Einspruch
Unmittelbar zu meinem Vorredner muss ich bei diesem Thema höchst sensiblen und sehr ernsten Thema Einspruch erheben. Es ist mitnichten alles von den bisherigen Kommentatoren richtig und kompetent beantwortet worden. (Der Einspruch betrifft nicht den restlichen Kommentar von Peter)
Da sieht man alleine daran, dass die Spannbreite reicht von „Verliebtheit ist wünschenswert“ über „Verliebtheit ist völlig normal“ bis hin zu „ist die Ausnahme“ reicht. Letzteres ist die Regel! Besonders kritisch ist aber - der Hauptgrund, warum ich mich hierzu äußere - die sehr nachlässige Darstellung dessen, was im Fall des Falles professionellen Umgang des Psychotherapeuten bedeutet.
Wie Peter sehr treffend schreibt: Man muss zunächst einmal zwischen Vertrautheit / Vertrauen und Verliebtheit unterscheiden! Die Erarbeitung einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Psychotherapeut sollte Zwischenziel der Arbeit sein (sie kann übrigens nicht von Anfang an vorausgesetzt werden und ist vor allem nicht eine „Bringschuld“ des Patienten zu Beginn! (Ein weiteres wichtiges Thema der Patient-Psychotherapeut-Bezeihung, aber für andere Stelle)
Es ist auch richtig, dass in so einer intensiven Arbeitsbeziehung (nichts anderes ist Psychotherapie!) in er es um tiefst persönliches geht es auch zu Emotionen kommen kann, die positiv wie negativ sein können: Von Freude bis zu Verärgerung. Von Frustration bis zu Dankbarkeit. Emotionen, die übrigens grundsätzlich auf beiden Stühlen stattfinden können.
Es ist Aufgabe, PFLICHT des Therapeuten, damit adäquat umzugehen. Das bedeutet: Er darf dies - übrigens in beide Richtungen - nicht eskalieren lassen. Geht er richtig damit um, kann aus diesen Emotionen sehr viel positive Energie für den Prozess und damit das Anliegen des Patienten kommen, wird falsch damit umgegangen, kann der Patient möglicherweise schweren Schaden nehmen!
Immer vor Augen gehalten: Bei der Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient handelt es sich nicht um eine auf Augenhöhe! Aus vielen Gründen, aber zwei sind besonders hervorzuheben:
- Der Patient hat ein meist sehr ernstes Problem und ist grundsätzlich und im Fall des schon vorhandenen Arbeitsbündnis Personen gebunden auf den Psychotherapeuten angewiesen, in unterschiedlicher Intensität. Er kann in aller Regel nicht einfach so abrupt das Bündnis beenden (oder beendet werden), ohne Schaden zu nehmen! Erst recht dann, wenn ein Anschluss nicht gewährleistet ist. Der Psychotherapeut ist was das an geht in der wesentlich entspannteren und mächtigeren Position!
- Der Patient breitet sein innerstes vor dem Psychotherapeuten aus. Der Psychotherapeut tut dies nicht (darf dies nicht!!!) Daraus entsteht ein enormes Ungleichgewicht zwischen Beiden, bei dem auch hier wieder der Psychotherapeut VERPFLICHTET ist, damit umzugehen!
Oft entsteht aus diesem Gefühl, sich endlich anvertrauen zu können und verstanden zu werden, eine Gefühlsbandbreite, die auch in den Bereich Verliebtheit umschlagen kann.
Damit zum eigentlichen Punkt der Frage:
Nein, Verliebtheit des Patienten ist NICHT gewollt! Im Gegenteil ist sie sogar grundsätzlich eher als schädlich anzusehen bzw. als etwas, was unbedingt bearbeitet werden muss, weil sie ein Weiterarbeiten sonst nicht möglich ist. Es reicht also keinesfalls, dass der Psychotherapeut nur darauf nicht eingeht! Es reicht auch nicht, dass der Psychotherapeut es darauf ankommen lässt, dass es zu dieser Verliebtheit kommt!
Das Thema ist auch in Zusammenhang mit Freud und den Nachfolgern ein ziemliches dunkles in der Psychotherapie! Ein sehr dunkles! Und sehr ernstes! Es kann - man muss es klar sagen - tödlich enden, wenn der Psychotherapeut sich hier falsch verhält! Tödlich, weil Patienten in den Suizid getrieben werden.
Freud hat sich zu dem Thema im weiteren in einer Weise geäußert, die als katastrophal zu werten sind. Er hat auch die Ursache (und damit Schuld) bei Kindesmissbrauch in der Verliebtheit des Kindes gegenüber dem Vater gesehen! (Das hat er - allerdings viel zu spät) später widerrufen). Eine sogar aktiv gepflegte Liebesbeziehung zwischen Patient und Psychotherapeut ist aber jahrzehntelang sogar als förderlich für die therapeutische Arbeit gesehen worden! Das ging bis in die 90er!
Wobei man auch unterscheiden muss zwischen aktivem Ausleben mit sexuellen Handlungen - das ist inzwischen auch strafbar mit gesondertem Paragraph im StGB) und unethischem Verhalten des Psychotherapeuten. Die Abstinzenregel, die vom Psychotherapeuten verlangt, weder darauf einzugehen, noch selbst aktiv zu fördern, ist bis heute mitnichten in allen Fachgesellschaften etabliert. Und bis heute gilt leider auch, dass insbesondere bei Psychoanalytikern eine noch viel zu positive Einstellung verbreitet ist, dass Verliebtheit bei der Patientin auftritt und bearbeitet gehört. Übrigens interessant: diese Haltung wird insbesondere vertreten in der Beziehung zwischen weiblichen Patient und männlichem Psychotherapeut. Das ist in dem Fall nachgewiesen vorrangig ein Männerproblem!
Entsteht Verliebtheit und der Psychotherapeut geht nicht adäquat damit um bzw. hat diese sogar gefördert oder trägt sie selbst unbearbeitet in sich, dann ist das als eine der kritischsten Situationen in einer Psychotherapie zu betrachten. Und es gibt immer noch viel zu wenig Hilfsangebote für Patienten! Erst recht dann, wenn es nicht nur um direkten sexuellen Missbrauch geht, sondern um Machtmissbrauch, der in dem Zusammenhang auch eine Rolle spielt. Viele Psychotherapeutenkammern haben dafür nicht mal eine gescheite Anlaufstellen, führen auswertbare Statistiken, etc.
Hier besteht immer noch sehr, sehr großer Handlungsbedarf!
Falls tieferes Interesse besteht, kommt man in dem Zusammenhang nicht um drei Namen herum. Zum einen das Ehepaar Fischer (der kürzlich verstorbene Psychotraumatologe leider zu früh verstorbene Gottfried Fischer und seine Frau Monika Becker-Fischer), die seit Jahrzehnten in dem Bereich forschen und die erste Anlaufstelle für Betroffene gegründet haben.
Siehe auch für den Anfang hier:
http://www.fr-online.de/wissenschaft/psychotherapie-…
Und Werner Tschan, der sich Betroffenen widmet: den Opfern, aber - sogar vorrangig - auch den Psychotherapeuten.