo,

willkommen zurück.

Das sehe ich anders. Er war und ist ein unermüdliches Arbeitstier. Hingegen scheint der Kandidat, den die Partei ihm vorzog, nur eine inhaltsleere Nuß zu sein. Aber das ist eigentlich auch egal, weil es am Ende um die Resonanz in der Wählerklientel geht.

Dann müssten diese Wechselwähler aber auf der Rückseite des Mondes gelebt haben. Denn die Spatzen pfiffen es doch schon lange von den Dächern, dass es der grünen Partei diesmla ernsthaft an den Kragen geht und sie auf der Kippe steht. Von daher bin ich überzeugt davon, dass die Wähler der Partei aus Ablehnung den Rücken kehrten. U.U. auch, weil sie hofften, dass die SPÖ doch noch Nr. 1 werden könne.

Scheinbar vorerst. Aber in vier Jahren kommen sie wahrscheinlich wieder. Die FDP in D hat ja auch ein Comeback hinbekommen. Das wäre sicher nicht gelungen, falls nicht viele Wähler aus 2013 den Auszug der FDP bereut hätten. Allein mit einer Generalüberholung wie sie Lindner praktizierte, hätte es nicht für diesen Wahlerfolg gereicht. Daher schätze ich das Potential der Ösi-Grünen in 2021 auch mind. 6%. Das hängt auch davon ab, ob sie ernstzunehmende Kandidaten aufstellen oder solche luschigen Grinsebacken wie den Gegenkandidaten von Pilz.

Der Standard hatte eine, die aber zu klein und nicht interaktiv war. Auf SPON oder ZON gab es eine interaktive, die ich jedoch so schnell nicht wiederfand. Da muss man nehmen, was gerade in der Auslage liegt.

Hängt eben davon ab, wie man „rechts“ definiert. Hängt man es bspw. allein an dem Willen zu Grenzkontrollen, Verhinderung unkontrollierter Zuwanderung (also abseits des Resettlement) und Obergrenzen auf - wie es ja in einigen Kreisen üblich ist - dann ist die ÖVP 2017 natürlich ganz furchtbar nach rechts gerutscht. Schaut man sich das Gesamtpaket an, dann hat sie sich etwas konservativer positioniert, ist aber immer noch Mitte-rechts.

Erst einmal der Nimbus des frischen Windes, aber eben auch seine klare Haltung zu den o.g. Themen dürften hier Auslöser für das Motiv gewesen sein. Auf jeden Fall steckt der „Bub“ nun (voraussichtlich) in ziemlich großen Schuhen, die möglicherweise (noch) eine Nummer zu groß sind. Das hat schon was von Macron und der Gegenwind könnte Kurz ebenso schnell entgegenschlagen.

Gruß
vdmaster

Wo bleiben dazu die Fakten? Ich sehe nämlich nicht den geringsten Beleg für eine Widerlegung.

Wer sein Alleinstellungsmerkmal auf einem Markt verliert, der verliert auch Marktanteile. Daher reagierten ja in den 80ern die etablierten Parteien auf den Neuling „Grüne“, indem sie Umweltschutz ebenfalls in ihr Programm aufnahmen. In 01/87 erreichten die Grünen noch satte 8,3%. In 05/87 wurde der erste dt. Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) ernannt. In 12/90 schafften die Grünen nur noch 3,8% und flogen wieder aus dem BT heraus.

Sicher spielen hier auch interne Konflikte (Austritt zahlreicher Radikalinskis) sowie die Anti-Wiedervereinigungshaltung der Grünen eine erhebliche Rolle. Aber eben auch der Umstand, dass man ihnen auf eigenem Themengebiet die Wähler streitig machte.

Und welche rechtsextremen Parolen gab die ÖVP von sich?

Da stimme ich Dir zu.

Gruß
vdmaster

Die einzigen belastbaren Fakten haben ich doch genannt: wenn die FPÖ den stärksten Sitz-Zuwachs von allen Parteien erreicht und das zweitbeste, knapp das beste, Ergebnis der Parteigeschichte einfährt, dann ist „Entzauberung“ definitiv widerlegt, wie immer man diesen Begriff nun genau definieren mag und auch wenn man noch so sehr der Meinung sein mag, ohne den Kurz-Kurs wäre das für die FPÖ noch viel höher ausgefallen …

[quote][quote=„FBH, post:3, topic:9420371“]

Zudem sehe ich sowieso keinen Sinn darin, dass eine schwarze Partei mit rechtsextremen Parolen einer blauen Partei mit rechtextremen Parolen Stimmen abhängt.

[/quote]

Und welche rechtsextremen Parolen gab die ÖVP von sich?

[/quote]

°

Einen so zugespitzen anti-Islam-anti-Zuwanderung-anti-Ausländer-Grenzen-dicht-Fluchtrouten-schließen-ich-bin-der-beste-Freund-vom-Orban-Wahlkampf mag ich nicht anders denn rechtsextrem nennen.

Der Personenkult, der zur Schau gestellte Feschismus°°, Sager wie die vom Arbeitsdienst usw. tun ihr übriges.

https://www.fpoe.at/fileadmin/processed/csm_2200x2200_vordenker_2dc019e9be.png

° Zugegeben hat Kurz aber keine so guten Wahlplakatpoeten wie die FPÖ an der Hand: Maria statt Scharia, Daham statt Islam, Mehr Mut für unser Wiener Blut, Asylbetrug heißt Heimatflug und wie die ganzen Klassiker heißen.

Stattdessen: Kurz 2017- Ein neuer Stil. Es ist Zeit.

°° Dummer Kommentar vom Standard. Darum heißts ja auch Feschismus und nicht Faschismus.

Gruß
F.

Danke :smile:

Das eine schließt das andere nicht aus und auch ein Peter Pilz war vor 30 Jahren kein Wunderwuzzi.

Eine Legislaturperiode dauert fünf Jahre und die Situation ist ziemlich prekär. Wie schon erwähnt hat die Partei einen massiven Schuldenberg und erhält nun deutlich weniger Förderung. Statt 3,9 Millionen pro Jahr sind es jetzt nur einmalig 480.000. Die Landesorganisationen können auch nur bedingt helfen, da manche Bundesländer strenge Regeln haben, was die Parteienfinanzierung angeht.
126 Mitarbeiter (mit all ihrem Wissen) stehen vor der Kündigung und prominente Mitglieder wie Harald Walser nehmen den Hut.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Grünen bei der nächsten Wahl wieder einziehen, aber imho wurden sie durch dieses Ergebnis als Partei um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Lg,
Penegrin

Was in A wohl ein Ausnahmefall wäre. :wink:

Das Ergebnis ist meist eine Folge der betriebenen Politik.

Gruß
vdmaster