In Talmont sur Gironde - der Besuch dort ist nicht gar so lange her wie der im eigentlichen Südwesten und der letzte in der Bretagne - gibt es eine recht hübsche Einkehr in der ‚Auberge du Promontoire‘: Trotz der exzellenten touristischen Lage keineswegs überteuert, und bei dem in dieser Gegend beinahe ganzjährig eher milden Wetter sehr angenehm, aber für Frankreich eher unüblich: „Richtiges“ Restaurant-Essen auf einer sehr heimeligen Garten-Terrasse.
Näher beim Zentrum Deiner angedachten Südwest-Tour in Bordeaux, aber für nicht-Eisenbahnreisende nicht ohne weiteres zu finden: Das Art Nouveau - Schmuckstück „Café du Levant“ gleich beim Bahnhof Bordeaux St. Jean. Ich bin vor ungefähr hundert Jahren mit dem damals noch täglich verkehrenden Lyon-Bordeaux de Nuit von St. Germain des Fossées her quer durchs Zentralmassiv geschaukelt und stand vor dieser unwirklich poetischen Fassade, grade als sie im ersten Morgenlicht aus dem Schatten der Gebäude gegenüber auftauchte - es gibt innere Bilder, die auf Dauer erhalten bleiben, auch wenn man ihnen weiter weder Sinn noch Bedeutung oder Gewicht zumäße.
Noch überhaupt nicht gesehen, aber auf Distanz kennengelernt im Zusammenhang mit ‚Proofreading‘ für einige Texte der Organisation der europäischen Weinbauregionen AREV habe ich die ‚Cité du Vin‘ in Bordeaux. Ich darf sie unbekannterweise warm empfehlen - das ist kein kommerzieller Larifari, das hat Körper und Tiefgang. Aber nicht mehr Autofahren danach, es bleibt nicht bei blanker Theorie, und in der Gegend dort gibt es genug Weine, die 14 Umdrehungen gut aushalten, ohne sprittig zu wirken. Weine, die an den Klang einer klassischen Orchesterpauke denken lassen: Warm, melodisch, aber mit Wumm dahinter.
In Meschers und Latresne (das sind die beiden bekanntesten Orte, es gibt wohl noch mehr davon) ungewöhnlich spät aufgegebene und meines Wissens teils sogar bis heute genutzte Höhlenwohnungen (habitations troglodytes).
(Sprung)
Saintes hat mir nicht nur wegen des ‚damals‘ noch für 21 Francs, vielleicht sieben Mark, erhältliche dreigängige ‚Menu ouvrier‘ gut gefallen, bei dem nicht der klassische crudités-Teller den ersten Gang machte, sondern eine Suppe, von der Patronne aus einer riesigen Terrine vom Servierwagen aus in die Teller geschöpft, und bei dieser Gelegenheit habe ich zum ersten Mal gesehen, wie sich (das gibt es im Südwesten bis heute recht häufig) ungefähr die Hälfte der Gäste erstmal einen Schluck von dem billigen, aber dafür recht anständigen Roten in die Suppe kippten. Genauso schön fand ich den anderen (im Gegensatz zum Geschilderten heute noch erlebbaren) Teil, wie dort ein römisches Amphitheater und allerlei sehr feine Romanik mitten im Leben da stehen, man marschiert sozusagen mit Alltagsschuhen durch den Gedankenstaub von Jahrtausenden.
Sehr genialisch fand ich auch Royan - ‚seither‘ noch ein zweites Mal besucht in Begleitung von einem nicht mehr sehr jungen Freund aus Poitiers, der uns in Poitiers einmal in der Runde führte und dort zeigte: „Und hier war die Kommandantur, wo ich den Passierschein holen musste, wenn ich die Großeltern auf der anderen Seite der Demarkationslinie besuchen wollte“. Das eingeschlossene Royan, einst eine Perle des französischen Jugendstils, wurde von der Royal Air Force und bald danach von der USAF kurz vor der Einnahme durch die F.F.I. vollkommen sinnlos in Grund und Boden bombardiert; das machte aus dem Wiederaufbau einen Ehrenpunkt für die Franzosen, die an dieser Stelle den anderen zeigen wollten, dass sie und nicht die Engländer oder gar die Amerikaner die kulturelle Führung im neuen, befreiten Europa beanspruchten. Was aus dieser Idee in den frühen 1950er Jahren entstand, ist ein wunderbar poetisches architektonisches Spiel mit Stahlbeton - schon alleine die Markthalle in der Form einer Jakobsmuschel ist einen Besuch dort wert.
Wegen des schon erwähnten Epizentrums Poitiers würde ich Dir ja schon auch noch gerne das im Grundriss beinahe dreieckige Rathaus von Schilda in Niort, den gleich bei Niort gelegenen Marais (einen Auenwald, halb Wasser, halb Land, ungefähr wie der Spreewald, aber warm und freundlicher) und die Ile de Ré mit der Phare des Baleines, den Salinenfeldern, dem auf Sand angebauten Inselwein mit seinen ziemlich ungewöhnlichen Aromen von Seetang ans Herz legen, aber ich glaube, das sprengt dann doch den Rahmen des eigentich von Dir ins Auge gefassten Gebiets.
Schöne Grüße
MM