Hallöchen,
ich komme zufällig aus der Branche.
Klar, das was Du sagst, ist die Sicht eines Internen auf externe Kollegen: Massig Kohle abgreifen für die gleiche Tätigkeit.
Wenn Du jedoch das Blatt umdrehst, sieht es längst nicht so rosig aus:
Man nimmt ja den Freiberufler nicht, weil man dringend irgend eine Gurke zum Zeitabsitzen sucht, sondern weil der vorgibt, genau diejenigen Skills mitzubringen, welche just gerade in diesem Moment benötigt werden.
Also, „IT-Experte“ ist nicht „IT-Experte“, sondern da gibt es Analysten, Tester, Projektleiter, Entwickler … und nur bei Letzteren gibt es noch „C++, C#, Java, .Net, Ruby, php, Grails, mysql, Oracle, DB2, neo4j, …“ … und bei denen gibt es noch „mit Agile / klassisch“ und da noch „mit/ohne Leitungserfahrung“ und dann noch Kenntnisse der Branchen „Banken, Telko, Logistik, Energie, …“
Allein dadurch zerfasert eine einzige ausgeschriebene Stelle sehr schnell in mehr als 10000 verschiedene Profile, und man bekommt die 2-3 Monate Job nur dann, wenn es paßt wie die Faust aufs Auge, denn man kriegt keine Einlernzeit und keine Schulungen und es wird erwartet, dass man am ersten Tag bereits loslegt als wäre man schon seit 10 Jahren im Unternehmen.
Naja, und dann kann man noch Pech haben und im direkten Vergleich gegen einen anderen Freelancer schlechter sein … oder der „Faktor Mensch“ paßt nicht … oder oder oder…
Und dann gibt es noch Unternehmen, die aus Prinzip keine Freelancer länger als 1 Quartal beschäftigen, da diese schnell Probleme mit der Scheinselbständigkeit haben.
Und wenn es dann um die Rechnung geht:
Der Freelancer bekommt keinen bezahlten Krankenstand, keinen bezahlten Urlaub, selbstverständlich auch kein 13. Monatsgehalt bzw. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, er bekommt keine bezahlten Fortbildungen etc.
Da man als Freelancer seine Projekte quasi selten vor der Haustür hat und im Normalfall zumindest deutschlandweit unterwegs ist, kann man auch nicht mal kurz von der eigenen Wohnung mit dem Fahrrad zur Arbeit: man hat meist zusätzlich zur eigenen Wohnung mindestens 4 Tage pro Woche Übernachtungen im Hotel (welche auch ganz schnell mit €100+ zu Buche schlagen) und Fahrt-/Flugkosten in 4-stelliger Höhe monatlich.
Bedenkt man dann noch, dass der Freelancer weder Kranken- noch Renten- noch Sozialversicherung besitzt und selbst vorsorgen muss, gehen hier auch schnell noch mal 2 Tausender vom Netto runter.
Naja, und dann gibt es noch den Vater Staat, der meint, ab €60000 p.a. sei man Großverdiener und kann auch den Spitzensteuersatz abdrücken, dann ist vom dicken Brutto meist nur noch ein relativ mageres Netto übrig.
Wenn man keine Großprojekte bedient, kommt es ganz schnell vor, dass unkalkulierte Ausfallzeiten von 2-3 Monaten im Jahr entstehen, wo man überbrücken muss, wird die Summe noch geringer.
Und wenn man dann noch das Glück hat, an Kunden zu geraten, welche es für lustig erachten, einfach die Rechnung nicht zu bezahlen, heißt es manchmal „außer Spesen nix gewesen“. Auch das ist ein Risiko des Freiberuflers.
Dann kommt hinzu, dass man eben aufgrund dieser Probleme als Freelancer in den ersten Jahren von den Banken als Aussätziger mit Pest und Cholera behandelt wird, man quasi keinen Kredit bekommt und selbst wenn, dann nur zu deutlich ungünstigeren Konditionen.
…
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich kenne etliche Freelancer, welche über €140.000 pro Jahr fakturieren, die mit Kußhand eine Festanstellung für €70.000 nehmen würden.
Die Monatsendabrechnung ist nicht alles.
Gruß,
Michael