Freiberufler in der IT-Branche

Guten Abend,

wahrscheinlich ist es nicht nur bei uns im Unternehmen so. IT-Stellen (Produktmanager, Softwareentwickler, Berater,…) werden nur schwer besetzt. Engpässe werden mit Freelancern überbrückt. Diese werden von Personalvermittlungen vermittelt. Die Rechnungen sind hoch. Klar ist mir dabei nicht, wie viel davon bei der Personalvermittlung hängen bleibt.

Klar ist mir, dass ein Freelancer sich über soziale Absicherung Gedanken machen muss. KV, RV, AV bzw. Zeiten der Nichtbeschäftigung.

Da ich relativ ungebunden bin, finde ich das Dasein eines Freelancers interessant. Wo gibt es verlässliche Informationen hierzu? Erfahrungen von Euch?

Viele grüße
Schlumpfinchen

Moin,

am direktesten wohl immer an der Quelle - also bei den Freelancern selber. Wenn du in der Firma welche hast, dann besorg dir die Kontaktdaten und versuch mal, ob einer oder mehrere ein vertrauliches Gespräch mit dir dazu führt. Ausserdem könntets du mit den jeweiligen Personalfirmen reden und mal im Netz recherchieren, wie die Auftragslage so ist.

ich kenne einen Projektmanager mit Schwerpunkt IT und der ächzt gewaltig - weil zu oft zu wenig zu tun und zu viel nur über Beziehungen geht, wie er meint.

Gruß
Ex

Hallöchen,

ich komme zufällig aus der Branche.
Klar, das was Du sagst, ist die Sicht eines Internen auf externe Kollegen: Massig Kohle abgreifen für die gleiche Tätigkeit.

Wenn Du jedoch das Blatt umdrehst, sieht es längst nicht so rosig aus:
Man nimmt ja den Freiberufler nicht, weil man dringend irgend eine Gurke zum Zeitabsitzen sucht, sondern weil der vorgibt, genau diejenigen Skills mitzubringen, welche just gerade in diesem Moment benötigt werden.

Also, „IT-Experte“ ist nicht „IT-Experte“, sondern da gibt es Analysten, Tester, Projektleiter, Entwickler … und nur bei Letzteren gibt es noch „C++, C#, Java, .Net, Ruby, php, Grails, mysql, Oracle, DB2, neo4j, …“ … und bei denen gibt es noch „mit Agile / klassisch“ und da noch „mit/ohne Leitungserfahrung“ und dann noch Kenntnisse der Branchen „Banken, Telko, Logistik, Energie, …“
Allein dadurch zerfasert eine einzige ausgeschriebene Stelle sehr schnell in mehr als 10000 verschiedene Profile, und man bekommt die 2-3 Monate Job nur dann, wenn es paßt wie die Faust aufs Auge, denn man kriegt keine Einlernzeit und keine Schulungen und es wird erwartet, dass man am ersten Tag bereits loslegt als wäre man schon seit 10 Jahren im Unternehmen.
Naja, und dann kann man noch Pech haben und im direkten Vergleich gegen einen anderen Freelancer schlechter sein … oder der „Faktor Mensch“ paßt nicht … oder oder oder…

Und dann gibt es noch Unternehmen, die aus Prinzip keine Freelancer länger als 1 Quartal beschäftigen, da diese schnell Probleme mit der Scheinselbständigkeit haben.

Und wenn es dann um die Rechnung geht:
Der Freelancer bekommt keinen bezahlten Krankenstand, keinen bezahlten Urlaub, selbstverständlich auch kein 13. Monatsgehalt bzw. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, er bekommt keine bezahlten Fortbildungen etc.

Da man als Freelancer seine Projekte quasi selten vor der Haustür hat und im Normalfall zumindest deutschlandweit unterwegs ist, kann man auch nicht mal kurz von der eigenen Wohnung mit dem Fahrrad zur Arbeit: man hat meist zusätzlich zur eigenen Wohnung mindestens 4 Tage pro Woche Übernachtungen im Hotel (welche auch ganz schnell mit €100+ zu Buche schlagen) und Fahrt-/Flugkosten in 4-stelliger Höhe monatlich.

Bedenkt man dann noch, dass der Freelancer weder Kranken- noch Renten- noch Sozialversicherung besitzt und selbst vorsorgen muss, gehen hier auch schnell noch mal 2 Tausender vom Netto runter.

Naja, und dann gibt es noch den Vater Staat, der meint, ab €60000 p.a. sei man Großverdiener und kann auch den Spitzensteuersatz abdrücken, dann ist vom dicken Brutto meist nur noch ein relativ mageres Netto übrig.

Wenn man keine Großprojekte bedient, kommt es ganz schnell vor, dass unkalkulierte Ausfallzeiten von 2-3 Monaten im Jahr entstehen, wo man überbrücken muss, wird die Summe noch geringer.

Und wenn man dann noch das Glück hat, an Kunden zu geraten, welche es für lustig erachten, einfach die Rechnung nicht zu bezahlen, heißt es manchmal „außer Spesen nix gewesen“. Auch das ist ein Risiko des Freiberuflers.

Dann kommt hinzu, dass man eben aufgrund dieser Probleme als Freelancer in den ersten Jahren von den Banken als Aussätziger mit Pest und Cholera behandelt wird, man quasi keinen Kredit bekommt und selbst wenn, dann nur zu deutlich ungünstigeren Konditionen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich kenne etliche Freelancer, welche über €140.000 pro Jahr fakturieren, die mit Kußhand eine Festanstellung für €70.000 nehmen würden.

Die Monatsendabrechnung ist nicht alles.

Gruß,
Michael

Guten Morgen,

danke für die ausführliche Erläuterung.

Der Gedanke ist tatsächlich ähnlich entstanden wie du ihn beschrieben hast. Die bekommen / fakturieren große Summen und sind im Vergleich zu einem ausgebildeten Festangestellten gerade mal halb so produktiv. Dies liegt daran, dass wir in eine eher unbekannten Sprache entwickeln. Genauso ist die Branche zumindest teilweise sehr speziell.
Wäre andersherum aber wohl auch mein Leid: Mein Lebenslauf ist wahrscheinlich zu speziell, die potentiellen Arbeitsaufträge würden sich in Grenzen halten. Damit würden sich die von dir genannten Risiken auch erhöhen.

Viele Grüße
Schlumpfinchen

der Steinige Weg
Hallo Schlumpfinchen,

wenn Dir Freelancen nicht behagt,
UND Du im jetzigen Job in einer Sackgasse gelandet bist,
UND Du deutlich unterbezahlt bist,
UND Du unbedingt verschiedene neue Sachen machen möchtest, was erstmal gut ist
(UND du Risiko, Masochismus und P.i.t.A. liebst),

so kannst du ja immer noch bei Ingenieurbüros oder Personaldienstleistern anfangen. Feste Stelle, festes Gehalt aber wechselnde Aufgaben und Einsatzorte, und oft mit der Option, dort wo es passt auch zu bleiben. Wir haben hier in den letzten Jahren mehr Softwerker über Brunel, Ferchau und Co gewonnen als über direkte Bewerbungen, weil niemand so interessante Stellen in der Schwermetallindustrie vermutet. Dadurch sind Arbeitsbedingungen incl. Gehalt und Zeit eher paradiesisch.

Gruß
achim